Die Flora und Fauna der Ostfriesischen Inseln

Ameisen, Wespen und Bienen
der Ostfriesischen Inseln

(Hymenoptera: Aculeata)

Zusammenfassung

Bis 1997 wurden für die Ostfriesischen Inseln insgesamt 345 aculeate Hymenopteren festgestellt. Ohne Bethylidae und Dryinidae entsprechen die verbleibenden 339 Arten 45,6 % der für Niedersachsen/Bremen bzw. 28,1 % der für Deutschland bekannten Arten dieser Gruppen. Die von 1974 bis 1997 auf diesen Inseln nachgewiesenen 327 Ameisen-, Wespen- und Bienen-Arten belegen eine Verschiebung der Zusammensetzung der dortigen Artenspektren. So nahm die Zahl der nicht im Boden nistenden Arten stärker zu als die Zahl der im Boden nistenden Arten. Diese Artenverschiebung wird auf einen anthropogenen naturräumlichen Wandel der Ostfriesischen Inseln zurückgeführt, der durch zunehmende Ausbreitung der Inselgebüsche verursacht wird. Es wird darauf hingewiesen, dass bei einer weiteren Zunahme der Buschwälder die im Boden nistenden Arten zurückgehen werden. Soll die Bedeutung der Ostfriesischen Inseln als Reservate vieler thermophiler, im Boden nistender Arten erhalten bleiben, sind auch in den älteren Dünenabschnitten die für diese Bereiche charakteristischen dynamischen Prozesse zu erhalten bzw. zu ermöglichen.

Summary

Ants, wasps and bees on the East Frisian islands (Hymenoptera: Aculeata). - A total of 345 aculeate hymenopterans were found on the East Frisian islands before 1997. Excluding Bethylidae and Dryinidae, the remaining 339 species represent 45.6 % of the species known for Lower Saxony/Bremen and 28.1 % of the species known for Germany. The 327 species of ants, wasps and bees found on these islands between 1974 and 1997 prove a shift in the composition of the species spectrums there. For example, the number of species not nesting in the soil increased more strongly than the number of soil-nesting species. This shift of species is explained by an anthropogenic change of the landscape on the East Frisian Islands, caused by an increasing spread of brushwood on the islands. It is pointed out that the soil-nesting species will recede with a further distribution of brushwood. If the importance of the East Frisian islands as a reserve for many thermophilic soil-nesting species is to be maintained, the dynamic processes characteristic of these areas are to be supported or enabled also in older dune areas.

Was sind... aculeate Hymenopteren?

Von den Dryiniden und Bethyliden abgesehen, für die lediglich Literaturdaten berücksichtigt wurden, wurden alle übrigen Gruppen der aculeaten Hymenopteren seit 1974 auf den Ostfr. Inseln erfasst. Damit erstreckt sich die Bearbeitung im Wesentlichen auf die Gold-, Weg-, Falten- und Grabwespen sowie Ameisen und Bienen. Von den als Parasitoide bzw. Kuckucksarten lebenden Arten abgesehen, nistet die Mehrzahl der übrigen Arten z.T. im Boden, z.T. oberirdisch in den verschiedensten Hohlräumen von Pflanzen und im Siedlungsbereich auch von Gemäuern. Bei den Goldwespen handelt es sich ausschließlich um Parasitoide. Grabwespen sind auf den Ostfriesischen Inseln mit nur drei Kuckucksarten vertreten. Von den Wegwespen und Bienen gehört jeweils etwa 1/3 aller Arten zu den Kuckucksarten. Unter den Faltenwespen finden sich auf den Ostfriesischen Inseln keine Kuckucksarten.
Von den Kuckucksbienen abgesehen, versorgen die übrigen Bienen ihre Nester mit Nektar und Pollen. Die übrigen aculeaten Hymenopteren tragen in ihre Nester Beutetiere, die bei den Wegwespen ausschließlich den Spinnen, bei den Grabwespen dagegen je nach Art den unterschiedlichsten Insektengruppen aber auch Spinnengruppen angehören. Die adulten Tiere ernähren sich vorwiegend vom Nektar, aber auch von Blattlausausscheidungen oder von Absonderungen extrafloraler Nektarien. Soziale Arten - Hummeln, mehrere Faltenwespen und Ameisen - zeichnet im Vergleich mit vielen solitären Arten ein insgesamt stärkeres Dispersionsvermögen aus (HAESELER 1974).

