Die Flora und Fauna der Ostfriesischen Inseln

Die Erz- und Gallwespen
der Ostfriesischen Inseln

(Hymenoptera: Apocrita, Terebrantes,
Cynipoidea, Chalcidoidea)

Aktueller Artenbestand anhand von Literaturdaten

Zusammenfassung

Von den Ostfriesischen Inseln wurden bisher 16 Gallwespenarten und 174 Erzwespenarten nachgewiesen. Der Kenntnisstand dieser Überfamilien der Hymenoptera ist allerdings sehr lückenhaft; die tatsächlichen Artenzahlen dürften zumindest bei den Erzwespen um ein Vielfaches höher liegen, da diese Arten über ein hohes Ausbreitungspotenzial verfügen und eine Vielzahl verschiedener Taxa parasitieren können.

Summary

The chalcid and gall wasps of the East Frisian islands (Hymenoptera: Apocrita, Terebrantes, Cynipoidea, Chalcidoidea). Critical species lists compiled from literature date. - To date, 16 species of gall wasps and 174 species of chalcid wasps have been recorded from the East Frisian dune islands. However, our knowledge remains rather fragmentary and greater numbers of species are expected to be found on these islands, at least in chalcid wasps. This group is generally known to have a high dispersal potential and the ability to parasite a variety of taxa.

Was sind... Gallwespen?

Gallwespen oder Cynipiden (Cynipoidea) bilden eine Überfamilie mit bisher weltweit etwa 3300 beschriebenen Arten. Die tatsächliche Artenzahl dürfte allerdings um ein Vielfaches höher liegen. Der deutsche Name ist irreführend, da unter den Gallwespen einerseits Arten gefunden werden die z.T. auffällige Gallen, insbesondere an Eichen, hervorrufen oder als so genannte Untermieter (Inquilinen) in diesen oder in Gallen von Erzeugern anderer Insektenordnungen gefunden werden können (Familie Cynipidae). Andererseits gibt es einige Familien unter den Cynipoidea, die als Parasitoide an Arten verschiedener Insekten-Ordnungen leben. In Europa von Bedeutung sind einerseits die Arten der artenreichen Familie Eucoilidae, die besonders saphrophage Fliegen parasitieren, sowie die Charipidae, die als Hyperparasitoiden von Braconiden in Blattläusen auftreten und dadurch die Effektivität der Primarparasitoiden erheblich mindern. Die Arten einer weiteren Familie der Gallwespen, die Figitidae, sind als Parasitoiden von Hemerobiiden, von saprophagen Fliegen z.B. der Familien Sarcophagidae, Muscidae und Calliphoridae oder auch von aphidophagen Syrphiden bekannt. In Deutschland wurden bisher etwa 200 Arten nachgewiesen (BLANK 2001, TAEGER 2001, KWAST 2001).

Was sind... Erzwespen?

Erzwespen (Chalcidoidea): Die Erzwespen stellen mit weltweit über 17500 Arten eine der diversesten Überordnungen der Hautflügler. Die weitaus meisten Arten sind als Parasitoide bei anderen Insektenordnungen, aber auch bei Spinnen oder Milben bekannt. Darüber hinaus gibt es jedoch auch einige Arten, besonders in der Familie der Eurytomiden (Gattung Tetramesa), die als Gallerzeuger z.B. an Gräsern vorkommen. Arten der Erzwespen werden vielfach zur biologischen Kontrolle von herbivoren Schadinsekten eingesetzt; in Deutschland wird z.B. die San-José-Schildlaus, die an Obstbäumen in Süddeutschland nach ihrer Einschleppung in den fünfziger Jahren hohe wirtschaftliche Schäden verursachte, durch eine nachgeführte Parasitoidenart (Encarsia perniciosi Tower) erfolgreich biologisch bekämpft. In Deutschland sind bisher etwa 1800 Arten aus 18 Familien nachgewiesen worden (VIDAL 2001); die tatsächliche Zahl dürfte jedoch um einiges höher liegen.

Einleitung

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Diglyphus isaea, eine häufige und weit verbreitete Parasitoidenart in blattminierenden Agromyziden (Zeichnung: M. Stöckmann, Original).

Die Erzwespen (Chalcidoidea) stellen unter den parasitischen Hymenopteren hinsichtlich ihrer ökologischen und ökonomischen Bedeutung eine Überfamilie mit herausragender Bedeutung dar (LASALLE 1993). Die Artenzahlen innerhalb der 20 Familien werden weltweit, nach vorsichtigen Schätzungen, auf über 100.000 angegeben (NOYES 1978, GIBSON et al. 2000). Der weiten Verbreitung und hohen ökonomischen Bedeutung steht ein nur unzureichender Bearbeitungsstand dieser Überfamilie in Deutschland gegenüber.

