Die Flora und Fauna der Ostfriesischen Inseln

Niedere Fliegen der Ostfriesischen Inseln

(Diptera: Brachycera: Orthorrhapha: Stratiomyidae, Rhagionidae, Therevidae, Scenopinidae, Asilidae, Bombyliidae, Tabanidae)

Zusammenfassung

Die Überprüfung der auf den Ostfriesischen Inseln gesammelten Waffen-, Schnepfen-, Stilett-, Fenster-, Raub-, Hummelfliegen und Bremsen (Stratiomyidae, Rhagionidae, Therevidae, Scenopinidae, Asilidae, Bombyliidae, Tabanidae) und entsprechender Literaturdaten ergab insgesamt 45 Arten. Diese entsprechen 13 % des deutschen Bestandes. Am häufigsten sind die Waffenfliegen Nemotelus notatus und N. uliginosus, Chloromyia formosa, Oplodontha viridula sowie die Raubfliege Philonicus albiceps. Die Inseln sind sehr ungleichmäßig untersucht: Borkum und die jungen Inseln Memmert und Mellum relativ gut, für die anderen Inseln liegen nur einzelne Angaben vor. Es ist anzunehmen, dass sich bei Intensivierung der Erfassungen die Art-Nachweise mindestens verdoppeln würden.

Summary

The soldier flies, snipe flies, stiletto flies, window flies, robber flies and bee flies (Stratiomyidae, Rhagionidae, Therevidae, Scenopinidae, Asilidae, Bombyliidae, Tabanidae) of the East Frisian islands. - Based on a critical evaluation of the available published and unpublished data, the present account gives a survey of seven families of Diptera Orthorrhapha present on the East Frisian islands. To date, a total of 45 species out of the dipteran families in question have been recorded from the islands. Found widespread on the isIands are at least the soldier flies Nemotelus notatus, N. uliginosus, Chloromyia formosa, Oplodontha viridula and the robber fly Philonicus albiceps. However, the islands are not surveyed to the same degree: While Borkum, Mellum and Memmert islands are comparatively well-studied, only few records are available from the other islands. It is assumed that at least the fly species associated with openland habitats are successfully established on the islands.

Was sind... Niedere Fliegen?

Bei den Zweiflüglern (Diptera) werden zwei Unterordnungen unterschieden, die meist schlanken und zarten Mücken (Nematocera) und die meist gedrungeneren Fliegen (Brachycera). Während bei den Mücken die Fühler viele gleichartige Glieder aufweisen, bestehen sie bei den Brachycera aus wenigen ungleich großen Gliedern, die auf dem Endglied eine zumeist aufällige Borste (Arista) besitzen.


Tab. 1: In Deutschland umfasst die Gruppe der hier behandelten Orthorrhapha (excl. Empidoidea) 13 Familien mit ca. 340 Arten (SCHUMANN et al. 1999, SCHUMANN 2002, 2004). Von diesen sind auf den Ostfriesischen Inseln 7 Familien präsent.

Innerhalb der Fliegen werden zwei Großgruppen unterschieden: Die oft als "Orthorrhapha" geführten "Spaltschlüpfer" werden den Deckelschlüpfern (Cyclorrhapha) gegenübergestellt. Die Imagines der hier behandelten ersten Gruppe schlüpfen durch einen T-förmigen Spalt aus der Puppe, ihnen fehlen am Kopf Ptilialnaht und Stirnblase. Die Fühler sind relativ kurz, meist mit einem längeren 3. Glied. Das im Vergleich zu den Cyclorrhapha weniger stark reduzierte Flügelgeäder weist auf eine gewisse Zwischenstellung dieser Fliegen zu den Mücken hin.

Die Waffenfliegen entwickeln sich in Gewässern (z.T. in Brack- oder Salzwasser), die Imagines leben in oder an Wäldern, z.T. auch in Gärten; sie ernähren sich von Pollen, Nektar oder Dung. Die räuberischen Larven der Bremsen leben in Böden vorzugsweise in Gewässernähe; die weiblichen Imagines saugen Blut, die männlichen leben von Nektar.
Die Schnepfenfliegen sind in Wäldern und an Waldrändern anzutreffen; sie ernähren sich teils haematophag, teils auch zoophag. Die haematophagen Arten der beiden vorgenannten Familien sind damit in ihrem Vorkommen an die Präsenz von Wirtstieren (oft Säugetiere) gebunden.
Ein Großteil der Stilettfliegen kommt in trockenen Offenlandbereichen vor; die Larven leben in Sandböden. Auf den Inseln besiedeln sie unterschiedliche Dünenhabitate; die Larven sind zoophag, die Imagines nehmen fast nur noch Wasser auf.
Fensterfliegen weisen eine ähnliche Lebensweise auf, einige Arten (wie Scenopinus fenestralis) halten sich oft in der Nähe menschlicher Behausungen ("an Fenstern") auf. Die Larven der Raubfliegen leben sehr tief im Boden, die Imagines zoophag in Offenlandbereichen und auf Lichtungen von Wäldern, gelegentlich in Gebüschbereichen.
Die hummelartig aussehenden Imagines der Hummelfliegen oder Wollschweber kommen in blütenreichen Bereichen des Offenlandes vor, sie ernähren sich von Nektar und Pollen, die Larven leben parasitoid an anderen Insekten.