Einleitung


Die auf den Ostfriesischen Inseln nicht seltene Kegelbiene Coelioxys conoidea, hier auf Stranddistel, lebt als Kuckucksbiene bei großen Blattschneiderbienen (Foto: V. Haeseler).

Zu den Landschaften Nordwestdeutschlands, die in den vergangenen 100 Jahren erheblich eingeengt wurden, gehören die Trockenbiotope (u.a. Heidegebiete bzw. Binnendünen). Daher haben die Populationen diverser charakteristischer Arten dieser Lebensräume eine starke Reduzierung erfahren. Auf den Düneninseln der südlichen Nordsee hat solch eine Einengung allerdings nicht stattgefunden. Insofern sind diese vor etwa 3.000 Jahren entstandenen Inseln (STREIF 1990) heute für viele Arten als Reservate anzusehen (HAESELER 1985a). Hier sind viele charakteristische Arten mit mehr oder weniger getrennten Teilpopulationen, gleichsam als Metapopulationen, vertreten. Diese haben mit festländischen Populationen in vielen Fällen nur geringen oder keinen Individuenaustausch, da adäquate Trockenbiotope auf dem benachbarten Festland zu weit entfernt sind. Ein mehr oder weniger regelmäßiger Austausch von Individuen wird daher eher küstenparallel von West nach Ost, also von den Westfriesischen zu den Ostfriesischen Inseln (und in entgegengesetzter Richtung) erfolgen.

Durch intensive Erhebungen wurden von 1974 bis 1997 besonders die Ameisen, Wespen und Bienen der 7 alten Ostfriesischen Inseln sowie der etwa 130 Jahre alten Inseln Mellum und Memmert erfasst, sodass für die aculeaten Hymenopteren ein Einblick in die aktuelle Besiedlung dieser Insel-gruppe gegeben ist.

Untersuchungsgebiet und -zeitraum, Material/Methoden

Auf den alten Ostfriesischen Inseln (Borkum, Juist, Norderney, Baltrum, Langeoog, Spiekeroog und Wangerooge) wurden die aculeaten Hymenopteren von 1975 bis 1997, auf den jungen Inseln Memmert und Mellum seit 1974 während insgesamt 271, zumeist eintägiger Begehungen erfasst. Auf den alten Inseln wurden von April bis September monatlich wenigstens fünf Exkursionen durchgeführt. Während dieser Begehungen wurden die verschiedenen Landschaftselemente jeweils so berücksichtigt, dass die hier behandelten Gruppen auf den einzelnen Inseln repräsentativ erfasst wurden. - Besonders intensiv wurden die Ameisen, Wespen-Gruppen und Bienen der Insel Norderney und der jungen Inseln Mellum und Memmert untersucht; auf Norderney wurden an mehr als 60 Tagen Erhebungen durchgeführt (HAESELER 1988b, 1990).

Die Erfassung der Wespen und Bienen erfolgte unter Verwendung eines Insektenfangnetzes durch Sicht- bzw. Streiffang. Die Erfassungszeit betrug je Tag wenigstens fünf Stunden. Außerdem kamen Fänge aus Bodenfallen zur Auswertung. Auf den jungen Inseln Memmert und Mellum waren zusätzlich Farbschalen und Bodenfallen eingesetzt.

Von 1974 bis 1997 auf den Ostfriesischen Inseln festgestellte Ameisen, Wespen und Bienen

Ohne Berücksichtigung der Dryinidae und Bethylidae wurden von 1974 bis 1997 auf den Ostfriesischen Inseln 327 aculeate Hymenopteren-Arten nachgewiesen. Auf die sozialen Arten (Ameisen, Faltenwespen sowie Hummeln) und deren Kuckucksarten (u.a. eine Ameisenbiene) entfallen 48 Arten. Ausschließlich auf den jungen Inseln Memmert bzw. Mellum ließen sich 6 Arten feststellen. - Die Berücksichtigung der für die Ostfriesischen Inseln vorliegenden Literaturdaten ergibt aus dem Zeitraum vor 1975 lediglich 12 nicht bestätigte, ausnahmslos vor 1940 festgestellte Arten.

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Die Grabwespe Mimumesa sibiricana kommt in Deutschland nur auf den Ostfriesischen Inseln vor (Foto: V. Haeseler).

