Die Flora und Fauna der Ostfriesischen Inseln

Die Geradflügler der Ostfriesischen Inseln

(Orthopteroidea: Saltatoria, Dermaptera, Blattoptera)

Aktueller Artenbestand der
Heuschrecken, Ohrwürmer und Schaben

Zusammenfassung

Auf den der norddeutschen Küste vorgelagerten Ostfriesischen Inseln wurden bis heute 17 Geradflüglerarten nachgewiesen, darunter 12 Heuschrecken, zwei Ohrwürmer und 3 Schaben. Das entspricht 17 % des deutschen und 29 % des niedersächsischen Artenspektrums. Hervorzuheben ist das starke Vorkommen der in Deutschland seltenen und stark gefährdeten Westlichen Dornschrecke Tetrix ceperoi. Die arten- und auch individuenreichsten Heuschrecken-Artengemeinschaften sind in den grasdominierten xerothermen Tertiärdünen, den feuchten Tälern und in den Grünlandbereichen der Innengroden zu finden.

Summary

The orthopteran Fauna of the East Frisian islands (Saltatoria, Dermaptera, Blattoptera). - A total of 17 orthopteran species have been recorded as yet from the East Frisian dune islands situated off the north German coast. These include 12 species of grasshoppers and locusts, 2 species of earwigs and 3 species of cockroaches. This amounts to 17 % of all orthopteran species known from Germany and to 29 % known from Lower Saxony. Of particular interest is that Tetrix ceperoi, a species being rare and endangered in Germany, is well represented on the islands. Communities of grasshoppers and locusts most rich in terms of species diversity and individuals per species are found in xerothermic tertiary dune areas dominated by grasses, in moist dune slacks and in grassland habitats of the "Binnengroden" marshland areas.

Was sind... Geradflügler?

In Deutschland sind die Geradflügler mit 98 Arten vertreten; davon wird fast die Hälfte in der Roten Liste geführt. Für Niedersachsen sieht das Bild ähnlich aus: Von den 59 Arten ist zumindest bei den Heuschrecken etwa die Hälfte im Bestand gefährdet.

Artenzahl (gefährdet/ausgest.)DNds
Heuschrecken (DETZEL 2001, GREIN 2005)84 (41)53 (28)
Ohrwürmer (MATZKE 2001)8 (3)4 (?)
Freilebende Schaben (BOHN 2003)6 (4)2 (?)

Was sind... Heuschrecken?

Zur Gruppe der Heuschrecken zählen die Langfühlerschrecken (Laubheuschrecken und Grillen) und die Kurzfühlerschrecken. Die meisten Arten haben einen kräftigen Kopf mit kauenden Mundwerkzeugen und vor allem kräftige Sprungbeine, mit denen sie weite Sprünge - oft durch Flügelbewegungen unterstützt - ausführen können. Bei einigen Arten sind die Flügel ganz oder teilweise reduziert, sodass diese Arten nur eingeschränkt mobil sind. - Bei vielen Arten geben die geschlechtsreifen Männchen artspezifische Laute von sich, die v.a. zum Anlocken der Weibchen dienen. Die Eier werden mithilfe einer Legeröhre, die z.T. fast die Körperlänge erreichen kann, artverschieden in den Boden, in Pflanzenstengel oder Rindenritzen abgelegt. Die meisten Arten überwintern als Ei, aus dem im späten Frühjahr die Larve schlüpft. Nach 5-7 Häutungsstadien hat sich die Imago entwickelt, die bei den heimischen Arten eine Körperlänge von 8-35 mm erreichen kann. Die meisten Arten besitzen eine Generation pro Jahr. Die Kurzfühlerschrecken sind ausschließlich tagaktiv; unter den Langfühlerschrecken gibt es zahlreiche dämmerungs- und nachtaktive Vertreter. Als Nahrung dienen den Kurzfühlerschrecken v.a. Pflanzenteile; die Langfühlerschrecken sind Tier-, Pflanzen- oder Allesfresser.

Was sind... Schaben?

Schaben (Blattoptera) verfügen über einen plattgedrückten, länglich-eiförmigen Körper und einen nach unten-rückwärts gerichteten Kopf, der unter dem großen Halsschild verborgen ist. Aufgrund ihrer gut entwickelten Laufbeine sind sie besonders am Boden anzutreffen. Die Flügel sind bei den Weibchen häufig verkürzt. Die heimischen Arten werden 5-32 mm groß. Die freilebenden Arten leben in erster Linie bodennah in der Grasvegetation, in Gehölzen und Gebüschen im Falllaub und ernähren sich von Pflanzenteilen. Einige Arten treten als Kulturfolger in Gebäuden auf, wo sie zuweilen als Vorrats-, Material- und Pflanzenschädlinge in Erscheinung treten. Die Eiablage erfolgt in Paketen. Die freilebenden Arten machen zumeist einen zweijährigen Entwicklungszyklus durch: Imagines erscheinen im Frühjahr, Eiablage im Sommer, Eiüberwinterung, Larvenschlupf im darauffolgenden Frühjahr, nochmalige Überwinterung als Larve. Die in Häusern lebenden Arten vermehren sich das ganze Jahr über.

Was sind... Ohrwürmer?

