Die Flora und Fauna der Ostfriesischen Inseln

Übersicht über die Fauna
der Ostfriesischen Inseln

Zusammenfassung

Von den für die Ostfriesischen Inseln angegebenen 8.008 Tierarten können 7.432 als indigen gelten. Neben gut untersuchten Tiergruppen gibt es zahlreiche mit hohen Erfassungsdefiziten. – Von den für Deutschland bekannten Arten sind 17 % auch auf den Inseln vertreten. Ca. 85 % der Arten sind Insekten, ca. 8 % Spinnentiere, jeweils 2 % Wirbeltiere, Krebstiere bzw. Mikrofauna und 1 % Weichtiere bzw. Würmer. – Von den 7 großen Inseln ist Borkum mit fast 5.000 Arten am besten untersucht, während die übrigen mit ca. 2.700 (Norderney) bis ca. 1.200 Arten (Baltrum) deutlich geringere Erfassungsstände zeigen. Besonders gut untersucht sind die jungen Inseln Memmert und Mellum mit 2.460 bzw. 2.267 Arten. – Es ergeben sich deutliche Verbreitungsschwerpunkte in den älteren Dünenbereichen, wo mehr als zwei Drittel aller Arten vorkommen. Etwa 10 % aller Arten sind auf stark vom Menschen beeinflusste Bereiche beschränkt, gehören damit zumeist nicht zum ursprünglichen Inselinventar. – Bei fast 15 % (1.092 Arten) des Insel-Spektrums handelt es sich um bundes- bzw. landesweit gefährdete Arten. Außerdem kommen 269 küstenspezifische Arten vor.

Summary

A total of 8,008 fauna species have been recorded from the East Frisian archipelago so far, with 7,432 species being considered truly indigenous. Several taxonomic groups are well recorded, whilst others are seriously undercollected. – Approximately 17 % of the German fauna are found on the islands. Insects contribute roughly 85 % and arachnids 8 % to the islands’ fauna, whilst vertebrates, crustaceans and microfauna species make up 2 % each. Molluscs and worms contribute another one percent. – Borkum Island is the best studied among the seven large islands, with nearly 5,000 species records gathered from there. Levels of recording intensity are markedly lower on the remaining large islands, with numbers of species records ranging between 2,700 (Norderney Island) and 1,200 (Baltrum Island). By way of contrast, the young islands of Memmert and Mellum are particularly well studied, with numbers of species records being 2,460 and 2,267, respectively. – Distributional “hotspots” for the islands’ fauna have been localized in old dune areas, with more than two thirds of species occurring in such habitats. Approximately 10 % of the total fauna are confined to habitats moulded by human activity and, thus, are generally not part of the islands’ original fauna. – Nearly 1,092 fauna species (or 15 %) recorded from the East Frisian islands are included in the German or Lower Saxony Red List; 269 species are confined to coastal habitats.

Einleitung

Als Grundlage einiger bilanzierender Übersichten zur Fauna der Ostfriesischen Inseln dienen die Daten für Arten, deren Vorkommen durch aktuelle Fundmeldungen (Zeitraum der letzten 30 Jahre) gesichert ist. Für Gruppen, bei denen keine aktuellen Bestandserhebungen vorliegen, wurden die alten Nachweisdaten im Hinblick auf ein mögliches aktuelles Vorkommen kritisch überprüft und ggf. herangezogen. Zweifelhafte Nachweise sowie offensichtlich nicht zum aktuellen Bestand zählende Arten wurden nicht berücksichtigt.

Im Folgenden werden zusammenfassende, quantitative Übersichten über die verschiedenen Faunenelemente der einzelnen 11 Ostfriesischen Inseln sowie – soweit es die Datenlage erlaubt – der 16 inselspezifischen Biotoptypen gegeben. Die kompletten, aktuellen Artenlisten befinden sich in der dazugehörigen Buchausgabe.

Die 16 inselspezifischen Biotoptypen:

Die Biotoptypen 1-10 werden als naturnahe, weitgehend vom Menschen unbeeinflusste Primär-Biotope angesehen. Die Süß- und Brackgewässer (15, 16) werden ebenfalls in diese Kategorie eingruppiert, obwohl die meisten von ihnen durch den Menschen geschaffen wurden, sich mittlerweile allerdings in einen naturnahen Zustand entwickelt haben. Die Biotoptypen 11-14 als vom Menschen unmittelbar und permanent beeinflusste Bereiche werden als Sekundär-Biotope zusammengefasst.

