Die Flora und Fauna der Ostfriesischen Inseln

Die Biodiversität der Ostfriesischen Inseln

Basierend auf einem Artikel von Rolf Niedringhaus, Volker Haeseler und Peter Janiesch

Zusammenfassung

Durch Auswertung von über 800 Arbeiten aus dem Zeitraum 1786 bis 2007 wurden die verfügbaren Daten zur Flora und Fauna der Ostfriesischen Inseln zusammengetragen und in 53 Fachbeiträgen ausgewertet.
Die nachgewiesenen 242 Flechten, 245 Moose sowie 1.005 Farn- und Blütenpflanzen entsprechen 13, 23 bzw. 33 % der deutschen und 29, 34 bzw. 50 % der niedersächsischen Floren. Während Farn- und Blütenpflanzen auf allen Inseln gut erfasst sind, ist die Datenlage für Moose und Flechten heterogen. Häufig liegen nur ältere Nachweise vor. Seit 1980 wurden 258 Arten der bundes- bzw. landesweiten Roten Listen festgestellt: 70 Flechten (45 % des Inselspektrums), 30 Moose (19 %) und 158 Farn- und Blütenpflanzen (18 %). – In den naturnahen Primärbiotopen kommen 96 Flechten, 136 Moose und ca. 450 Farn- bzw. Blütenpflanzen vor. Die artenreichsten Lebensräume mit zumeist auch den meisten gefährdeten Arten sind die Grauen Dünen, Trockenheiden und feuchten Dünentäler. Hinsichtlich der Farn- und Blütenpflanzen zeigt sich der Einfluss des Menschen am deutlichsten: Ausschließlich in den Sekundärbiotopen kommen über 400 Arten vor, von denen 236 vom Menschen eingeschleppt bzw. angepflanzt wurden.
Von den für die Ostfriesischen Inseln angegebenen 8.008 Tierarten können 7.432 als indigen gelten. Neben gut untersuchten Tiergruppen gibt es zahlreiche mit hohen Erfassungsdefiziten. – Von den für Deutschland bekannten Arten sind 17 % auch auf den Inseln vertreten. Ca. 85 % der Arten sind Insekten, ca. 8 % Spinnentiere, jeweils 2 % Wirbeltiere, Krebstiere bzw. Mikrofauna und 1 % Weichtiere bzw. Würmer. – Von den 7 großen Inseln ist Borkum mit fast 5.000 Arten am besten untersucht, während die übrigen mit ca. 2.700 (Norderney) bis ca. 1.200 Arten (Baltrum) deutlich geringere Erfassungsstände zeigen. Besonders gut untersucht sind die jungen Inseln Memmert und Mellum mit 2.460 bzw. 2.267 Arten. – Es ergeben sich deutliche Verbreitungsschwerpunkte in den älteren Dünenbereichen, wo mehr als zwei Drittel aller Arten vorkommen. Etwa 10 % aller Arten sind auf stark vom Menschen beeinflusste Bereiche beschränkt, gehören damit zumeist nicht zum ursprünglichen Inselinventar. – Bei fast 15 % (1.092 Arten) des Insel-Spektrums handelt es sich um bundes- bzw. landesweit gefährdete Arten. Außerdem kommen 269 küstenspezifische Arten vor.
Die Ostfriesischen Inseln als wichtiger Teil des Nationalparks „Niedersächsisches Wattenmeer“ sind somit Lebensraum einer einzigartigen, artenreichen Flora und Fauna, deren langfristiger Erhalt und Schutz angesichts zunehmender anthropogener Einflüsse sicherzustellen sind.

Summary

The East Frisian islands as a habitat for a unique flora and fauna. Results and conclusions of the project “Biodiversity in the Lower Saxony Wadden Sea National Park”. – Based on a critical analysis of more than 800 studies from between 1786 and 2007, all available records and data on the flora and fauna of the East Frisian islands are compiled, summarised and presented in 53 specialist contributions.
The botanical inventories currently comprise a total of 1,492 species and subspecies, of which 242 are lichens, 245 are mosses and 1,005 are ferns and flowering plants. This amounts to 13 %, 23 % and 33 % of taxa known from Germany and to 29 %, 34 % and 50 % of taxa known from Lower Saxony. Whilst the almost area-wide and up-to-date mapping of ferns and flowering plants gives good grounds for confidence in veracity of the diversity figure for this group of plants, the quality of data sets for mosses and lichens varies greatly between the islands, and data are largely derived from old sources. A total of 258 plant species recorded from the East Frisian islands after 1980 are included in the German or Lower Saxony Red List, with lichens contributing 70 species (45 % of the islands’ total flora), mosses 30 species (19 %) and ferns and flowering plants combined 158 species (18 %). – The largely unspoilt primary habitats of the islands hold 96 species of lichen, 136 species of moss and approximately 450 species of fern and flowering plant. The richest habitat types in terms of species diversity and numbers of threatened species occurring are dune grassland, dune heath and dune slacks. The impact of human interference is most prominent in the the colonisation dynamics of ferns and flowering plants: More than 400 species are confined to secondary habitats, of which 236 species have been introduced by man.
A total of 8,008 fauna species have been recorded from the East Frisian archipelago so far, with 7,432 species being considered truly indigenous. Several taxonomic groups are well recorded, whilst others are seriously undercollected. – Approximately 17 % of the German fauna are found on the islands. Insects contribute roughly 85 % and arachnids 8 % to the islands’ fauna, whilst vertebrates, crustaceans and microfauna species make up 2 % each. Molluscs and worms contribute another one percent. – Borkum Island is the best studied among the seven large islands, with nearly 5,000 species records gathered from there. Levels of recording intensity are markedly lower on the remaining large islands, with numbers of species records ranging between 2,700 (Norderney Island) and 1,200 (Baltrum Island). By way of contrast, the young islands of Memmert and Mellum are particularly well studied, with numbers of species records being 2,460 and 2,267, respectively. – Distributional “hotspots” for the islands’ fauna have been localized in old dune areas, with more than two thirds of species occurring in such habitats. Approximately 10 % of the total fauna are confined to habitats moulded by human activity and, thus, are generally not part of the islands’ original fauna. – Nearly 1,092 fauna species (or 15 %) recorded from the East Frisian islands are included in the German or Lower Saxony Red List; 269 species are confined to coastal habitats.