Bei den 12 nicht als charakteristische Küstendünenbewohner einzustufenden Arten handelt es sich mit Methocha articulata, Ceropales maculata, Vespa crabro, Ammophila pubescens, Andrena bicolor, Andrena ovatula, Anthophora bimaculata, Bombus norvegicus, Bombus soroeensis, Lasioglossum xanthopus, Nomada panzeri sowie Sphecodes spinulosus u.a. um eine Wegwespen-, eine Grabwespenart und acht Bienenarten. Die Wegwespe Ceropales maculata wurde aus der Zeit vor 1940 für den Memmert (!) und vier alte Inseln nachgewiesen, nach 1974 aber auf keiner Insel festgestellt. Von Bombus soroeensis abgesehen werden die übrigen Arten jeweils nur für eine Insel angegeben. Sie gehörten somit auch früher zu den selteneren Arten.

Die auf den alten Ostfriesischen Inseln insgesamt nachgewiesenen 330 Arten und die nur auf den jungen Inseln Memmert und Mellum festgestellten 9 Arten, zusammen also 339 Arten, entsprechen 45,6 % der für Niedersachsen und Bremen bekannten Arten dieser Gruppen (N = 743, vgl. DATHE et al. 2001) bzw. 28,1 % der für Deutschland bekannten Arten (N = 1208) (Tab. 1).

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Tab. 1: Auf den Ostfriesischen Inseln nachgewiesene aculeate Hymenopteren im Vergleich zum Artenspektrum Niedersachsens bzw. Deutschlands (* = auf den Ostfr. Inseln von 1974-1997 nicht untersucht; Angaben nach DATHE et al. 2001; ! = vgl. S. 137ff).

Seit 1974 ließen sich auf den alten und jungen Ostfriesischen Inseln insgesamt 140 Bienen- und 99 Grabwespenarten feststellen. Auf diese beiden Gruppen entfallen somit allein 73 % aller seit 1974 ermittelten Arten (N = 327). Der Anteil der übrigen Gruppen (Chrysididae, Formicidae, Vespidae usw.) liegt bei nur 27 % (Abb. 1).

Lediglich in Einzelfällen handelt es sich nicht um bodenständige Arten. So ist neben der im norddeutschen Flachland als Geestbewohner einzustufenden Grabwespe Lestica subterranea, von der bislang nur auf Juist ein Männchen festgestellt wurde, der Bienenwolf Philanthus triangulum auf den Ostfriesischen Inseln offensichtlich nicht bodenständig (vgl. HAESELER 1977), obgleich dieser Art mit den auf diversen Inseln gehaltenen Honigbienen hinreichend Beutetiere zur Verfügung stehen.

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Abb. 1: Von 1974-1997 auf den Ostfriesischen Inseln nachgewiesene Ameisen, Wespen und Bienen; N = 327 (in [ ] = vor 1945 nachgewiesene, danach nicht bestätigte Arten [N = 12]).

Inseln zwischen 189 und 233 Ameisen-, Wespen- und Bienenarten nachgewiesen. Für die beiden größten Inseln Borkum und Norderney wurden mit 233 bzw. 224 Arten die größten Artenspektren ermittelt, für die kleinste Insel Baltrum mit 189 Arten die geringste Artenzahl. Berücksichtigt man allerdings die Fläche oberhalb MThw, so ließen sich auf der ebenfalls zu den kleineren Inseln gehörenden Insel Spiekeroog mit 214 Arten zwar 25 mehr als auf Baltrum, aber nur 10 Arten weniger als auf der zweitgrößten Insel Norderney feststellen (Abb. 2). - Werden die hier berücksichtigten Aculeaten in 3 Gruppen (Bienen, Grabwespen, "übrige") unterteilt, so zeigen sich für Bienen, sieht man von Baltrum (85 Arten) ab, kaum Unterschiede. Für die anderen Inseln wurden zwischen 91 (Wangerooge) und 94 Arten (Norderney) ermittelt. Dagegen sind die Unterschiede bei den Grabwespen und "übrigen" deutlicher. Hier können trotz der intensiven Erhebungen z.T. auch methodenbedingte Defizite als Ursache dieser Unterschiede gelten.