Erfassungsgüte

Von den 55 unterschiedenen Tiergruppen sind neben der Avifauna lediglich 4 terrestrische Insektengruppen und 4 limnische Gruppen als nachweislich gut untersucht anzusehen. Die Landwanzen, Zikaden, Pflanzenwespen, aculeaten Hautflügler sowie die Wasserflöhe, Libellen, Wasserwanzen und Wasserkäfer wurden auf mindestens allen großen Inseln durch mehrjährige Erfassungen ermittelt (Tab. 1). Für jeweils mehr als 50 % aller Arten konnten dabei Nachweise auf mindestens 4 der 7 großen Inseln erbracht werden; bei Libellen sind es sogar 85 %.

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Tab. 1: Auf der Inselkette nachweislich gut untersuchte Tiergruppen mit verschiedenen Indikatoren zur Erfassungsgüte.

Ein weiteres Indiz für eine gute Erfassung ist das Verhältnis von Positiv- zu Negativ-Befund. Ein (theoretisches!) Nachweis-Optimum wäre erreicht, wenn alle Arten auf allen 11 Inseln nachgewiesen wären, der Anteil der Positiv-Nachweise also bei 100 % läge. Bei den 8 gut untersuchten Gruppen betragen die entsprechenden Anteile 37 % (Pflanzenwespen) bis zu 52 % (Wasserwanzen). Bei der wohl am besten untersuchten Gruppe, den Brutvögeln, liegt der Anteil bei 56 %. Auch das jeweilige Verhältnis der Artenzahl der Inselfauna zur Artenzahl Deutschlands bzw. Niedersachsens kann als Maß der Erfassungsgüte dienen. Die Etablierungsvoraussetzungen müssen allerdings vergleichbar sein: Artengruppen mit Präferenz für Fließgewässer sind z.B. auf den Inseln prinzipiell unterrepräsentiert. So ist bei Libellen der vergleichsweise niedrige Deutschland-Anteil von 33 % dadurch zu erklären, dass es (im Vergleich z.B. zu Wasserwanzen oder Wasserflöhen) deutschlandweit viele Fließgewässerarten gibt. Auch die Tatsache, dass für bestimmte Artengruppen entfernt gelegene, oft klimatisch bedingte Verbreitungszentren existieren (für thermophile Arten z.B. der Südwesten Deutschlands), führt zu reduzierten Besiedlungschancen auf den Ostfriesischen Inseln. Dennoch ist nach Abwägung all dieser Einschränkungen davon auszugehen, dass Anteile ab ca. 30 % der jeweiligen deutschen und ab ca. 40 % der niedersächsischen Fauna einen hinreichend guten Erfassungsstand indizieren.

Eine vergleichende Betrachtung der verschiedenen Tiergruppen im Hinblick auf ihre jeweilige Erfassungsgüte in Form eines „rankings“ zeigt, dass neben den oben erwähnten „nachweislich“ gut untersuchten Gruppen auch die Wirbeltiergruppen der Säuger und der Amphibien/Reptilien sowie etliche weitere Arthropodengruppen (Laufkäfer, Tagfalter, Geradflügler, Webspinnen) unter den Erstplazierten sind, im Hinblick auf die Inselkette also ebenfalls einen guten Erfassungsstand aufweisen.

Bei den auf den Ostfriesischen Inseln sehr schlecht untersuchten Gruppen fallen aufgrund ihres Artenreichtums in Deutschland die Brackwespen, Pflanzenläuse, Gall-/Erzwespen, Mücken, Kleinschmetterlinge und Milben besonders ins Gewicht. Sie dürften auf den Inseln die zahlenmäßig größten Arten-Defizite ausmachen: Bei veranschlagten 30 % der deutschen Fauna sind allein für diese Gruppen über 3.000 weitere Arten für die Ostfriesischen Inseln zu erwarten. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Bearbeitungs- bzw. Kenntnisstand dieser Gruppen auch für Deutschland allgemein unzureichend ist.

Artenbestände der Fauna im Überblick

Insgesamt wurden bislang für die Ostfriesischen Inseln 8.008 Arten gemeldet, darunter 203 Arten, deren Nachweise zweifelhaft sind bzw. die nachweislich auf Falschmeldungen beruhen. Bei 286 Arten, die meist nur vor 1975 gemeldet wurden, ist ein derzeitiges Vorkommen auf der Inselkette auszuschließen. Bei weiteren 87 Arten handelt es sich um Rastvögel. Bei den verbleibenden 7.432 Arten ist davon auszugehen, dass sie zum rezenten, indigenen Artenbestand der Ostfriesischen Inseln gehören. Erwartungsgemäß stellt die Gruppe der Insekten mit 85 % den weitaus höchsten Anteil, gefolgt von den Spinnentieren mit 8 % (Abb. 1). Bei den Insekten wiederum machen die Käfer, Hautflügler und Fliegen einen Anteil von 77 % aus.