Einleitung

Das Nordsee-Wattenmeer ist das bedeutendste Wattenmeer weltweit und mit ca. 8.000 Quadratkilometer Fläche das größte periodisch trockenfallende Ökosystem. Es ist eine der letzten europäischen Naturlandschaften und besitzt als Drehscheibe des globalen Vogelzugs eine international herausragende Bedeutung.

Mit Einrichtung des Nationalparks "Niedersächsisches Wattenmeer" im Jahr 1986 wurde der Erhalt der "biologischen Vielfalt hier lebender Pflanzen- und Tierarten" als ein wesentliches Schutzziel festgelegt.

Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden ein zusammenfassender Überblick über die Flora und Fauna der Ostfriesischen Inseln gegeben. Obwohl die Inseln lediglich etwa 6 % der Fläche des Nationalparks ausmachen, bilden sie das wichtigste terrestrische Teilgebiet dieses durch Dynamik gekennzeichnen Lebensraumes.

Die grundlegenden Daten liefern die 51 Fachbeiträge in diesem Band (vgl. Tab. 1). Insgesamt wurden für die Dokumentation der Flora und Fauna über 800 Arbeiten aus der Zeit von 1786 bis 2007 ausgewertet.

Tab. 1: Übersicht über die 51 gelieferten Fachbeiträge mit der jeweils im Text zitierten Kennzahl (neu: ab 1990, vgl. BRÖRING et al. 1993).
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Hinsichtlich der Farn- und Blütenpflanzen wurden 109 Arbeiten (inkl. "grauer Literatur": Diplomarbeiten, unveröffentlichte Gutachten etc.) herangezogen. Von diesen wurden bereits 50 in der vor 15 Jahren erschienenen Zusammenstellung (BRÖRING et al. 1993) berücksichtigt, diese wurden aber größtenteils einer erneuten Sichtung unterzogen. Für die erstmals zusammenfassend dokumentierten Moose und Flechten wurden 47 bzw. 15 Arbeiten ausgewertet.

Den Zusammenstellungen der faunistischen Daten für die 47 Beiträge unterliegen 648 Arbeiten. Von diesen wurden 383 bereits in der ersten, bis zum Zeitraum 1990 reichenden Daten-Dokumentation bei BRÖRING et al. (1993) herangezogen, zumeist aber erneut gesichtet. Erstmalig berücksichtigt wurden 265 Arbeiten, darunter 109 zur Avifauna. Die übrigen sind neuere wissenschaftliche Publikationen nach 1990 (126) sowie "graue Literatur" (30). Außerdem wurden über 70 z.T. umfangreiche Datensätze aus persönlichen Mitteilungen und bislang unpublizierten Aufsammlungen der jeweiligen Autoren berücksichtigt.

Biodiversität im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer – Vergleich mit anderen Nationalparken Deutschlands

Auf einer Fläche von nur etwas mehr als 100 Quadratkilometern (ohne Sandstrände und Queller-Watt) – das entspricht 0,03 % (!) der Gesamtfläche Deutschlands – wurden 13 % der Flechten, 23% der Moose und 33 % der Farn- und Blütenpflanzen Deutschlands nachgewiesen. Die bislang bekannte Insel-Fauna entspricht einem Anteil von 17 % der deutschen Gesamtfauna. Abschätzungen anhand nachweislich gut untersuchter Gruppen lassen einen Anteil zwischen 25 und 35 % erwarten, das wären etwa 12.000 bis 15.000 (!) Arten.

Die Frage, ob es sich bei den Ostfriesischen Inseln damit in Deutschland um einen „hot spot“ der Biodiversität handelt, kann abschließend nicht endgültig geklärt werden, da keine unmittelbar vergleichbaren Daten-Zusammenstellungen verfügbar sind. Vergleiche mit anderen Gebieten anhand einzelner Tier- oder Pflanzengruppen lassen allerdings den Schluss zu, dass z.B. festländische Gebiete mit hohen Wald- und/oder Gewässer-Anteilen höheren Artenreichtum aufweisen könnten.

