Die Flora und Fauna der Ostfriesischen Inseln

Zur Mückenfauna
der Ostfriesischen Inseln

(Diptera: Nematocera)

Aktueller Artenbestand anhand von Literaturdaten

Zusammenfassung

In einem auf Literaturdaten basierenden Artenverzeichnis werden die für die Ostfriesischen Inseln nachgewiesenen 195 Arten der Mücken und verwandten Dipteren-Gruppen aufgelistet. Es handelt sich in vielen Fällen um alte bis sehr alte, allerdings überwiegend verlässliche Daten. Die Insel-Nachweise entsprechen einem Anteil von etwa 5 % der deutschen Arten. Dieser Wert lässt auf ein hohes Erfassungsdefizit schließen: Erwartet werden mindestens 1000 Arten.

Summary

The mosquitoe fauna of the East Frisian islands (Diptera: Nematocera). Critical species list based on data from the literature. - A check-list of all 195 species of mosquitoes and related Nematocera from the East Frisian islands is provided, based on a survey of the available literature. Most data proved to be reliable despite their old age. Species recorded so far from the islands represent merely 5 % of the German Nematocera fauna, which is attributed to insufficient research. The islands' Nematocera fauna is expected to comprise at least 1,000 species.

Was sind... Mücken?

Die meist schlanken und zarten Mücken (Nematocera) unterscheiden sich von den mehr gedrungeneren Fliegen (Brachycera) v.a. durch die Fühlerform: Bei den Nematocera bestehen die Fühler aus vielen, mehr oder weniger gleichartig geformten Gliedern, bei den Brachycera dagegen aus wenigen ungleich großen Gliedern, die am Ende oft mit einer Borste (Arista) besetzt sind. Die größten Mückenarten (Tipulidae) werden bis zu 4 cm lang bei einer Flügelspannweite von über 5 cm; die kleinsten (Psychodidae, Ceratopogonidae) sind weniger als 2 mm groß, einige Arten der Sciaridae und Chironomidae sogar unter 1 mm.

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Tab. 1: In Deutschland umfasst die Unterordnung Nematocera 28 Familien mit ca. 3.800 Arten (SCHUMANN et al. 1999, SCHUMANN 2002, 2004, Reusch in litt. nach Oosterbroek (2007) für Limoniidae, Pediciidae, Tipulidae). Davon sind auf den Ostfriesischen Inseln wenigstens 18 Familien präsent.

Die Lebensweisen und ökologischen Ansprüche der Arten der einzelnen Gruppen sind sehr verschieden: Die Larven leben terrestrisch (1, 2, 3, 5, 7, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18), aquatisch (2, 3, 5, 6, 7, 8, 9, 10) oder auch semiterrestrisch in Übergangszonen (z.B. Bachufer) bzw. an feuchten Stellen (2, 3, 4, 5, 7). Die terrestrischen Larvalhabitate umfassen lebendes Pflanzengewebe (18), faulende organische Substanz, Exkremente, Totholz (1, 5, 7, 11, 13, 14, 16, 17, 18), die Bodenstreu, den Oberboden sowie die Wurzelschicht im Boden (2, 3, 12) oder befinden sich auch an oder in Pilzen (1, 13, 14, 15, 16, 18). Die meisten Arten sind Detritusfresser, etliche leben aber auch räuberisch. Als aquatische Larvalhabitate kommen sowohl stehende Gewässer (3, 5, 6, 7, 8, 9, 10) als auch Fließgewässer (3, 5?) in Frage. Auch in dieser Gruppe gibt es räuberische Arten.

Die Imagines besiedeln die unterschiedlichsten Lebensräume. Schwerpunkte bilden feuchte und schattige Biotope (z.B. 2, 3, 6, 9, 10, 13, 14, 15, 16); etliche Arten finden sich besonders auf Pflanzen und deren Blüten (z.B. 8, 11, 12, 17). Viele Imagines nehmen überhaupt keine Nahrung mehr auf, andere ernähren sich von Blütensäften. Die Weibchen einiger Arten saugen Blut von Wirbeltieren (5, 10) und treten dabei z.T. als Virus-Überträger auf.