Einleitung

acrosathe_annulata_ms.jpg
Acrosathe annulata ist eine für trockene Küstendünenbereiche charakteristische Art; sie gehört zu den häufigeren Arten der Stilettfliegen und wurde auf vier Ostfriesischen Inseln nachgewiesen (Foto: M. Stöckmann).

Die vorliegende Arbeit gibt für die Ostfriesischen Inseln einen Überblick über die Dipteren-Gruppe der Orthorrhapha ("Spaltschlüpfer") mit Ausnahme der Empidoidea (vgl. MEYER & SCHLEPPEGRELL 2008). In einem auf Literaturdaten basierten Artenverzeichnis werden die bislang nachgewiesenen Waffen-, Schnepfen-, Stilett-, Fenster-, Raub-, Hummelfliegen und Bremsen (Stratiomyidae, Rhagionidae, Therevidae, Scenopinidae, Asilidae, Bombyliidae, Tabanidae) aufgelistet.

Als Fortsetzung zur ersten Zusammenstellung in BRÖRING et al. (1993: 125) wurden diverse alte Angaben kritisch bewertet und auf den neuesten nomenklatorischen Stand gebracht. Die Ergebnisse einer zwischenzeitlich durchgeführten Sammlungsrevision (BARKEMEYER 1995) wurden eingearbeitet. Außerdem wurden zahlreiche neue Fundmeldungen der seit 1993 erschienenen Publikationen in die Artenverzeichnisse integriert.

Datengrundlage

villa_modesta_vh.jpg
Die auf den Ostfriesischen Inseln extrem seltene Hummelfliege Villa modesta wurde seit 1975 nur auf Norderney festgestellt (Foto: V. Haeseler).

Insgesamt liegen 18 Arbeiten vor, in denen Arten der hier berücksichtigten Familien für die Ostfriesischen Inseln angegeben werden. Bis zur Wende des vorletzten Jahrhunderts waren 30 Arten von diesen Inseln bekannt, 28 von Borkum (SCHNEIDER 1898). Für die jungen Inseln Memmert und Mellum wurden 6 weitere Arten durch ALFKEN (1924, 1930), SCHÜTTE (1906) und SCHUBART & SACK (1924) gemeldet (vgl. KRÖBER 1931, 1932, STUKE 2003). Außerdem erfolgten besonders auf Memmert noch etliche Spülsaumfunde. Durch die in den 1930er und 40er Jahren auf Borkum durchgeführten weiteren Untersuchungen wurden 20 Arten der Liste von SCHNEIDER (1898) bestätigt und 10 Arten neu erfasst (KRÖBER 1937, STRUVE 1939, unveröff. Tagebuchaufzeichnungen von F. und R. Struve, vgl. BARKEMEYER 1995, STUKE 2003).

In jüngerer Zeit erfolgten weitere Erfassungen auf Spiekeroog unter siedlungsdipterologischen Aspekten (KÜHLHORN 1981), bei denen aus den hier behandelten Gruppen allerdings lediglich eine Bremsenart registriert wurde. Hinzu kommen aber umfangreiche, systematische Aufsammlungen auf Memmert und Mellum (BARKEMEYER 1994) und zahlreiche Einzelmeldungen von den alten Inseln (BARKEMEYER 1993, STUKE 2003, 2004).

Artenbestand auf den Ostfriesischen Inseln

orthorrhapha_tab02.gif
Tab. 2: Auf den Ostfriesischen Inseln nachgewiesene Dipteren aus der Gruppe Brachycera-Orthorrhapha (ohne Empidoidea, ohne Spülsaumfunde).

Auf den Inseln wurden bislang 45 Arten der hier behandelten Familien der orthorraphen Dipteren nachgewiesen (Tab. 2). Für fast die Hälfte der Arten beruhen die Nachweise zwar nur auf alten bis sehr alten Meldungen, mit einem aktuellen Vorkommen auf der Inselkette ist allerdings in den meisten Fällen zu rechnen. Das bislang auf den Inseln nachgewiesene Artenspektrum entspricht damit 13 % der in Deutschland vorkommenden Arten dieser Familien.

Ähnlich wie die anderen Dipterengruppen sind auch die hier berücksichtigten Familien auf der Inselkette sehr ungleichmäßig bearbeitet. Während die beiden jungen Inseln durch die umfassenden Erhebungen von BARKEMEYER (1994) als gut untersucht gelten können, trifft dies auf die alten Inseln nicht zu: So liegen von der am besten untersuchten Insel Borkum insgesamt 38 Artnachweise vor, von Spiekeroog dagegen nur 4.

orthorrhapha_tab03.gif
Tab. 3: Auf den Ostfriesischen Inseln nachgewiesene Fliegen im Vergleich zum gesamtdeutschen Bestand (* = Artikel auf dieser Website).