Vergleichende Bilanzierungen mit anderen deutschen Nationalparken fallen aufgrund der sehr heterogenen Datenlage ebenfalls schwer. Eine 2006 durchgeführte „Schnell-Recherche“ anhand von Homepages, Nationalparkplänen, Fachliteratur und persönlichen Mitteilungen (OSTERLEN 2006), die sicherlich in einzelnen Teilen unvollständig bzw. nicht aktuell ist (Tab. 5), zeigt aber bereits, dass andere, im Landesinneren gelegene Nationalparke bei vielen Artengruppen ebenfalls hohe, z.T. sogar höhere Artenzahlen aufweisen. Lediglich bei den Gruppen der Schnabelkerfe, Hautflügler, Fliegen und Rastvögel sind für den Nationalpark „Niedersächsisches Wattenmeer“ (Ostfriesische Inseln) die höchsten Artenzahlen zu verzeichnen. Bei den drei Insektengruppen dürfte es sich allerdings um ein verzerrtes Bild handeln, das wahrscheinlich aufgrund des guten Erfassungsstandes auf den Ostfriesischen Inseln zustande kommt.

Tab. 2: Anzahl festgestellter Arten verschiedener Pflanzen- und Tiergruppen in den 14 Nationalparken Deutschlands („Schnell-Recherche“anhand von Homepages, Nationalparkplänen, Fachliteratur und persönlichen Mitteilungen, vgl. OSTERLEN 2006).
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Es steht außer Frage, dass neben dem Artenreichtum die hohe Anzahl der gefährdeten bzw. küstenspezifischen Arten die Besonderheit dieses Naturraumes ausmacht: Jede fünfte auf den Inseln festgestellte Pflanzen- oder Tierart findet sich auf der bundes- bzw. landesweiten Roten Liste. Für einige Gruppen bieten die Inseln fast einem Drittel aller bundes- bzw. landesweit gefährdeten Arten Lebensraum. Auch diese Zahlen lassen sich im Vergleich mit den anderen Nationalparken zur Zeit nicht einordnen.

Ausblick

Die Ergebnisse der Bestandsdokumentation belegen in deutlicher Weise, dass die Ostfriesischen Inseln Lebensraum für eine artenreiche, einzigartige und schutzwürdige Flora und Fauna sind und damit zu Recht den hohen Schutzstatus eines Nationalparks genießen.

Auf der anderen Seite führt der Massentourismus auf den Ostfriesischen Inseln mit seinen Folgeerscheinungen zu erheblichen Beeinträchtigungen dieses Lebensraumes. Durch das Nationalpark-Zonierungskonzept wird in Verbindung mit einem Wege- und Betretungskonzept und einer gezielten Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit versucht, die entsprechenden Nutzungskonflikte zu lösen. Alles in allem ist es weitgehend gelungen, einen naturverträglichen Tourismus auf den Inseln zu etablieren.

Dies erscheint umso wichtiger, da für viele Erholung suchende Gäste die naturnahe Landschaft und das Naturerlebnis bei der Wahl der Inseln als Urlaubsziel eine zentrale Rolle spielen. Der Nationalpark bietet in diesem Zusammenhang auch die Chance, die Urlauber für die Belange des Natur- und Umweltschutzes zu sensibilisieren.

Mit dieser Dokumentation soll ein Grundstein für eine fortlaufende Beobachtung der Entwicklung der Artenzusammensetzungen gelegt werden. Dies erscheint wichtig vor dem Hintergrund der sich auf den Inseln abzeichnenden Veränderungen einzelner Landschaftselemente aufgrund anthropogener Einflüsse, aber auch aufgrund des prognostizierten Klimawandels, der die Küstenregionen in besonderer Weise beeinflussen dürfte. Die vorgelegte Dokumentation und Analyse der Daten von Artengemeinschaften spezieller Inselbiotope soll erkennen lassen, ob bestimmte Schutzmaßnahmen ausreichen oder ob ggf. weitere oder andere Maßnahmen zu ergreifen sind.

In diesem Zusammenhang erscheint es außerdem wichtig, die aufgezeigten Kenntnisdefizite, die nach wie vor - vor allem im Hinblick auf verschiedene Tiergruppen - vorhanden sind, zu beheben. Aufgrund der vorliegenden Datensätze und des z.T. umfangreichen unbearbeiteten Probenmaterials von durchgeführten Erhebungen auf den Ostfriesischen Inseln, das bei verschiedenen Institutionen bzw. Personen lagert, ist die Vision von einer „vollständigen“ Bestandsinventarisierung des ersten deutschen Nationalparks durchaus realisierbar.

Kontaktadresse:

Dr. Rolf Niedringhaus
Prof. Dr. Volker Haeseler
Prof. Dr. Peter Janiesch
Carl-von-Ossietzky-Universität
Fakultät V, Institut für Biologie und Umweltwissenschaften
D-26111 Oldenburg
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Stand: 12/2009