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Abb. 2: Von 1975 bis 1997 auf den einzelnen alten Ostfriesischen Inseln nachgewiesene Ameisen, Wespen und Bienen (in Klammern Anzahl der "unique species").

Ein Vergleich der Präsenz aller 330 auf den alten Ostfriesischen Inseln festgestellten Arten zeigt, dass 120 Arten und damit 36 % auf allen Inseln nachgewiesen wurden, 54 Arten (16,4 %) dagegen lediglich auf jeweils nur einer Insel (Abb. 3). Auf wenigstens sechs der sieben Inseln wurden mit 45 Arten sogar 13,6 %, auf nur zwei Inseln mit 37 Arten 11,2 % aller auf den alten Ostfriesischen Inseln festgestellten Ameisen, Wespen und Bienen nachgewiesen (Abb. 3). Diese Zahlen belegen einerseits eine relativ hohe Gemeinsamkeit dieser Inseln, andererseits aber auch, dass jede alte Insel durchschnittlich wenigstens 7 exklusive Arten auszeichnen (Abb. 2, 3).

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Abb. 3: Präsenz der insgesamt (vor und seit 1975) auf den alten Ostfriesischen Inseln nachgewiesenen Ameisen, Wespen und Bienen (N = 330).

Zu den Arten, die auf allen alten Inseln vertreten sind, gehören neben Ubiquisten bzw. Kulturfolgern, wie sie aus den angrenzenden festländischen Bereichen bekannt sind, auch charakteristische Bewohner der Küstendünen. - Als Ubiquisten bzw. synanthrope Arten können u.a. die Faltenwespe Ancistrocerus parietum, die Grabwespen Ammophila sabulosa, Crabro peltarius, Mellinus arvensis, Oxybelus uniglumis, die Wegwespe Arachnospila anceps sowie die Bienen Andrena barbilabiris, Lasioglossum sexstrigatum und Andrena haemorrhoa gelten. - Zu den für Küstendünen charakteristischen Arten gehören z.B. die Wegwespe Arachnospila consobrina, die Grabwespen Mimumesa sibiricana, Crossocerus pullulus sowie die Bienen Osmia maritima, Colletes halophilus, Colletes impunctatus bzw. Epeolus alpinus.

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Auch die Seidenbiene Colletes halophilus findet sich in Deutschland nur im Küstenbereich der südlichen Nordsee (Foto: V. Haeseler).

Auffälligerweise finden sich auf den Ostfriesischen Inseln einzelne Arten, die hier aufgrund spezifischer landschaftlicher Besonderheiten einzelner Inseln (so z.B. aufgrund ausgedehnter Trockenheide auf Wangerooge bzw. wegen größerer Feuchtheidebereiche auf Norderney) bodenständig sind. So ließen sich die Bienenarten Andrena argentata nur auf Wangerooge und Megachile analis nur auf Norderney nachweisen. In Nordwestdeutschland wurden beide Arten seit 1973 nur vereinzelt nachgewiesen (vgl. THEUNERT 2003).

Vergleich mit früheren Erhebungen

Aus dem Zeitraum vor 1975 liegen nur begrenzt verwertbare Daten über die Aculeaten der einzelnen Ostfriesischen Inseln vor. Die auf Borkum, Juist und Norderney durchgeführten Erhebungen lassen bei einer Differenzierung nach unterschiedlichen systematischen und ökologischen Gruppen einen Einblick in die frühere Zusammensetzung der Artenspektren und so einen Vergleich mit der heutigen Situation zu. Besonders für Borkum liegen bereits aus dem 19. Jahrhundert, aber auch aus den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, umfangreiche Erhebungen vor (SCHNEIDER 1898, STRUVE 1937, 1940, vgl. HAESELER 1978).

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Abb. 4: Für die Ostfriesischen Inseln bis 1945/1974 bzw. 1997 nachgewiesene solitäre Wespen und Bienen (jeweils inkl. Kuckucksarten).

