Die Flora und Fauna der Ostfriesischen Inseln

Langbein-, Tanz- und Rennraubfliegen der Ostfriesischen Düneninseln

(Diptera: Brachycera: Orthorrhapha: Empidoidea: Dolichopodidae, Microphoridae, Empididae, Hybotidae)

Artenverzeichnisse und Analysen zum Besiedlungsstand im Vergleich zur nordfriesischen Geestkerninsel Amrum

Zusammenfassung

Auf den ostfriesischen Düneninseln wurden bisher 177, auf der nordfriesischen Geestkerninsel Amrum 68 Arten der Langbein-, Tanz- und Rennraubfliegen (Empidoidea) nachgewiesen. 15 Arten, die auf Amrum vorkommen, wurden bisher auf den Ostfriesischen Inseln nicht gefunden. Der Bestand der Ostfriesischen Inseln (177 Arten) entspricht einem Anteil von 16,7 % der deutschen (1.060 Arten) bzw. 41,2 % der niedersächsischen Empidoidea-Fauna (430 Arten). Die höchsten Artenzahlen wurden mit 131 auf Borkum festgestellt, gefolgt von Mellum (85), Memmert (46), Norderney (38) und Wangerooge (30). Die Arten der Ostfriesischen Inseln und Amrums sind durch einen hohen Spezialisierungsgrad mit vielen biotopspezifischen Arten der Gewässer-Ufer (40), Gehölze (38), Wiesen und Weiden (22), Salzwiesen (19) und sandigen Biotope (15) charakterisiert. Die artenreichsten Inselbiotope mit real plus potenziell vorkommenden Arten sind die Gewässer mit 108 Arten und die Primärbiotope der Hygroserie mit 90 Arten in feuchten Dünentälern und 82 Arten in ihren Gehölzbeständen.
Farbschalenfänge auf Mellum 1986 zeigten für Dolichopodidae eine einfache Dominanzstruktur (8 Arten mit 93,7 % Gesamtindividuenanteil) sowie deutliche Unterschiede im Sexualindex und eine ausgeprägte Gelbschalenpräferenz der meisten Arten. In ökologischer Hinsicht zeigte sich neben einer mehr oder weniger deutlichen Verteilung der Arten auf spezifische Biotoptypen auch die Bedeutung von Übergangsbereichen, wie z.B. der Übergang von der Strandhafer-Weißdüne mit der dominanten Grasart Ammophila arenaria zur oberen Salzwiese. 25 in Deutschland gefährdete Arten der Kategorien 1-3 belegen, dass der Ostfriesischen Inselkette zu Recht der hohe Schutzstatus eines Nationalparks zuerkannt wurde.

Summary

Long-legged flies and dance flies of the East Frisian dune islands. Species lists and analyses of the state of colonisation as compared to the North Frisian "Geest" core island Amrum. - The inventory of long-legged flies and dance flies (Empidoidea) comprises 177 species for the East Frisian dune islands and 68 species for the North Frisian island of Amrum encompassing a sandy upland core ("Geest"). Up to now, 15 species recorded from Amrum island are absent from the East Frisian islands. The species recorded from the East Frisian islands (177) represent 16.7 % of the German Empidoidea fauna (1,060 species) and 41.2 % of the Lower Saxon fauna (430 species). Species richness is highest on Borkum island (131) followed by the islands of Mellum (85), Memmert (46), Norderney (38), and Wangerooge (30). The species inhabiting the East Frisian islands and Amrum island show a high degree of preference for specific biotopes, including edges of waters (40), groves (38), meadows and pastures (22), salt marshes (19), and sandy sites (15). With regard to the richness of recorded plus potential species the edges of waters stand out with 108 species, followed by the primary biotopes of the successional hygro-series, comprising moist dune valleys inclusive of dune slacks (90 species) and dune groves (82 species).
Colour trap catches conducted on Mellum in 1986 revealed a rather simple structure of dominance (8 species with 93.7 % of all specimens), significant differences concerning the sex ratio and a distinct preference of most species for yellow traps. In ecological respect more or less distinct preferences of species for certain types of biotopes as well as the importance of certain transitional sites, such as yellow dunes dominated by Ammophila arenaria and the upper zones of salt marshes are demonstrated. The occurrence of 25 Empidoidea species classified under the German Red List categories 1 to 3 shows that the East Frisian island chain was rightly awarded the top protection status of a National Park.