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Abb. 1: Anzahl indigener Arten der verschiedenen Tiergruppen auf den Ostfriesischen Inseln.

Von den rund 45.000 für Deutschland bekannten Tierarten (inkl. Protozoen, ohne marine Arten, vgl. VÖLKL & BLICK 2004, VÖLKL et al. 2004, eigene Abschätzungen) sind wenigstens 17 % auf den Ostfriesischen Inseln vertreten. Die mit fast 6.500 Arten auf der Inselkette nachgewiesenen Insekten sind mit 19 % der für Deutschland bekannten Arten (N = ca. 33.500, vgl. KLAUSNITZER 2003) vertreten.

Von den 7 großen Inseln ist Borkum mit fast 5.000 Art-Nachweisen die am besten untersuchte Insel (Abb. 2): Die in den vorliegenden Einzelbeiträgen durchgeführten kritischen Bewertungen der umfangreichen alten Daten von Oskar SCHNEIDER (1898) sowie Richard und Fritz Struve (Erhebungszeitraum 1930er Jahre; 13 Publikationen, Auswertungen der Tagebuchaufzeichnungen, z.T. Revisionen des Sammlungsmaterials) ergaben etwa 4.800 Arten, die auch heute noch als rezenter Bestand für Borkum anzusehen sind. Die für einige Gruppen auf der Inseln durchgeführten aktuellen Erhebungen (u.a. Libellen, Geradflügler, Wanzen, Zikaden, Wasserkäfer, Pflanzenwespen, Ameisen, Wespen und Bienen) erbrachten jeweils nur relativ wenige Erstnachweise.

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Abb. 2: Anzahl indigener Arten auf den einzelnen Ostfriesischen Inseln.

Die übrigen 6 großen Inseln liefern mit Art-Nachweisen von ca. 2.700 (Norderney) bis ca. 1.200 (Baltrum) wesentlich geringere Erfassungsstände. Der Großteil der Daten beruht allerdings auf aktuellen Erhebungen.

Außergewöhnlich gut untersucht sind die beiden jungen Inseln Memmert und Mellum. Dies ist v.a. auf ein umfangreiches Forschungsprojekt Mitte der 1980er Jahre (vgl. HAESELER & MEYER 1998) zurückzuführen, bei dem auch artenreiche Fliegen- und Hautflüglergruppen berücksichtigt wurden.

Die Auswertung der für 4.100 Arten ermittelten Habitatpräferenzen ergibt deutliche Verbreitungsschwerpunkte in den älteren Dünenbereichen. Mit 2.700 Arten kommen mehr als zwei Drittel aller Arten in den Graudünen-Grasfluren, den feuchten Dünentälern bzw. den Gehölzbereichen der feuchten Dünentäler vor (Abb. 3). Die Gesamtheit aller Primär- Lebensräume (Nr. 1-10, 15, 16) wird von insgesamt 3.700 Arten besiedelt, während die 4 stark durch den Menschen geprägten Sekundär -Lebensräume Grünland, Ruderalbereiche, Standortfremde Gehölze und Siedlungsflächen insgesamt 2.500 Arten beherbergen. Über 400 Arten wurden nur in diesen Bereichen festgestellt.

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Abb. 3: Anzahl indigener Arten der verschiedenen Inselbiotope.

Die Inseln als Lebensraum für gefährdete Arten

Von den 7.432 Arten des indigenen Artenbestandes der Ostfriesischen Inseln sind 1.092 bundes- bzw. landesweit gefährdet (i.w.S), das entspricht einem Anteil von 15 % (Tab. 2) Hierbei ist zu berücksichtigen, dass bei weitem nicht für alle Artengruppen Rote Listen existieren, sodass der Anteil weit höher ausfallen müsste (s.u.). Zu den gefährdeten Arten kommen noch 181 Arten der Vorwarnlisten hinzu.

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Tab. 2: Anzahl der aktuell auf den Ostfriesischen Inseln festgestellten bundes- bzw. landesweit gefährdeten Arten.

Besonders hervorzuheben sind die Nachweise von 162 Arten der Kategorien „0“ bzw. „1“ (ausgestorben/verschollen bzw. vom Aussterben bedroht). Hier zeigt sich eindringlich der Wert der Ostfriesischen Inseln als Überlebensraum für einzelne Arten. Aber auch die Nachweise von 357 „stark gefährdeten“ und 573 „gefährdeten“ Arten belegen eindrucksvoll, dass der Schutzstatus „Nationalpark“ für die Ostfriesischen Inseln zu Recht gilt.