Bis 1945 (bzw. bis 1974) waren für die Ostfriesischen Inseln 205 Wespen- und Bienen-Arten (darunter 43 soziale Arten und deren Kuckucksarten) bekannt. Auf die solitären Arten (und deren Kuckucksarten) entfielen 162 Arten (Abb. 4). Somit waren die bis heute für diese Inseln bekannt gewordenen 287 solitären Aculeaten und Kuckucksarten zu 56,5 % nachgewiesen. Differenziert man jedoch nach Gruppen, ergibt sich ein anderes Bild: waren die 76 Bienenarten bis 1945 zu 59,8 %, so waren die Grabwespen mit 47 Arten dagegen nur zu 47 % nachgewiesen. Die übrigen Gruppen (Faltenwespen, Wegwespen usw.) waren bis 1945 bereits zu 65 % (N = 39) und damit am stärksten vertreten.

Vergleich der Artenspektren aufgrund der Nistweise

Werden die auf den Ostfriesischen Inseln bis 1997 festgestellten solitären Bienen und Grabwespen entsprechend ihrer Nistweise gruppiert, so zeigt sich, dass die im Boden nistenden Arten bis 1945 jeweils ähnlich stark nachgewiesen waren (Abb. 5).

Dagegen waren bei den nicht im Boden nistenden Arten Bienen bis 1945 deutlich stärker repräsentiert als Grabwespen (Abb. 5). So waren die in den unterschiedlichsten Hohlräumen nistenden, bis heute für die Ostfriesischen Inseln ermittelten Bienenarten 1945 bereits zu 68 % bekannt. Bei den Grabwespen waren es dagegen lediglich 37 %. Der für die solitären Aculeaten insgesamt vorliegende Unterschied (Abb. 5) wird somit besonders durch die bis 1945 geringe Präsenz der nicht im Boden nistenden Grabwespenarten verursacht.

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Abb. 5: Aufteilung der Arten entsprechend ihrer Nistweise. (Oben) Im Boden nistende Arten. (Unten) Nicht im Boden nistende Arten. (Schwarz = bis 1945/1974, grau = zusätzlich bis 1997.)

Worauf ist es zurückzuführen, dass sich eine Reihe von Bienenarten schon lange auf den Ostfriesischen Inseln angesiedelt hat? Hierzu gibt die Zusammensetzung der auf Norderney nachgewiesenen Bienenarten einen aufschlussreichen Hinweis. Auf dieser Insel wurden mit 15 Arten allein 20,3 % aller dort nachgewiesenen Arten ausschließlich im Siedlungsbereich festgestellt, darunter die nicht im Boden nistenden Bienenarten Chelostoma campanularum, Chelostoma florisomne, Heriades truncorum, Hylaeus hyalinatus und Osmia cornuta (vgl. HAESELER 1990). Diese Arten nisten z.T. nicht nur in abgestorbenen Ästen; einzelne Arten nutzen Hohlräume jeglicher Art, so auch Fugen in Hauswänden. Diese stehen ihnen auf den Ostfriesischen Inseln im Siedlungsbereich seit Langem zur Verfügung. Früher wurde hier beim Bau der Häuser Muschelkalk verwendet, der bei manchen Altbauten noch heute anzutreffen ist. Für Borkum war bereits um 1890 die in Fugen von Hauswänden nistende Furchenbiene Lasioglossum nitidulum bekannt. Auf Baltrum ließ sich diese Furchenbiene regelmäßig am Gemäuer der alten Inselkirche beobachten, wo diese Art in den Mörtelfugen in größerer Zahl nistete.

Die Grabwespenfauna der Inseln im Vergleich zum niedersächsischen Artenspektrum

Für Niedersachsen und Bremen sind wenigstens 176 Grabwespenarten bekannt (vgl. DATHE et al. 2001: 137ff.), von denen 100 Arten (= 56,8 %) auch auf den Ostfriesischen Inseln vorkommen. Ein Vergleich der bis 1945 bzw. insgesamt bis 1997 auf Borkum festgestellten Grabwespenarten belegt für die im Boden nistenden Grabwespen eine Zunahme des Artennachweises um 16,7 %. Für die nicht im Boden nistenden Arten beträgt die Zunahme sogar 24,4 % (Abb. 6 a).

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Abb. 6: Für Borkum (a) bzw. die Inselkette (b) nachgewiesene Grabwespen entsprechend ihrer Nistweise (in [ ] jeweils Artenzahl für Niedersachsen/Bremen).