Was sind... Langbein-, Tanz- und Rennraubfliegen?

Die Larven und Imagines der Empidoidea nutzen ein großes Spektrum unterschiedlicher Habitate in vielen Ökosystemen. Die Lebensräume der Larven umfassen aquatische, semiterrestrische bis ausgeprägt terrestrische Habitate. Auch extreme Bereiche wie Salzwiesen, Salzstellen, Sanddünen, Trockenrasen und Felsfluren bieten Lebensraum für viele Arten. Die Larven bewohnen überwiegend die Bereiche des Oberbodens und der Bodenstreu. Viele Arten können sich aber auch in verrottendem Holz entwickeln.

Ausgeprägte morphologische Unterschiede der Imagines bilden die Voraussetzung für eine deutliche Differenzierung im Ernährungs- und Paarungsverhalten der einzelnen Arten. Die Ernährungsweise, die sowohl tierische als auch pflanzliche Kost (Nektar oder Pollen) beinhalten kann, wird z.B. durch die Rüssellänge beeinflusst. Die überwiegend kurzen Saugrüssel der Dolichopodidae und Hybotidae werden hauptsächlich zum Anritzen und Aussaugen gefangener Beutetiere eingesetzt. Bei den Blüten besuchenden Tanzfliegen, insbesondere bei der Unterfamilie der Empidinae, ist die Rüssellänge mit den bevorzugten Blüten korreliert. Arten mit kurzem Rüssel bevorzugen Blüten mit leicht zugänglichen Nektarquellen, wie Dolden- und Korbblütler, während Arten mit langen Rüsseln auch das Nektarangebot von Lippen- und Rachenblütlern sowie Glockenblumen nutzen können (GRUNDMANN 2003).

Die morphologische Differenzierung der Beine ermöglicht einerseits durch die Ausbildung von Fangbeinen eine Steigerung der Effektivität beim Beutefang sowie andererseits durch das Auftreten auffälliger Schaustrukturen ein komplexes Balzverhalten vieler Arten. Die am besten ausgeprägten Fangbeine mit verdickten Schenkeln (Femora) und einer Dornenbewehrung zum sicheren Ergreifen und Festhalten der Beute kommen z.B. bei den Rennraubfliegenarten der Gattung Platypalpus mit abgeänderten Mittelbeinen vor (STARK 1994).
Schaustrukturen wie Farbmuster, Befiederung und Verbreiterung einzelner Beinglieder, kontrastreiche Flügelmuster, das Ausstülpen abdominaler Intersegmentalhäute sowie die Bildung von Schleierchen aus einem Drüsensekret, das aus dem verdickten Grundglied der Vordertarsen bei der Tanzfliegengattung Hilara abgesondert wird, werden als Signale bei der Balz eingesetzt.
Ein hoch entwickeltes Balzverhalten ist bei vielen Arten der Dolichopodidae sowie bei den Tanzfliegen der Empidinae ausgeprägt. Viele Dolichopodidae, z.B. Poecilobothrus nobilitatus, besitzen streng abgegrenzte Reviere, die heftig verteidigt werden (LUNAU 1991, 1996). Die meisten Empididenarten der Gattungen Hilara, Empis und Rhamphomyia bilden Tanzschwärme, bei denen die Männchen den Weibchen ein "Hochzeitsgeschenk" z.B. ein gefangenes Insekt übergeben. Dieses Balzverhalten mit der Futterübergabe ist oft hochgradig ritualisiert. Die Männchen einiger Hilara-Arten stellen einen glänzenden Ballon her, mit dem sie beim Tanzen die Weibchen anlocken (GRUNDMANN 2003).