Die meisten gefährdeten Arten entfallen mit 121 auf die Gruppe der Großschmetterlinge; der Anteil am Inselspektrum beträgt bei ihnen über 30 %. Ebenfalls viele gefährdete Arten liefern die Laufkäfer (67 = 31 %) und Webspinnen (65 = 25 %).

Von 11 nachweislich gut untersuchten Artengruppen, für die außerdem brauchbare Rote Listen verfügbar sind, wurden insgesamt 485 gefährdete Arten nachgewiesen (Tab. 3) Die Anteile am jeweiligen Inselspektrum liegen zwischen 9 % (Landwanzen) und 32 % (Brutvögel, Großschmetterlinge), im Mittel bei 23 %. Wird dieses Verhältnis auf die fast 7.500 nachgewiesenen Arten der Inseln „hochgerechnet“ – trotz des großen Unsicherheitsfaktors, der bei solchen Übertragungen entsteht – ist davon auszugehen, dass mindestens 1.500 gefährdete Arten auf den Inseln leben, wahrscheinlich sogar deutlich mehr.

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Tab. 3: Nachweislich gut untersuchte Artengruppen mit brauchbaren Roten Listen und die jeweiligen Anteile gefährdeter Arten am Inselspektrum.

Die meisten gefährdeten Arten finden sich in den trockenen Graudünen-Bereichen (270) und in den feuchten Dünentälern (280) (Abb. 4) Die Oberen Salzwiesen bieten ebenfalls einer hohen Zahl gefährdeter Arten Lebensraum. Die naturnahen, inseltypischen Primär-Biotope beherbergen insgesamt 819 gefährdete Arten, das sind 75 % aller auf den Inseln festgestellten gefährdeten Arten. In den vom Menschen stark beeinträchtigten Sekundär-Biotopen sind dagegen lediglich 380 gefährdete Arten präsent, davon allerdings 73 exklusiv nur hier.

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Abb. 4: Anzahlen bundes- bzw. landesweit gefährdeter Arten in den verschiedenen Inselbiotopen (*1: inkl. Sandstrand u. Spülsaum, *2: inkl. Spülsaum u. Queller-Watt.).

Die Inseln als Lebensraum für Küsten-Spezialisten

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Tab. 4: Arten, die ausschließlich in salzbeeinflussten Küstenbitopen – Binsenquecke-Vordüne, Strandhafer-Weißdüne, Obere und Untere Salzwiese – vorkommen (* = nur für Teilgruppen Biotopangaben vorhanden).

Neben den gefährdeten Arten bieten die Inseln zahlreichen Küsten-Spezialisten Lebensraum. Ähnlich wie bei den gefährdeten Arten kann für diese Gruppe lediglich eine minimale Artenzahl angegeben werden, da nur für etwas mehr als die Hälfte aller nachgewiesenen Insel-Arten genauere Angaben zu Habitatpräferenzen auf den Inseln verfügbar waren. Von diesen Arten sind insgesamt 269 als Küsten-Spezialisten im engeren Sinne anzusehen, d.h. ihr Vorkommen ist auf die unmittelbaren Küsten-Biotope „Binsenquecke-Vordüne inkl. Sandstrand u. Spülsaum, „Strandhafer-Weißdüne“ sowie „Obere und Untere Salzwiese“ beschränkt (Tab. 4). Darüber hinaus besitzen zahlreiche weitere nachgewiesene Arten im Nodsee-Küstenraum und oft speziell auf den Ostfriesischen Düneninseln ihren niedersächsischen oder deutschen Verbreitungsschwerpunkt. Von den 269 Küsten-Spezialisten stehen aber lediglich 109 auf einer Roten Liste.

Alle Artikel in der Übersicht

Die MIKROFAUNA (Zusammenfassung) der Ostfriesischen Inseln:

Die WEICHTIERFAUNA (Zusammenfassung) der Ostfriesischen Inseln:

Die SPINNENTIERFAUNA (Zusammenfassung) der Ostfriesischen Inseln:

Die KREBSTIERFAUNA (Zusammenfassung) der Ostfriesischen Inseln:

Die INSEKTENFAUNA (Zusammenfassung) der Ostfriesischen Inseln:

Die WIRBELTIERFAUNA (Zusammenfassung) der Ostfriesischen Inseln:

Basierend auf einem Artikel von:

Dr. Rolf Niedringhaus
Prof. Dr. Volker Haeseler
Prof. Dr. Peter Janiesch
Carl-von-Ossietzky-Universität
Fakultät V, Institut für Biologie und Umweltwissenschaften
D–26111 Oldenburg
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Stand: 02/2009