Dieser Unterschied wird bei einem Vergleich aller für die Ostfriesischen Inseln (einschließlich Mellum und Memmert) nachgewiesenen Grabwespenarten noch verstärkt. Während die bis 1997 festgestellten, im Boden nistenden Grabwespen bis 1945 zu 29,4 % vertreten waren, sind es heute wenigstens 52,9 %. Für die nicht im Boden nistenden Arten läßt sich ein Anstieg von 23 % auf 62,2 % ermitteln (Abb. 6 b). Damit haben sich die nicht im Boden nistenden Arten zwischenzeitlich deutlich stärker auf den Inseln etabliert als die im Boden nistenden Arten.

Die Ostfriesischen Inseln als schützenswerter Lebensraum

Während in der Literatur aus der Zeit vor 1975 (fast ausschließlich vor 1945) 209 Wespen- und Bienenarten (und deren Kuckucksarten) für die Ostfriesischen Inseln erwähnt werden, wurden von 1975 (1974) bis 1997 327 Arten nachgewiesen. Lediglich 12 vor 1950 festgestellte Arten wurden nicht bestätigt. Da es sich bei diesen Arten jedoch nicht um charakteristische Küstendünenbewohner handelt, ließen sich auf diesen Inseln auch heute noch die für die Küstendünen der südlichen Nordsee charakteristischen Bienen und Wespen feststellen. Unter diesen befinden sich 50 Arten, die auf der Roten Liste der BRD (Gefährdungskategorie 1-3 (N = 43) sowie R (N = 7), BUNDESAMT FÜR NATURSCHUTZ 1998) geführt werden. - Zu den für Küstendünen charakteristischen Arten gehören die in den Vordünen bzw. in den Übergangsbereichen zu den Salzwiesen lebende Seidenbiene Colletes halophilus sowie die Grabwespen Crossocerus pullulus und Mimumesa sibiricana. Zu den charakteristischen Bewohnern älterer Küstendünen zählen u.a. die Grabwespe Diodontus insidiosus sowie die Bienen Colletes impunctatus, Epeolus alpinus und Osmia maritima (vgl. HAESELER 1999a,b). Ihre Vorkommen sind zwar geographisch eng begrenzt, daher in der Roten Liste Deutschlands jeweils unter R geführt, können aber auf den Ostfriesischen Inseln in manchen Jahren hohe Populationsdichten aufweisen.

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Die Goldwespe Hedychrum nobile wurde auf den Ostfriesischen Inseln nur auf Wangerooge festgestellt (Foto: V. Haeseler).

Eine Zunahme wärmeliebender Arten als mögliche Folge der prognostizierten Klimaänderung ließ sich noch nicht feststellen. Die starke Zunahme nachgewiesener Arten ist einerseits auf eine intensivere Erfassung als in früheren Zeiträumen zurückzuführen, andererseits auf eine in den zurückliegenden 50 bis 80 Jahren erfolgte Etablierung weiterer Arten. Dies lässt sich durch eine stärkere Zunahme der nicht im Boden nistenden Arten belegen.

Die Ansiedlung von für die Inselkette neuen Arten wurde und wird

(1) im Siedlungsbereich für viele Kulturfolger bzw. synanthrope Arten durch ein reichhaltiges Ressourcenangebot gefördert. Besonders günstig ist für Bienen das reichhaltige Blütenangebot, das im Siedlungsbereich im Jahresverlauf über längere Zeit als in den primären Landschaftselementen verfügbar ist. Hinzu kommen für Bienen und alle übrigen Gruppen diverse Nistmöglichkeiten in Hauswänden, alten Bäumen aber auch zwischen Pflastersteinen.

(2) Außerhalb der Siedlungen bieten auf den alten Inseln die starke Gebüsch-Waldentwicklung sowie Anpflanzungen den im Holz nistenden Arten zunehmend geeignetere Voraussetzungen zur Ansiedlung. Daher überrascht nicht, dass z.B. die 1967 erstmals für Nordwestdeutschland nachgewiesene, im Holz nistende Blattschneiderbiene Megachile lapponica heute auf allen alten Ostfriesischen Inseln bodenständig ist.

(3) Außerdem wurde durch die Errichtung von Deichen die Ansiedlung weiterer für Küstendünen nicht charakteristischer Bodennister gefördert.

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Auf Pollen des Weidenröschens Epilobium angustifolium ist die Blattschneiderbiene Megachile lapponica angewiesen (Foto: V. Haeseler, Baltrum).