Einleitung

Die ostfriesischen Düneninseln sowie die nordfriesische Geestkerninsel Amrum mit ihren einzigartigen Küstenbiotopen sind ein Lebensraum mit überwiegend rasch ablaufenden Prozessen. Sie stellen eine der letzten großräumigen Primärlandschaften im nördlichen Mitteleuropa dar. Die spezifischen Inselbiotope (Biotoptypen, vgl. EGGERS et al. 2008) zeigen eine oft mosaikartige Anordnung auf engem Raum und bilden durch diese landschaftsräumliche Heterogenität ein hohes Ressourcenpotenzial für viele Insektengruppen, wie z.B. auch für die Langbein-, Tanz- und Rennraubfliegen. Die Lebensräume der einzelnen Inseln umfassen Außensände, Strände, Strandwälle, Strandwiesen, Salzwiesen mit Quellerwatt, Brackgewässer sowie Röhrichte, Tümpel, Dünen, Weiden, Wiesen, Gehölze, Felder und Gärten.

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Männchen von Hydrophorus oceanus, eine häufige Langbeinfliege der Küstenregion. Bevorzugte Lebensräume dieser Art sind die untere Salzwiese mit Andelrasen, Grüppen, Prielen, Salicornia-Spartina-Watt sowie Dünenbereiche. Die Art kann auf der Wasser-oberfläche umhergleiten, wobei häufig Tiere in Praekopulationsstellung zu beobachten sind, bei der die Weibchen ihre Männchen Huckepack tragen. (Körperlänge ca. 3 mm; Illustration D. Kramer).

Im Gegensatz zu den übrigen deutlich älteren Ostfriesischen Inseln - ausgenommen Memmert - erreichte die Dünensukzession auf der Insel Mellum bisher nur das Stadium sekundärer Weißdünen. Es existieren deshalb dort keine anmoorigen Dünentäler und heideartige Vegetationseinheiten. Abgesehen von größeren Rosa rugosa- Beständen in Deichnähe konzentrieren sich gebüschartige Gehölzstrukturen auf Mellum (Betula carpatica, Hippophae rhamnoides, Prunus domestica, Salix, Sambucus nigra) überwiegend auf das eingedeichte Ringdeichareal (SCHLEPPEGRELL 2005).

Hauptgesichtspunkte der Faunenerfassung auf den einzelnen Inseln waren neben sicheren Artnachweisen der Empidoidea ihre ökologische Zuordnung, ihre Präsenz und Häufigkeit in unterschiedlichen Biotop-Typen sowie eine Abschätzung ihres Gefährdungsgrades anhand der Roten Listen von Deutschland und Belgien.

Die Langbein-, Tanz- und Rennraubfliegen der Ostfriesischen Inseln und Amrum

Grundlage für die Bestandsaufnahme der Empidoidea der Ostfriesischen Inseln war die Zusammenstellung von BRÖRING et al. (1993), die Nachweise von ALFKEN (1891, 1924, 1930), KRÖBER (1931, 1932, 1935, 1937, 1958), KÜHLHORN (1981), POPPE (1891), SCHNEIDER (1898), SCHUBART & SACK (1924), STRUVE (1939) und VERHOEFF (1893) umfasste. Datengrundlage für die nordfriesische Geestkerninsel Amrum waren die Untersuchungen von BRAUNS (1949a, 1949b), EMEIS (1961, 1964, 1970), KARL (1930) und KRÖBER (1931-1958). Ergänzt wurden die Bestandsaufnahmen durch eine Sichtung der Struve-Sammlung von Borkum, die sich im Landesmuseum von Münster befindet, sowie durch neuere Untersuchungen der Koautorin, die unpublizierte Auswertungen von Bodenfallenfängen (1994-1998) auf Borkum, Memmert und Wangerooge sowie Untersuchungen von Farbschalenfängen auf Mellum (1986) beinhalteten (SCHLEPPEGRELL 2005).

Die Klassifizierung der Biotoptypen auf den einzelnen Inseln erfolgte nach EGGERS et al. (2008).