Einleitung

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Die bis zu 1 cm lange Märzmücke Bibio marci (hier: Männchen) ist eine von zehn auf den Ostfriesischen Inseln nachgewiesene Haarmücken (Bibionidae), die v.a. im Frühjahr (Name!) stellenweise in Massen auftreten. Die Larven leben gesellig im Boden, wo sie sich von faulenden Pflanzenteilen ernähren. Die Imagines sind zumeist gute Flieger, sie ernähren sich von Nektar und Honigtau und spielen bei der Bestäubung von früh blühenden Obstbäumen eine wichtige Rolle (Zeichnung: M. Stöckmann, Original).

Dem südlichen Rand der nordwestdeutschen Küste ist eine Kette von Düneninseln vorgelagert, die als eine der letzten großräumigen Primärlandschaften im nördlichen Mitteleuropa angesehen werden kann und 1985 als Teil des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer ausgewiesen wurde. Diese Ostfriesischen Inseln können in eine Gruppe von 7 größeren, etwa 3.000 Jahre alten und vom Menschen bewohnten Inseln sowie in eine Gruppe von 4 kleineren, wesentlich jüngeren und unbewohnten Inseln unterteilt werden. Aufgrund der rasch ablaufenden Prozesse im Wattenmeer haben sich auf allen Inseln zahlreiche Küstenbiotope mit stetigem Wandel sowie mit sehr hoher landschaftsräumlicher Diversität auf engstem Raum entwickelt.

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Gnitzen (hier ein Weibchen aus der Gattung Culicoides) sind sehr kleine Dipteren mit gedrungenem Körperbau. In Ruhe werden die Flügel flach über dem Abdomen gehalten. Die Männchen ernähren sich von Blütensäften, die Weibchen einiger Arten (speziell Gattung Culicoides) sind Blutsauger, die z.T. als Überträger verschiedener Tierkrankheiten eine Rolle spielen. Für die Inseln liegen für Gnitzen wenige alte Nachweise vor (Zeichnung: M. Stöckmann, Original).

Die Fauna der Inselkette wurde erstmalig Ende des vorletzten Jahrhunderts wissenschaftlich untersucht. Unter besonderer Berücksichtigung der Borkumer Fauna gibt SCHNEIDER (1898) einen Überblick über den damaligen Kenntnisstand. Im Hinblick auf die Dipterenfauna waren damals bereits über 600 Arten für die Inselkette bekannt, darunter fast 500 von Borkum. Der Anteil der von den Inseln bekannten Nematocera belief sich auf etwa 10 %. Bei einer erneuten Erfassung der Borkumer Insektenfauna konnten F. und R. Struve in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts weitere 300 Dipterenarten, darunter 41 Nematocera, feststellen (STRUVE 1939). Zeitgleich wurden die beiden jungen Inseln Memmert und Mellum im Hinblick auf ihre Insektenfauna untersucht (ALFKEN 1924, 1930). Dadurch wurden einige weitere Nachweise aus der Gruppe der Nematocera erbracht. Seit dieser Zeit wurden keine systematischen Bestandserhebungen auf den Inseln durchgeführt; lediglich einzelne jüngere Untersuchungen in bestimmten Biotopen (z.B. ein Müllplatz auf Spiekeroog, KÜHLHORN 1981) bzw. Erhebungen einzelner Familien in verschiedenen Biotopen auf Memmert und Mellum (HÜSING & KOOPMANN 1988, PLASSMANN 1988) sind zu verzeichnen.