Solitäre Wespen und Bienen benötigen zur adäquaten Besiedlung isolierter Lebensräume längere Zeiträume als soziale Faltenwespen und Bienen (HAESELER 1988b). Nicht alle auf den alten Ostfriesischen Inseln nach 1974 erstmals nachgewiesene Arten werden selbst den Weg zu diesen Inseln gefunden haben. Einzelne Arten werden auch durch den Menschen mit Materialien (z.B. mit Faschinen, Holz, Heu oder Teak) auf diese Inseln transportiert worden sein. Dass einzelne Arten aus weit entfernten Gebieten auf die Inseln der Küstenregion gelangen, zeigte z.B. der Nachweis der Grabwespe Rhopalum beaumonti Moczar auf der nordfriesischen Insel Sylt. Offensichtlich ist diese Art dorthin mit Reet aus Südosteuropa gelangt (HAESELER 1985b: 576). Auch die Grabwespe Passaloecus eremita (auf den Ostfriesischen Inseln nur auf Norderney nachgewiesen) und die Wegwespe Dipogon subintermedius dürften durch Holztransporte (bes. durch Kiefernholz und Faschinen) auf die Ostfriesischen Inseln gelangt sein.

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Die heute auf allen alten Ostfr. Inseln bodenständige Megachile lapponica wurde erstmals 1967 für Nordwestdeutschland nachgewiesen (Foto: V. Haeseler).

Die größte Auswirkung auf die heutige Zusammensetzung der Aculeaten-Artenspektren der einzelnen Inseln ist auf den überall feststellbaren landschaftlichen Wandel (u.a. DOING 1975, WESTHOFF 1991, NEUHAUS & WESTHOFF 1994, PETERS 1996) zurückzuführen. Dies zeigt der in den letzten 50 Jahren überproportionale Anstieg der nicht im Boden nistenden Arten.

Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren die Ostfriesischen Inseln weitge-hend durch Baum- und Gebüschlosigkeit gekennzeichnet. Eine Bewaldung dieser Inseln wurde damals nicht für möglich gehalten (u.a. BUCHENAU 1896, SEEMEN 1897). Heute ist eine zunehmende Ausbreitung von Birken-Buschwäldern festzustellen (u.a. RINGER 1994), womit sich die von VAN DIEREN (1934) vertretene Ansicht, dass der waldfreie Küstensaum "ein Wahn" sei, voll bestätigt.

Die seit Beginn des 20. Jahrhunderts fortschreitende Bewaldung wurde und wird durch mehrere Faktoren gefördert. Die Versorgung der Inseln mit Heizmaterial erfolgte zunehmend vom Festland aus, sodass die früher gängige Entnahme von Holz zur Gewinnung von Brennmaterial entfiel. Hinzu kommen diverse Küstenschutzmaßnahmen (Befestigung der Inseln, Verhinderung von Sandauswehungen durch Abdeckung offener Bereiche mit Heu oder Teak, Deichbau) und andere Maßnahmen (u.a. Anpflanzung von Sträuchern und Bäumen), die zu einer Fixierung einzelner Landschaftselemente führten bzw. führen.

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Auch auf den Ostfriesischen Inseln gehören Deiche besonders im Frühjahr mit reichem Blütenangebot zu wichtigen Pollen- und Nektarlieferanten nicht nur für viele Bienenarten (Foto: V. Haeseler, Juist).

Die ständige Wasserentnahme minderte auf den nicht vom Festland mit Wasser versorgten Inseln die naturräumliche Diversität und förderte ein homogenes Landschaftsbild. Außerdem wird auch auf den Ostfriesischen Inseln der Nährstoffeintrag (vgl. ELLENBERG 1995) die Verbuschung gefördert haben.

Dahingestellt bleibt, in welchem Ausmaß es auf den Inseln der südlichen Nordsee schon früher zu einer Bewaldung gekommen wäre, wenn nicht der Mensch ständig direkt (u.a. durch Mahd und Holzentnahme) oder indirekt (u.a. durch Haltung von Schafen, Rindern und Pferden) in die landschaftliche Entwicklung eingegriffen hätte (u.a. DOING 1975, WESTHOFF 1991). In früheren Jahrhunderten hätten einer zunehmenden Bewaldung wesentlich stärker als heute durch Sturmfluten und Sandauswehungen natürlich ablaufende Prozesse entgegengewirkt. Da aber durch Maßnahmen des Küstenschutzes eine Festlegung der einzelnen Inseln erfolgte, wurde die für diesen Lebensraum charakteristische Dynamik stark eingeschränkt.