Auf Borkum und Wangerooge erfolgte die Erfassung der Empidoidea mit Bodenfallen (Fangöffnung 5,6 cm), die innerhalb von Transsekten angeordnet waren und sich von der Mittel-Tide-Hochwasser-Linie (MThw) bis in die Dünen hinein erstreckten (Borkum: ca. 125 m bzw. 70 m, Wangerooge: ca. 175 m; SCHULTZ et al. (2000). Zusätzliche Daten ergaben sich aus den Fängen einer kleinen Bodenfallenserie vom Memmert. Auf Mellum wurden die Untersuchungen mit Farbschalen-Kombinationen an 16 verschiedenen Standorten (Salzwiese, Dünen, Übergangsbereiche Salzwiese-Dünen) sowie in einem eingedeichten hochwassersicheren Ringdeichareal durchgeführt. Eine Farbschalenkombination bestand aus einer weißen und einer gelben Farbschale (Höhe: 6 cm, Durchmesser 14 cm), die im Abstand von etwa 5 cm nebeneinander ins Gelände ausgebracht wurden. Als Fangflüssigkeit diente bei Bodenfallen und Farbschalen eine mit Entspannungsmittel versetzte 1-2 %ige wässrige Formaldehydlösung (SCHLEPPEGRELL 2005).

Artenbestand auf den Inseln

Bisher wurden auf den Ostfriesischen Inseln 177 Arten der Empidoidea nachgewiesen (Anhang), die 16,7 % der deutschen (1060 Arten) und 41,2 % der niedersächsischen Fauna (430 Arten) entsprechen. Die Artenzahlen der Empidoidea beziehen sich auf die Deutschland-Checkliste inklusive zweier Nachträge mit 989 Arten sowie auf neuere Untersuchungen, die insgesamt einen Artenbestand von ca. 1060 Arten für Deutschland sowie von ca. 430 Arten für Niedersachsen ergaben (SCHUMANN et al. 1999, SCHUMANN 2002, 2004, Meyer 2007 unpubl.). Unter Einbeziehung der nordfriesischen Insel Amrum kommen noch 15 weitere Arten hinzu (Tab. 1).

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Tab. 1: Von Amrum, aber nicht von den Ostfriesischen Inseln bekannte Arten mit ihrem Rote-Liste-Status (RL) in Deutschland (DE) und Belgien (BE) sowie Daten zu Ökologie und Nachweiszeiträumen (3 = 1926-50, 4 = 1951-75). Kürzel: RL: Tab. 5, Ökologie: Tab. 2.

Auf der größten und landschaftlich vielgestaltigsten alten Insel Borkum wurde mit 131 Arten der Empidoidea die mit Abstand höchste Artenzahl festgestellt. An zweiter Stelle folgt mit 85 Arten der Bestand auf der kleinen Jungdüneninsel Mellum mit ihrer deutlich geringeren räumlichen Strukturierung. An dritter Stelle liegt die strukturarme Jungdüneninsel Memmert mit 46 sowie an vierter Stelle die alte strukturreiche Düneninsel Norderney mit 38 Arten.

Die nordfriesische Insel Amrum, die ebenfalls alt und strukturreich ist, hat einen Bestand von 68 Arten, von denen 53 auch auf den Ostfriesischen Inseln nachgewiesen wurden (Tab. 1).

Auf allen Ostfriesischen Inseln und auf Amrum wurden nur die euryöken Langbeinfliegen Dolichopus plumipes und D. ungulatus nachgewiesen. Auf 6 Inseln kamen 4 Arten der Dolichopodidae, auf 5 Inseln 5 Arten vor. Die restlichen Arten verteilten sich auf je 1 - 4 Inseln (Bestand OI). Der Erfassungsstand der Empidoidea ist auf den einzelnen Inseln sehr unterschiedlich. Am besten sind die Langbeinfliegen (Dolichopodidae) erfasst, die auf Borkum (90 Arten) und Mellum (79 Arten) mit Handfängen sowie mit Bodenfallen bzw. Farbschalen kontinuierlich über längere Zeiträume untersucht wurden. Die Fauna der Tanz- und Rennraubfliegen (Empididae, Hybotidae) wurde dagegen auf allen Inseln nur sporadisch erfasst. Bei weiteren Untersuchungen sind auf den Ostfriesischen Inseln und auf Amrum sowohl für Langbeinfliegen, mit Ausnahme von Borkum und Mellum, als auch besonders für Tanz- und Rennraubfliegen noch zusätzliche Arten zu erwarten.

