Die Flora und Fauna der Ostfriesischen Inseln

Die Libellenfauna
der Ostfriesischen Inseln

(Odonata)

Dokumentation des aktuellen Artenbestandes
anhand von Literaturdaten

Zusammenfassung

Auf den am südlichen Nordsee-Rand gelegenen Ostfriesischen Düneninseln mit ihren etwa 350 limnischen und 200 brackigen Kleingewässern wurden 39 Libellenarten nachgewiesen, von denen 26 zum indigenen Artenbestand zu zählen sind. Dieser entspricht etwa 33 % des deutschen und 43 % des niedersächsischen Artenbestandes. Von den indigenen Inselarten sind 9 landes- und/oder bundesweit gefährdet. Die wichtigsten Brutgewässer sind die Süßgewässer in den Graudünen und anmoorigen Dünentälern, aber auch leicht brackige Verhältnisse mit weniger als 5 ‰ Salzgehalt werden von 15 Arten toleriert. Die fast ausnahmslos vom Menschen geschaffenen Inselgewässer sind vielfach von Verlandung und Verbuschung bedroht, wodurch ihre Bedeutung als Libellen-Habitat zurückgeht.

Summary

The dragonfly fauna of the East Frisian islands (Odonata). Documentation of the current species population based on data from the literature. - The East Frisian dune islands off the German coast of the North Sea with their 350 limnic and 200 brackish ponds harbour 39 species of dragonfly, 26 of which are currently considered indigenous to the islands. This amounts to about 33 % of all dragonfly species known from Germany and to 43 % known from Lower Saxony. Nine of the dragonfly species native to the islands are listed as threatened in Germany or Lower Saxony. Breeding waters favoured by dragonflies are freshwater ponds in grey dune sites and in wet dune slacks, but slightly brackish waters of less than 5 ‰ salinity are tolerated by 15 species. Having almost invariably been created by human activity, today most of the islands' water bodies are threatened with being filled up by sedimentation and by excessive scrub encroachment, which severely impairs their functioning abilities as habitats for dragonflies.

Was sind... Libellen?

Unter den Libellen finden sich neben einigen euryöken Vertretern ohne ausgeprägte Habitatpräferenz etliche Arten, die auf bestimmte Gewässertypen als Reproduktions- und Larvalhabitat angewiesen sind. Von großer Bedeutung ist dabei neben dem Gewässerchemismus (v.a. Sauerstoffgehalt, pH-Wert sowie Belastungen durch Spritz- und Düngemittel) und dem Fließverhalten die Ausprägung von Uferrandstruktur und Gewässerbett. Zur Eiablage und als Larvallebensraum werden artverschiedene, z.T. sehr spezielle Ansprüche gestellt. Für eine erfolgreiche Metamorphose sind zumeist aus dem Wasser ragende Halme o.ä. notwendig. Leicht brackige Verhältnisse (< 5 ‰), v.a. wenn sie nur temporär auftreten, können etliche, meist eurytope Arten recht gut tolerieren; Brackgewässer mit dauerhaften und/oder höheren Salzgehalten kommen als Larvalhabitat nicht mehr in Frage. Die Imagines entfernen sich zeitweise von den Brutgewässern. Während der sog. Reifephase nach der Metamorphose besiedeln sie oft andere Gewässer und legen dabei bisweilen weite Flugstrecken zurück (Jungfernflug). Eine Besiedlung der nur wenige Kilometer vom Festland entfernten Ostfriesischen Inseln stellt für Libellen insofern kein Problem dar.
Von den in Deutschland vorkommenden etwa 80 Libellenarten (MÜLLER & SCHORR 2001) ist nur noch ca. ein Viertel weit verbreitet und häufig anzutreffen; 60 % stehen auf der Roten Liste (OTT & PIPER 1998), die meisten in den Kategorien "vom Aussterben bedroht" bis "stark gefährdet". Die Bilanz für Niedersachsen stellt sich ähnlich dar: Von den etwa 60 für die Region gemeldeten bodenständigen Arten (EWERS 1999) sind fast zwei Drittel gefährdet (ALTMÜLLER 1983).

Einleitung

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Die südliche Binsenjunfer, Lestes barbarus, ist in Norddeutschland nur auf den Ostfriesischen Inseln weit verbreitet und stellenweise häufig (Foto: T. Lieckweg).