Im Folgenden wird ein Überblick über die Mückenfauna (Diptera, Nematocera) der Ostfriesischen Inseln gegeben, in dem sämtliche Literaturdaten zusammengetragen sind. Im Unterschied zur ersten Zusammenstellung in BRÖRING et al. (1993: 121-124) werden die z.T. sehr alten Angaben kritisch bewertet und auf den neuesten nomenklatorischen Stand gebracht. Einige neue Angaben werden ergänzt - Die übrigen Dipteren-Gruppen der Ostfriesischen Inseln sind separat dargestellt (Niedere Fliegen, vgl. BRÖRING & NIEDRINGHAUS 2008; Langbein-, Tanz- und Rennraubfliegen, vgl. MEYER & SCHLEPPEGRELL 2008; Schwebfliegen, vgl. BRÖRING 2008a; Acalyptrate Fliegen, vgl. VON TSCHIRNHAUS 2008; Calytrate Fliegen, vgl. BRÖRING 2008b).

Datengrundlage

Die kritische Auswertung der von SCHNEIDER (1898) für Borkum gemeldeten Nematoceren-Daten ergab 44 Arten, außerdem listete er weitere Meldungen anderer Autoren auf (z.B. ALFKEN 1891 für Juist und POPPE 1891 für Spiekeroog), sodass um die Wende des vorletzten Jahrhunderts 57 Arten von den Inseln bekannt waren. Die Artenzahl erhöhte sich durch die entomologischen Studien auf den jungen Inseln Memmert (ALFKEN 1924) und Mellum (SCHUBART & SACK 1924, ALFKEN 1930) und vor allem durch die umfangreichen Erhebungen von Struve auf Borkum (STRUVE 1939, weitere pers. Notizen bis 1942, deponiert im Landesmuseum Münster) auf insgesamt 114. Später publizierte KÜHLHORN (1981) die Ergebnisse seiner dipterologischen Untersuchungen auf dem Müllplatz von Spiekeroog, wo er unter 179 Arten auch 10 Nematocera nachwies, darunter 3 Erstnachweise für die Inselkette.

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Schnaken (hier ein Weibchen der auf Borkum nachgewiesenen Nephrotoma analis) sind mit Flügelspannweiten von über 5 cm die größten Vertreter der Nematocera. Sie besitzen einen charakteristischen, schlanken Körper und lange, zerbrechliche Beine. Im Volksmund werden für sie z.T. sehr skurrile Namen verwendet: Elefantenmücken, Kankel, Schneider, Keilhacken, Staunzen, Mückenhengste, Mückenbullen, Hexen, Haxensepp, Schuster, "Opa Langbein". Schnaken können nicht stechen, mit ihren reduzierten Mundwerkzeugen können sie lediglich Flüssigkeit aufnehmen (Foto: R. Brinkmann).

Da das den alten Meldungen zugrunde liegende Material nicht mehr überprüft werden konnte, wurden die Angaben kritisch bewertet. In den meisten Fällen ist - auch nach heutigem Wissensstand - von einer richtigen Artdiagnose (oft zumindest des Artenkomplexes) auszugehen. O. Schneider und R. Struve hatten jeweils namhafte Spezialisten für die Erfassung (nur Schneider) und Determination gewonnen: SCHNEIDER (1898: 115) nennt die 4 "Dipterologen" A. Kuntze und W. Schnuse aus Dresden sowie B. Lichtwardt und L. Oldenberg aus Berlin. Struve verzeichnet in seinen persönlichen Notizen nicht weniger als 17 Spezialisten für die Determinationsarbeit, wobei die Koordinierung O. Kröber (Hamburg) übernahm: L. Czerny (Kremsmünster/Österreich), O. Duda (Gleivitz), O. Engel (München), Feuerborn (Münster), M. Goethebner (Gent/Belgien), H. Hedicke (Berlin), M. Hennig (Leipzig), M. Hering (Berlin), O. Karl (Stolp), F. Lengersdorf (Bonn), O. Meder (Kiel; nur Minen), O. Parent (Aire sur le Lys/Frankreich), F. Peus (Berlin), M.P. Riedel (Frankfurt a.O.), P. Sack (Frankfurt a.M.), H. Schmitz (Valkenburg).

Die einzigen aktuellen und umfangreichen Daten wurden für die Bibionidae (HÜSING & KOOPMANN 1988) sowie Mycetophilidae, Keroplatidae und Bolitophilidae (PLASSMANN 1988) im Rahmen eines größer angelegten Projektes auf den jungen Inseln Memmert und Mellum (HAESELER 1988) gewonnen.