Ökologische Präferenz und faunistische Besonderheiten

Die Langbein-, Tanz- und Rennraubfliegen der Ostfriesischen Inseln und Amrums zeigen hinsichtlich ihrer Biotoppräferenz einen hohen Spezialisierungsgrad (Tab. 2).

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Tab. 2: Ökologische Zuordnung der Empidoidea-Arten auf den Ostfriesischen Inseln und auf Amrum.

Lediglich 32 Arten (18 % bzw. 16,7 % inkl. Amrum) sind als euryök (ohne Präferenz) einzustufen. Die übrigen Arten bevorzugen spezifische Biotope wie Gewässerufer (ripicol: 40/42 Arten inklusive Amrum), Wälder und Gehölze (silvicol: 38/40), Wiesen und Weiden (praticol: 22/23), Salzwiesen (praticol-S: 19/22), Dünen und Sände (arenicol: 15/21) sowie Torfböden und Hochmoore (tyrphophil: 8/9).

Insgesamt 17 Arten sind charakteristisch für den Nordsee-Küstenraum. In Küstendünen sind dies die Dolichopodidae Muscidideicus praetextatus und Sciapus maritimus, die Hybotidae Chersodromia hirta und C. incana (beide Amrum) sowie Crossopalpus setiger und Tachydromia sabulosa. In Salzwiesen sind es die Dolichopodidae Dolichopus clavipes, D. diadema, D. latipennis (Amrum), Hydrophorus oceanus, Machaerium maritimae, Orthoceratium lacustre, Thinophilus flavipalpis und T. ruficornis, die Empidide Hilara lundbecki sowie die Hybotidae Chersodromia cursitans und Crossopalpus curvipes (beide Amrum).

Nutzung der unterschiedlichen Landschaftsräume auf den Inseln

Auf den Ostfriesischen Inseln werden alle terrestrischen Landschaftsräume sowie auch die Strand- und Gewässerbereiche von insgesamt 177 Langbein-, Tanz- und Rennraubfliegenarten genutzt (Tab. 3).

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Tab. 3: Verteilung der Empidoidea-Arten auf einzelne Biotoptypen der Ostfriesischen Inseln und Amrum.

Die artenreichsten Biotope auf den Inseln sind bei den Primärbiotopen die Hygroserie der feuchten Dünentäler (90 Arten) und ihrer Gehölze (82) mit zusammen 124 Arten, von denen 29 in den einzelnen Biotopen nachgewiesen wurden. Außerdem können dort 95 weitere Arten vorkommen, da sie ebenfalls von den Inseln bekannt sind, jedoch spezifische Biotopangaben bei den Artnachweisen fehlen. An zweiter Stelle folgt die Xeroserie mit insgesamt 92 Arten, die sich auf xerotherme Graudünen-Grasfluren (61), Strandhafer-Weißdünen (48) und Küstendünen- Gebüsche (37) verteilen. An dritter Stelle steht die Haloserie der Salzwiesen und Quellerfluren mit zusammen 67 Arten (obere Salzwiese- Brackwasser-Röhricht: 24, obere Salzwiese-Rest: 46, untere Salzwiese mit Queller- u. Schlickgras-Watt: 38). Die Sekundärbiotope Grünland und Deiche (43 Arten), Ruderal- und Halb-Ruderal-Fluren (29), angepflanzte Gehölze (43) und Siedlungsbereiche (46) sind mit insgesamt 88 Arten vertreten. Die Bereiche der brackigen bis süßen Gewässer inklusive ihrer unmittelbaren Uferzonen sind mit 108 Arten ebenfalls artenreich. Insgesamt sind die Empidoidea also in der Lage, ein umfangreiches Spektrum unterschiedlicher terrestrischer, semi-aquatischer und aquatischer Biotoptypen der Inseln zu besiedeln, wobei die feuchten Biotope die größte Artenvielfalt aufweisen.