Auf den Ostfriesischen Inseln finden sich seit langem vom Menschen geschaffene und genutzte Kleingewässer, die als Lebensraum für spezielle limnische Artengemeinschaften - darunter auch Libellen - eine große Rolle spielen (NIEDRINGHAUS & ABEL 1999).

Wissenschaftliche Bestandsaufnahmen der Limnofauna der einzelnen Inseln begannen Ende des vorletzten Jahrhunderts. Eine Zusammenfassung gibt SCHNEIDER (1898) unter besonderer Berücksichtigung von Borkum. Hinsichtlich der Libellen konnten damals bereits 20 Arten nachgewiesen werden. Bei einer systematischen Bestandserfassung der Borkumer Insektenfauna konnten F. und R. Struve in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts 15 Libellenarten, davon zwei erstmalig für die Inselkette, feststellen (FINCH & NIEDRINGHAUS 1996).

Die erste umfassende Untersuchung der Inselkette, bei der die Gewässersysteme aller 7 großen Inseln berücksichtigt wurden, erfolgte im Zeitraum 1992 bis 1994 (NIEDRINGHAUS & ZANDER 1998). Während der aktuelle Erfassungsstand der Libellenfauna dieser Inseln daher jeweils als gut angesehen werden kann, wurden die kleinen Inseln, die jeweils maximal ein Süßgewässer aufweisen, nicht oder nur unzureichend untersucht.

Im Folgenden werden die vorliegenden Daten zur Libellenfauna der Ostfriesischen Inseln ökofaunistisch aufbereitet. Durch die Auflistung der aktuellen Artenbestände der einzelnen Inseln und der verschiedenen inselspezifischen Gewässertypen soll der besondere Wert dieser Lebensräume für Libellen dargestellt werden.

Aktueller Artenbestand

Die Odonatenfauna der Ostfriesischen Inseln umfasst derzeit insgesamt 35 Arten, von denen 26 als indigen angesehen werden können. Für neun Arten wird eine Indigenität auf den Inseln als unwahrscheinlich (z.B. Leucorrhinia pectoralis) bzw. unmöglich (z.B. Calopteryx splendens) angesehen; es dürfte sich um vom Festland verdriftete oder wandernde Exemplare handeln.

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Die Mond-Azurjungfer, Coenagrion lunulatum, kommt auf den Inseln vor allem in Gewässern der anmoorigen Dünentäler vor. Sie gilt bundes- und landesweit als stark gefährdet (Foto: T. Lieckweg).

Für die vier vor etlichen Jahrzehnten gemeldeten Arten Calopteryx virgo, Coenagrion mercuriale, Somatochlora flavomaculata und Aeshna isosceles sind Wiederfunde einzelner Individuen zwar nicht auszuschließen, eine Etablierung auf den Inseln, insbesondere der zwei erstgenannten Fließgewässerspezialisten, ist jedoch unter den gegenwärtigen Gegebenheiten nicht möglich.

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Tab. 1: Libellen-Nachweise auf den Ostfriesischen Inseln.

Die 26 indigenen Arten entsprechen etwa 33 % des deutschen und 43 % des niedersächsischen Artenbestandes. Insgesamt werden neun dieser Arten in der landes- bzw. bundesweiten Roten Liste geführt.

Die höchsten Artenzahlen indigener Libellen weisen die Inseln Borkum (23), Wangerooge (22) und Norderney (19) auf (Tab. 1). Dies ist vor allem auf die hohe Gewässer-Anzahl und die spezielle Ausprägung einzelner Habitate zurückzuführen. Die übrigen Inseln besitzen mit 16 (Langeoog) bis sieben Spezies (Baltrum) deutlich ärmere Arteninventare. Bemerkenswert sind die Artenzahlen der kleinen, nur jeweils ein einziges Gewässer aufweisenden Inseln Memmert und Mellum. Besonders bei Mellum zeigt sich, dass die Beobachtungsintensität eine große Rolle spielt: Durch die dauerhafte Anwesenheit von Naturschutzwarten und Gastforschern in den Sommermonaten konnten insgesamt 23 Arten (davon jedoch 14 Nicht-indigene) nachgewiesen werden.