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Diese Rote-Liste-Art, die kurzrüsslige Hummel Bombus jonellus, ist auf den Ostfriesischen Inseln nicht selten (Foto: V. Haeseler, Juist).

Auf Inseln mit z.T. großen Kaninchenbeständen wird durch deren Grabtätigkeit in den älteren Dünen kleinräumig eine begrenzte Dynamik aufrechterhalten. Dies wirkt sich auf den großen Inseln wegen der durch Myxomatose-Erkrankung verursachten regelmäßigen Zusammenbrüche der Kaninchenpopulationen langfristig sicher nicht negativ auf die Artendiversität aus. So beherbergen Inseln mit zeitweilig großen Kaninchenbeständen, wie z.B. Borkum und Norderney, nicht weniger Bienenarten als Inseln ohne Kaninchen (vgl. HAESELER 1990). - Auf der kleinen Insel Memmert hat sich die Aussetzung von Kaninchen um 1918/19 auf die Ansiedlung einer adäquaten Bienenfauna allerdings in gleicher Weise negativ ausgewirkt, wie dies auch an der Entwicklung der Pflanzenartenspektren abzulesen ist (HAESELER 1988a,b). Der Einfluss der Kaninchen auf die Dünenlandschaften der Nordseeküste wird u.a. von WESTHOFF (1989), WESTHOFF & VAN OOSTEN (1991), NEUHAUS & WESTHOFF (1994) hervorgehoben.

Viele Ameisen, Wespen (Grab- u. Wegwespen) und Bienen sind als wärmeliebende Arten charakteristische Bewohner offener Biotope, vor allem von Trockenbiotopen und somit weiten Bereichen der Küstendünen. Langfristig kann eine weitere Verbuschung und Bewaldung zu einer Einengung der Nistmöglichkeiten der arenicolen Arten und so nicht nur zu einem quantitativen sondern auch qualitativen Rückgang dünenspezifischer Küstenbewohner führen. Damit würde die heutige landschaftsökologische Bedeutung der Ostfriesischen Inseln als Reservat thermophiler und arenicoler Arten (vgl. HAESELER 1985a) sinken.

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Ausbringung von Stroh-/Heuballen auf der Insel Spiekeroog zur Abdeckung offener Positionen nordöstlich des Friederikenwaldes (Foto: V. Haeseler).

Ein wesentlicher Schutzzweck des Nationalparks Nieders. Wattenmeer besteht gemäß der Verordnung vom 13.12.85 darin, dass "... die natürlichen Abläufe in diesen Lebensräumen mit ihrem artenreichen Pflanzen- und Tierbestand" fortbestehen sollen. Die auf den Ostfriesischen Inseln zur Zeit stattfindenden landschaftlichen Veränderungen sind nicht allein das Resultat einer "natürlichen Dynamik". Sie sind vielmehr massiv auf anthropogene Einwirkungen zurückzuführen. Daher ergibt sich die Frage, wie im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer auf derartige Auswirkungen anthropogener Einflüsse zu reagieren ist.

Die Erhaltung natürlicher Abläufe ist nur zu gewährleisten, wenn die für Küstenökosysteme charakteristische Dynamik nicht nur in den Primär- und Sekundärdünen sondern auch in den älteren Dünenabschnitten erhalten bleibt. - Die Abdeckung offener Stellen mit Heu oder Teak dort, wo es nicht zur Sicherung der Inseln notwendig ist, und der Eintrag von Gartenresten (Rasenschnitt usw.) ist einzustellen. Sandauswehungen in älteren Dünen sollten nicht unterbunden sondern eher gefördert werden. So wäre auch in den Tertiärdünen eine Zunahme dynamischer Prozesse zu erreichen, auf deren landschaftsökologische Bedeutung und Erhaltung wiederholt hingewiesen wurde (u.a. NEUHAUS & WESTHOFF 1994, PLACHTER 1996).

Basierend auf einem Artikel von:

Prof. Dr. V. Haeseler
Carl-von-Ossietzky-Universität
Fakultät V, Institut für Biologie und Umweltwissenschaften
AG Terrestrische Ökologie
D-26111 Oldenburg
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Stand: 02/2009