Eine detaillierte Faunenerfassung mit Farbschalen von Mai bis Oktober 1986 auf der Jungdüneninsel Mellum, die auch die Übergangsbereiche zwischen verschiedenen Biotoptypen berücksichtigte, erbrachte 19.505 Individuen der Dolichopodidae aus 73 Arten (SCHLEPPEGRELL 2005). Dominant waren Dolichopus clavipes (19,9 %), D. diadema (17,6 %), D. brevipennis (17,6 %), D. plumipes (16,1 %) und Sciapus maritimus (12,9 %), die zusammen einen Individuenanteil von 83,9 % am Gesamtfang erreichten. Hinzu kamen noch die rezedenten Arten Medetera truncorum (3,6 %), Rhaphium riparium (3,3 %) und Syntormon pallipes (2,9 %). Das Dominanzgerüst bestand also aus relativ wenigen Arten (8 mit 93,7 % Gesamt-Individuenanteil), so dass die Dominanzstruktur insgesamt durch einen steilen Kurvenverlauf gekennzeichnet war, wie es für extreme Standorte, z.B. Salzwiesen und Dünen, charakteristisch ist.

Das Geschlechterverhältnis bei den Dolichopodidae von Männchen zu Weibchen zeigte in den Farbschalenfängen auf Mellum deutliche Unterschiede zwischen den häufigeren Arten (Gesamtfang > 50 Individuen). Bei sieben Arten mit Campsicnemus curvipes (1,8), Chrysotus gramineus (2,1), Dolichopus brevipennis (1,8), Hydrophorus oceanus (1,5), Medetera truncorum (1,4), Rhaphium riparium (1,7) und Syntormon pallipes (1,6) überwogen die Männchen, während bei vier Arten mit Dolichopus notatus (0,3), D. sabinus (0,5), Muscidideicus praetextatus (0,2) und Sciapus maritimus (0,6) ein deutlicher Weibchenüberschuss auftrat. Ein relativ ausgeglichenes Geschlechterverhältnis wurde für sechs Arten mit Campsicnemus armatus (1,1), Dolichopus claviger (1,0), D. clavipes (1,3), D. diadema (1,1), D. nubilus (0,9) und D. plumipes (0,8) festgestellt. Da bei der gewählten Fangmethode nur der Farbschalen-Sexualindex der Tiere entsprechend ihrer Farbschalen-Aktivität erfasst wurde, lassen sich aus diesen Daten keine unmittelbaren Schlüsse auf das tatsächlich im Freiland vorliegende Zahlenverhältnis der Geschlechter ableiten.

Die Farbpräferenz der häufigeren Arten der Dolichopodidae (Gesamtfang > 50 Individuen) auf Mellum war im Vergleich von weißen und gelben Farbschalen durch eine sehr deutliche Gelbpräferenz gekennzeichnet. Der Individuenanteil in den Gelbschalen lag bei 6 Arten zwischen 56 % und 63 % (Campsicnemus curvipes 63 %, Dolichopus brevipennis 61 %, D. clavipes 56 %, D. diadema 58 %, D. nubilus 57 %, D. plumipes 60 %) sowie bei 10 Arten zwischen 75 % und 90 % (Campsicnemus armatus 75 %, Chrysotus gramineus 84 %, Dolichopus claviger 79 %, D. notatus 86 %, D. sabinus 80 %, Hydrophorus oceanus 76 %, Muscidideicus praetextatus 90 %, Rhaphium riparium 76 %, Sciapus maritimus 77 %, Syntormon pallipes 78 %). Nur Medetera truncorum bevorzugte deutlich die Weißschalen mit 69 %.

Die biotopspezifische Verteilung der Arten auf Mellum zeigte bei 25 näher untersuchten Arten der Dolichopodidae (Gesamtfang > 15 Tiere) recht deutliche Schwerpunkte. Neben Arten, die sich hauptsächlich in einem Biotoptyp konzentrieren wie z.B. Dolichopus diadema in der oberen Salzwiese und Machaerium maritimae in der Strandhafer-Weißdüne sind für andere Langbeinfliegenarten auch die Übergangszonen zwischen einzelnen Biotoptypen von Bedeutung. Beispiele dafür sind die sandige Areale bevorzugenden Dünen-Langbeinfliegen Sciapus maritimus mit hohen Individuenzahlen in der Strandhafer-Weißdüne (dominante Pflanzenart: Ammophila arenaria) und in deren Übergangsbereich zur oberen Salzwiese sowie Muscidideicus praetextatus, die - jedoch mit deutlich geringeren Individuenzahlen - ebenfalls in diesen Bereichen vorkommt.