Besiedlung der Gewässer

Bei den Inselgewässern handelt sich v.a. um kleine bis sehr kleine Lebensräume, die von wenigen Ausnahmen abgesehen anthropogenen Ursprungs sind. Sie wurden als Lösch-, Zier- oder Fischteiche bzw. Viehtränken angelegt oder entstanden durch Bodenentnahme im Zuge von Baumaßnahmen. Auf Wangerooge befinden sich infolge starker Bombardierung während des Zweiten Weltkriegs Hunderte von Bombentrichtern, die sich im Laufe der Zeit zu Kleinstgewässern entwickelt haben, heute aber vielfach verlandet sind.

Die Gewässer werden vom Niederschlagswasser gespeist, das sich unter jeder Insel ansammelt und als Süßwasserlinse auf dem schwereren Meerwasser liegt (vgl. EGGERS et al. 2008). Die Ausdehnung der Süßwasserlinse unterliegt starken jahreszeitlichen Schwankungen, sodass je nach Lage auf dem Inselkörper limnische bis stark brackige Gewässer zu unterscheiden sind, die z.T. einer zeitlichen und räumlichen Dynamik unterliegen. Im Vergleich zu binnenländischen Gewässern sind die Inselgewässer sehr labil, d.h., sie weisen z.T. extreme Schwankungen bezüglich Wasserstand und Wasserchemismus auf (vgl. NIEDRINGHAUS & ZANDER 1998). Auf den Ostfriesischen Inseln gibt es derzeit etwa 350 limnische und ca. 200 brackige Gewässer, die regelmäßig bis mindestens zum Frühsommer Wasser führen. Über die Hälfte davon befindet sich auf Wangerooge.

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Tab. 2: Besiedlung der verschiedenen Gewässertypen der Inseln durch Libellen.

Nach topologischen, physiognomischen und wasserchemischen Gesichtspunkten lassen sich auf den Inseln sieben Gewässertypen unterscheiden, von denen allerdings nur vier als wichtige Libellen-Brutgewässer eine Rolle spielen (Tab. 2). Die wichtigsten Libellen-Habitate sind die Süßgewässer in den Graudünen und anmoorigen Dünentälern, die von allen indigenen Arten regelmäßig zur Reproduktion genutzt werden. Stellenweise wird ihre Eignung als Libellen-Habitat durch zunehmende Verlandung und/ oder Verbuschung verringert. Auch die Gewässer im Innengroden-Grünland sind wichtige Reproduktionsstätten; allerdings sind sie oft durch Viehtritt und Versalzung (v.a. in Deichnähe) beeinträchtigt. Dies macht sich besonders durch geringere Individuendichten bemerkbar. Leicht brackige Verhältnisse werden von relativ vielen Arten toleriert: An entsprechenden Gewässern wurden 15 Spezies nachgewiesen. An den Brackgewässern mit Chlorid-Konzentrationen über 2.000 mg/l wurden lediglich Imagines der Südlichen Binsenjungfer (Lestes barbarus) sowie der beiden häufigen und eurytopen Arten Gemeine Binsenjungfer (L. sponsa) und Große Pechlibelle (Ischnura elegans) gefunden.

Besonderheiten der Inselfauna

Obwohl es unter den Libellen keine ausgesprochenen "Küstenarten" gibt, fallen einige Besonderheiten auf: So ist z.B. die auf dem niedersächsischen Festland seltene Südliche Binsenjungfer (Lestes barbarus) auf der Inselkette verbreitet und stellenweise häufig. Diese Art besiedelt pflanzenreiche Kleinstgewässer und tritt häufig als Pionierart in Erscheinung. Die Larven besitzen scheinbar eine recht hohe Toleranz gegenüber brackigen Wasserverhältnissen.

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Die auf mehreren Inseln vorkommende Nordische Mosaikjungfer (Leucorrhinia rubicunda) gehört bundesweit zu den stark gefährdeten Arten (Foto: T. Lieckweg).

Außerdem wurden mit der Mond-Azurjungfer (Coenagrion lunulatum) und der Nordischen Mosaikjungfer (Leucorrhinia rubicunda) zwei bundesweit stark gefährdete Arten auf jeweils mehreren Inseln festgestellt. Diese auf dem Festland an Moorgewässern, Schlatts und Heideweihern vorkommenden Arten besiedeln auf den Inseln v.a. die Gewässer der anmoorigen Dünentäler.

Basierend auf einem Artikel von:

Dipl.-Landschaftsökol. Tammo Lieckweg
Carl-von-Ossietzky-Universität
Fakultät V, Institut für Biologie und Umweltwissenschaften
D–26111 Oldenburg
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Stand: 02/2009