Die heterogene Datenlage zeigt sich auch bei Betrachtung der Nachweishäufigkeiten (Abb. 1). Während 21 Arten nur vereinzelt auf einer der 7 alten Inseln festgestellt wurden, gelang bisher lediglich von einer Art, der Stratiomyide Nemotelus uliginosus, der Nachweis auf allen Inseln. Für nachweislich gut untersuchte Gruppen ergibt sich eine "U-förmiges" Balkenschema (vgl. z.B. HAESELER 2008: Aculeate Hymenopteren) mit jeweils vielen Nachweisen auf einer und auf allen Inseln.

orthorrhapha_abb01.gif
Abb. 1: Nachweishäufigkeiten der Arten auf den 7 alten Ostfriesischen Inseln.

Selbst bei Berücksichtigung, dass auf den Inseln viele Habitate fehlen, die von zahlreichen stenotopen Arten besiedelt werden (v.a. bestimmte Waldbiotope), ist von deutlich höheren Artenzahlen für die Inselkette auszugehen. Vergleiche mit den relativ gut untersuchten Dipterengruppen der Empidoidea oder der acalyptraten Fliegen (Tab. 3) lassen für die hier behandelte Gruppe mindestens eine Verdopplung der Artenzahlen erwarten.

orthorrhapha_tab04.gif
Tab. 4: Artenzahlen und -anteile der auf den Ostfriesischen Inseln vertretenen "Orthorrhapha"-Familien im Vergleich zum jeweiligen Arteninventar Deutschlands (Empidoidea, vgl. MEYER & SCHLEPPEGRELL 2008).

Neunachweise sind für die Ostfriesischen Inseln v.a. aus den Familien der Asilidae und der Bombyliidae zu erwarten (Tab. 4), die Gruppe der Rhagionidae mit vielen Vertretern mit Waldpräferenz (s.u.) dürfte auf den Inseln allerdings unterrepräsentiert sein.

Neben Nemotelus notatus, der sogar auf Minsener Oog gefunden wurde, sind auf den Inseln offensichtlich die Waffenfliegen N. uliginosus, Chloromyia formosa, Oplodontha viridula sowie die Raubfliege Philonicus albiceps verbreitet. Die häufigste Bremse ist die Regenbremse Haematopota pluvialis, die häufigste Stilettfliege Dialineura anilis, beide Arten wurden, wie die Waffenfliege Stratiomys singularior, von 5 Inseln gemeldet.

Habitatpräferenzen

rhagio spec_ms.jpg
Die Rhagionidae sind auf den Inseln mit lediglich 2 Arten vertreten, was auf die Waldpräferenz vieler Vertreter dieser Gruppe zurückzuführen ist (Foto: M. Stöckmann).

Die Arten der hier behandelten Fliegenfamilien besiedeln auf den Inseln die unterschiedlichsten Biotope. Oft werden von Larven und Imagines jeweils unterschiedliche Teillebensräume besiedelt, Männchen und Weibchen werden z.T. in unterschiedlichen Bereichen angetroffen. Auch die Ernährungsweise, Überwinterung und allgemeine Lebensweise sind gruppen- und z.T. auch artspezifisch sehr unterschiedlich (s.o.). Diverse Arten finden sich auf den Inseln z.T. in der Nähe von Siedlungsbereichen und auf Weiden, viele Arten aber oft in Gewässernähe im Inselzentrum sowie in trockenen Dünenbereichen z.T. mit blütenreicher Vegetation. Ein Großteil aller Arten lebt vornehmlich im Bereich oder am Rande der Dünengebüsche und in der Nähe eingestreuter kleinerer Gehölzbestände und deren Lichtungen bzw. in den Parkanlagen der Ortsbereiche. Extrembiotope wie Primärdünen und tiefere Salzwiesenbereiche werden dagegen kaum besiedelt.

Fazit

Aufgrund der erfassungsbedingten Defizite hinsichtlich der hier berücksichtigten Dipterenfamilien sind weitergehende Auswertungen zum Kolonisationsgeschehen und Besiedlungserfolg auf den Inseln sehr begrenzt. Das Artenspektrum auf den Inseln dürfte durch das Fehlen bestimmter Lebensräume, v.a. verschiedenartiger Wald- oder Feuchtbiotope, eingeschränkt sein. Das Inventar des Offenlandes ist dagegen wegen des Vorhandenseins unterschiedlicher Dünenbereiche zu einem mit anderen Fliegengruppen vergleichbarem Anteil (vgl. MEYER & SCHLEPPEGRELL 2008, BRÖRING 2008a,b) vertreten. - Für weitergehende Aussagen wären Untersuchungen notwendig, um vergleichbare Datensätze zum Artenspektrum der jeweiligen Habitate zu gewinnen.

Basierend auf einem Artikel von:

PD Dr. Udo Bröring
Brandenburgische Technische Universität Cottbus
Lehrstuhl Allgemeine Ökologie
Postfach 101344
D-03046 Cottbus
email-grafik-orthorrh

Dr. Rolf Niedringhaus
Carl-von-Ossietzky-Universität
Fakultät V, Institut für Biologie u Umweltwissenschaften
D - 26111 Oldenburg
email-grafik-orthorrh2

Impressum

Copyright © by M. Bretfeld 2009
Stand: 02/2009