Die Inseln als schützenswerter Lebensraum

Neben 17 Küsten-Arten (Ostfriesische Inseln 12, Amrum 5 Arten, s. Kap. ökol. Präferenz) stehen noch weitere Inselarten auf den Roten Listen Deutschlands (BELLSTEDT & WAGNER 1998, JOOST & WAGNER 1998) und Belgiens (GROOTAERT et al. 2001, POLLET 2000). Insgesamt finden sich auf den Ostfriesischen Inseln nach den Roten Listen Deutschlands bzw. Belgiens 12 bzw. 6 Arten der Kategorie "gefährdet", 12 bzw. 8 Arten der Kategorie "stark gefährdet" sowie 1 bzw. 7 Arten der Kategorie "vom Aussterben bedroht" (Tab. 4). Der Anteil der Arten mit Gefährdungskategorie 1-3 (25 bzw. 21) am gesamten Insel-Artenspektrum liegt bei ca. 14 bzw. 12 %. Hinzu kommen noch 41 empfindliche Arten der Kategorie "selten" (r1-r3) nach der Roten Liste Belgiens mit 23 % sowie 1 Art der Vorwarnliste (V). Als ausgestorben bzw. verschollen (0) gelten insgesamt 8 Arten, die von den Ostfriesischen Inseln nur aus Nachweisen vor 1950 bekannt sind. Es sind dies die Dolichopodidae Dolichopus eurypterus, Hydrophorus balticus, Liancalus virens, Orthoceratium lacustre, Sciapus vialis und Tachytrechus ammobates, die Empidide Hilara griseola und die Hybotide Platypalpus fuscicornis. Auf der nordfriesischen Geestkerninsel Amrum sind es die Dolichopodide Tachytrechus ammobates sowie die Empidide Rhamphomyia variabilis.

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Tab. 4: Gefährdungsstatus der Empidoidea auf den Ostfriesischen Inseln und auf Amrum nach den Roten Listen Deutschlands (I.) und Belgiens (II.). Die dazugehörigen IUCN-Kategorien stehen als Kürzel in Klammern: EW: extinct in the wild, CR: critically endangered, EN: endangered, VU: vulnerable, R: rare/susceptible, NT: near threatened, LR: safe/low risk, D: insufficiently known (GROOTAERT et al. 2001, POLLET 2000). In der Roten Liste Belgiens ist R noch weiter unterteilt in r1, r2 und r3 (POLLET 2000). Anmerkung: R in der Roten Liste Belgiens entspricht nicht der deutschen Kategorie R für regional extrem seltene Arten (STARK 2004).

Die enge Einnischung vieler Empidoidea-Arten innerhalb spezifischer Biotope bedingt ihre spezielle Gefährdung, die in erster Linie durch die Zerstörung von Lebensräumen verursacht wird und sie belegt ihre Bioindikatorfunktion für die Zustandsbewertung naturnaher Ökosysteme (STARK 2004, 2006). Gefährdungsursachen auf den Inseln sind die in den letzten Jahrzehnten erfolgten Eindeichungen von Küstensalzwiesen und die aktuellen Beeinträchtigungen durch den Massentourismus wie z.B. den übermäßigen Vertritt in Dünen und Salzwiesen. Die genannten Zahlen belegen, dass die Ostfriesischen Inseln, wie bei den Zikaden, einer artenreichen und charakteristischen Artengemeinschaft mit vielen gefährdeten Arten gute Lebensraumverhältnisse bieten (vgl. NIEDRINGHAUS 2008). Der dauerhafte Schutz von Landschaftsräumen und Artengemeinschaften ist daher durch den Nationalpark langfristig zu sichern, wobei besonderes Augenmerk auf die küstenspezifischen Biotope der Dünen und Salzwiesen inklusive ihrer Brackwasser-Röhrichte zu legen ist.

Basierend auf einem Artikel von:

Dr. Hans Meyer (Korrespondend)
Ökologie-Zentrum
Zentrale Abt. Ökosystemforschung
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Olshausenstraße 40
D-24098 Kiel
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Dipl. Biol. Meike Schleppegrell
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