Vorläufiger Artenbestand

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Tab. 2: Auf den Ostfriesischen Inseln nachgewiesene Mücken und verwandte Gruppen.

Auf den Ostfriesischen Inseln wurden bis heute 197 Arten aus der Gruppe der Diptera Nematocera nachgewiesen (Tab. 2). Beim überwiegenden Teil handelt es sich um alte bis sehr alte Meldungen; die betreffenden Arten dürften aber in den allermeisten Fällen noch heute zum indigenen Artenbestand der Inselkette zählen. Die aktuellen Funde stammen in erster Linie von den jungen Inseln Memmert und Mellum und umfassen die Familie Bibionidae (HÜSING & KOOPMANN 1988) mit zwei Erstnachweisen für die Inselkette sowie die Familien Mycetophilidae, Keroplatidae und Bolitophilidae (PLASSMANN 1988) mit 74 Erstnachweisen.

Kritische Beurteilung des Erfassungsstandes

Die festgestellten 195 Arten machen nur einen Anteil von 5 % der deutschen Fauna der Diptera Nematocera (N = 3.800, SCHUMANN et al. 1999, SCHUMANN 2002, 2004) aus. Es liegt auf der Hand, dass die vorliegenden Daten nur einen Bruchteil der tatsächlich auf der Inselkette etablierten Arten umfassen: Vertreter von 10 in Deutschland präsenten Familien wurden überhaupt noch nicht auf der Inselkette nachgewiesen, wobei es sich allerdings zumeist um in ganz Deutschland artenarme Gruppen handelt. Für die übrigen Familien ergibt sich beim Vergleich des Insel-Spektrums mit dem deutschen Artenbestand ein sehr heterogenes Bild (Tab. 3).

Relativ gut untersucht sind die artenarmen Bibionidae (53 % bundesdeutscher Anteil, s.o.), Ptychopteridae (38 %, STUKE & REUSCH 2006) und Anisopodidae (22 %) sowie Tipulidae (18 %) mit mittlerer Artenzahl. Die größten Defizite sind mit Sicherheit bei den artenreichen Gruppen der Cecidomyiidae (0,4 %), Ceratopogonidae (2 %), Chironomidae (2 %) und Sciaridae (5 %) zu konstatieren. Bei einigen Familien (z.B. Culicidae, Ceratopogonidae) muss berücksichtigt werden, dass die alten Meldungen aus heutiger Sicht oft nur das Niveau von Artenkomplexen haben, sodass in Wahrheit wahrscheinlich mehr Arten gefunden wurden.

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Tab. 3: Artenzahlen und -anteile der auf den Ostfriesischen Inseln vertretenen Nematocera-Familien im Vergleich zum jeweiligen Arteninventar in Deutschland.

Die auf den jungen Inseln Memmert und Mellum offensichtlich recht gut erfassten Mycetophilidae erbringen immerhin einen bundesdeutschen Anteil von über 10 %. Vor dem Hintergrund, dass bei anderen Arthropodengruppen der jeweilige Artenanteil der jungen Inseln zur Inselkette zwischen 20 und 50 % beträgt, kann auch bei den Mycetophilidae mindestens von einer Verdopplung des Artenbestandes ausgegangen werden, das wären in etwa 140 bis 150 Arten (= ca. 25 % des bundesweiten Arteninventars). Hochgerechnet auf die gesamte Gruppe der Nematocera entspricht das in etwa einem Artenbestand von 1.000 Arten auf der Inselkette.

Basierend auf einem Artikel von:

Dr. Rolf Niedringhaus
Carl-von-Ossietzky-Universität
Fakultät V, Institut für Biologie u. Umweltwissenschaften
D - 26111 Oldenburg
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Unter Mitarbeit von Kai Heller, Ellen Kiel, Frank Menzel, Hans Meyer, Eberhard Plassmann, Herbert Reusch, Rainer Samietz und Martin Spies.

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Stand: 02/2009