Dieser allgemeine Mangel an faunistischen Sammeldaten ist auch anhand der Datenlage für die Ostfriesischen Inseln offenkundig. Neben einigen Einzelfunden von Erzwespen auf Borkum (SCHNEIDER 1898) sowie einer Erfassung auf den Inseln Mellum und Memmert (ALFKEN 1924, 1930) liegen kaum weitere Daten vor. Hinzu kommt, dass die oben genannten Autoren sich bei ihren Sammlungen eher auf die gut sichtbaren Insektenarten konzentriert haben und die im Durchschnitt nur 2-4 mm großen Erzwespen kaum im Blickfeld gehabt haben dürften. Bezeichnend dafür ist, dass die Familie der Torymidae relativ gut dokumentiert ist, weil viele dieser Arten in Gallen von Gallwespen parasitieren. Erst VIDAL (1988) hat anhand von Farbschalenfängen eine umfangreichere Artenliste der Familien der Eulophidae und Tetracampidae der jungen Düneninseln Mellum und Memmert erstellt. Das Datenmaterial von weiteren in den Fängen vertretenen Familien konnte bisher jedoch nicht ausgewertet werden.

Im Folgenden werden die Daten von VIDAL (1988) auf den neuesten nomenklatorischen Stand (vgl. NOYES 2007) gebracht und mit den wenigen vorliegenden Literaturangaben ergänzt.

Artenbestände der Inseln

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Arten der Gattung Elachertus sind als Parasitoide von blattminierenden oder freilebenden Schmetterlingsraupen bekannt (Zeichnung: M. Stöckmann, Orig.).

Erzwespen verfügen über eine hohe Ausbreitungsintensität und können auch längere Zeiten in Salzwasser treibend überstehen (ABRAHAM 1972, 1973). Die hohen Fangzahlen dieser Artengruppe in Gelbschalen auf Feuerschiffen unterstreichen zudem, dass die isolierte Lage der Ostfriesischen Inseln keine Barriere für eine potenzielle Besiedlung der vorhandenen Lebensräume durch Erzwespen darstellen sollte (ABRAHAM 1973). Die hohe Diversität der Wirtsnutzung, wie sie zumindest ansatzweise für die Familie der Eulophidae belegt ist macht deutlich, dass die Anwesenheit der spezifischen Wirte oder der Wirtspflanzen der wichtigste Faktor sein dürfte, der eine dauerhafte Besiedlung der Ostfriesischen Inseln durch die Erzwespen ermöglichen könnte.

Die gegenwärtige Datenlage mit 16 festgestellten Cynipoidea- und 174 Chalcidoidea-Arten (Tab. 1) erlaubt keine differenzierten Aussagen zum tatsächlichen Artenbestand einzelner Inseln oder gar der Ostfriesischen Inseln insgesamt.

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Tab. 1: Artenzahlen der von den Ostfriesischen Inseln bislang gemeldeten Gall- und Erzwespen; ohne zweifelhafte Meldungen.

Verglichen mit den für Deutschland bekannten Artenbeständen (s.o.) sind die Anteile von 8 bzw. 10 % auf den Inseln sicherlich nur als ein Bruchteil des tatsächlich vorhandenen Artenbestandes anzusehen. Insbesondere sind noch weitere Arten aus der Gattung Aprostocetus ssp. zu erwarten, die in vielen Fällen Wirte parasitieren, die auf den Inseln vorkommen können.

Erzwespen auf Memmert und Mellum

Mittels Farbschalenfängen wurde die Familie der Eulophiden auf den beiden Inseln Mellum und Memmert genauer erfasst (VIDAL 1988).

Obwohl jeweils etwa 100 Arten nachgewiesen wurden, zeigen die Kurven für die Beziehung zwischen Individuen- und Artenzahl kein Plateau, sodass mit dem Vorkommen von zahlreichen weiteren Arten gerechnet werden muss. Die Artenübereinstimmung zwischen den verschiedenen Farbschalenstandorten war auf Mellum gering (Jaccard-Index) und verdeutlicht somit die hohe Diversität des Arteninventars zwischen den verschiedenen Habitaten. In Farbschalen jedoch, die auf Mellum innerhalb des Ringdeichs aufgestellt waren, konnte eine sehr hohe Artenidentität (Jaccard-Index > 0,6) festgestellt werden.

Eine hohe Übereinstimmung des Arteninventars der beiden Inseln konnte auch im Vergleich der 20 dominanten Arten gefunden werden. Jeweils 14 Arten waren auf beiden Inseln die häufigsten Arten; bei ihnen handelt es sich überwiegend um Arten, die Gallmücken in Gräsern parasitieren und von einer hohen Dichte ihrer Wirte profitiert haben dürften. Für die Etablierung einer Population der Erzwespen auf den Inseln sollte das Vorkommen der herbivoren Wirte entscheidend sein; diese wiederum hängen vom Vorkommen ihrer Wirtspflanzen ab. Die Zahl der nachgewiesenen rezenten Pflanzenarten [150 für Memmert (PRINS et al. 1983) bzw. 234 für Mellum (KUHBIER 1987)] unterscheidet sich erheblich, nicht aber die Artenzahlen der Eulophiden auf Memmert und Mellum (105 vs. 96; vgl. Tab. 1). Dieser Befund könnte bedeuten, dass viele nachgewiesene Arten nicht als etablierte Populationen auf den Inseln vorkommen, sondern als "Aeroplankton" vom Festland auf die Inseln verdriftet wurden und dann auf der Suche nach Pollen oder Nektar die Farbschalen anflogen.

Basierend auf einem Artikel von:

Prof. Dr. Stefan Vidal
Georg-August-Universität Göttingen
Department für Nutzpflanzenwissenschaften - Agrarentomologie
Grisebachstrasse 6
D-37077 Göttingen
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Stand: 02/2009