Von den weltweit etwa 1.300 Arten der Ohrwürmer kommen in Deutschland nur acht vor. Jedem bekannt ist der gemeine Ohrwurm Forficula auricularia durch seine charakteristische Zange, die zur Abwehr, zum Angriff, zur Beförderung der Beute zum Mund, als Kopulationshilfe u.a. dient. Ohrwürmer sind meist lichtscheu und insofern dämmerungs- und nachtaktiv. Man findet sie besonders unter Baumrinde, Steinen, Blättern bzw. in engen Spalten und Ritzen. Sie ernähren sich v.a. von weichhäutigen Insekten, aber auch von Detritus und frischen Pflanzenteilen. Die Eiablage erfolgt im Frühjahr in kleinen Häufchen, bei F. auricularia auch im Herbst. Das Weibchen betreibt Brutfürsorge: Eier und junge Larven werden bewacht. Die Imagines entwickeln sich über 4-5 Larvenstadien. Die überwiegend räuberische Ernährungsweise hat Untersuchungen zum Einsatz von Ohrwurmarten in der biologischen Schädlingsbekämpfung angeregt. In der Kleingartenpraxis wird der Gemeine Ohrwurm bereits in diesem Sinn gefördert.

Einleitung

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Die in Deutschland isoliert vorkommende, in Niedersachsen stark gefährdete Westliche Dornschrecke, Tetrix ceperoi, ist auf den Ostfriesischen Inseln weit verbreitet; in feuchten Dünentälern ist die Art stellenweise häufig anzutreffen (Foto: Axel Hochkirch).

Die der niedersächsischen Festlandsküste vorgelagerten Ostfriesischen Inseln können als eine der letzten großräumigen Primärlandschaften im nördlichen Mitteleuropa angesehen werden. Seit 1985 sind sie Teil des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer. Es handelt sich aufgrund der im Wattenmeer rasch ablaufenden Prozesse um einen äußerst dynamischen Lebensraum mit zahlreichen speziellen Küstenbiotopen, geprägt von Dünen und Salzwiesen. Die zumeist mosaikartige Anordnung verschiedener, oft kleinflächiger Biotope auf engem Raum führt auf allen Inseln zu einer im Vergleich zu den meisten festländischen Bereichen hohen landschaftsräumlichen Heterogenität (vgl. EGGERS et al. 2008, in diesem Band) und damit zu einem hohen Ressourcenpotential für besiedelnde Organismen.

Die Fauna der einzelnen Inseln wurde erstmalig Ende des vorletzten Jahrhunderts untersucht (SCHNEIDER 1898). Hinsichtlich der Geradflügler waren damals bereits 11 Arten für die Inselkette bekannt. Bei einer systematischen Erfassung der Borkumer Insektenfauna konnten F. und R. Struve in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts 12 Arten, davon eine erstmalig für die Inselkette, feststellen (pers. Notizen von R. u. F. Struve, BRÖRING et al. 1990). Ca. 50 Jahre später erfolgten intensive Erfassungen auf den einzelnen Inseln (ebd.), sodass für diese Insektengruppe ein recht gutes Bild vom aktuellen Besiedlungsstand vorliegt.

Im Folgenden sind sämtliche Daten zur Geradflüglerfauna der Ostfriesischen Inseln zusammengetragen. Die historischen Daten werden im Unterschied zur letzten Zusammenstellung bei BRÖRING et al. (1993) ggf. kritisch kommentiert und z.T. bereinigt. Anhand der jüngeren Nachweise aus dem Zeitraum nach 1976 wird der aktuelle Besiedlungsstand für die einzelnen Inseln und die inselspezifischen Biotope dokumentiert.

Historische Daten zur Geradflüglerfauna der Inselkette

Ältere Daten zur Heuschreckenfauna liegen vor von HESS (1881) für Spiekeroog, von ALFKEN (1891) für Juist, von SCHNEIDER (1898) für Borkum, von ALFKEN (1924, 1930) für Memmert und Mellum, von BRÖRING et al. (1990: Material von F. und R. Struve aus dem Zeitraum 1932-44) für Borkum und von HARZ (1965) für Wangerooge. Von umfassenden Bestandserhebungen auf Borkum abgesehen handelt es sich um Einzelfunde.

Im Zeitraum 1881 bis 1960 wurden von den Ostfriesischen Inseln 14 Geradflüglerarten gemeldet. Hinzu kommen 4 sehr zweifelhafte und daher zu streichende Arten: Wie schon bei BRÖRING et al. (1990) dargelegt, ist die aufgrund eines Larvenfundes gemeldete Ectobius panzeri (Borkum: SCHNEIDER 1898) zu streichen. Die Meldungen von Stenobothrus dorsatus für Borkum und Juist (SCHNEIDER 1898) sind zu Chorthippus albomarginatus zu stellen. Die Angabe bezüglich Stenobothrus biguttulus von SCHNEIDER (1898) für Borkum ist auf C. brunneus zu beziehen. Damit bleibt für C. biguttulus nur ein Fund von Wangerooge (4.8.1960, "Wiese und Weide", HARZ 1965: 225). Da in dieser Arbeit die auf allen Inseln häufige C. brunneus nicht erwähnt wird, ist davon auszugehen, dass nicht C. biguttulus sondern C. brunneus vorlag. Bei der Meldung von Omocestus haemorrhoidalis von Spiekeroog (HESS 1881) handelte es sich sicher um O. viridulus.

Die alten Meldungen von Tetrix subulata (SCHNEIDER 1898 für Borkum, ALFKEN 1924 für Memmert) sind zwar ebenfalls zweifelhaft; oft dürfte es sich um T. ceperoi gehandelt haben (vgl. BRÖRING et al. 1990: 90). T. sabulata dürfte damals aber durchaus präsent gewesen sein. Ähnliches gilt für Tetrix undulata (Borkum: SCHNEIDER 1898, Juist: ALFKEN 1891, beide als T. bipunctatus L.).

Aktueller Artenbestand der Inseln

Jüngere Daten (ab 1975) zur Geradflüglerfauna der Ostfriesischen Inseln wurden v.a. bei Erfassungen der Wanzen-, Zikaden- und Pflanzenwespenfauna in den Jahren 1986-89 gewonnen und in BRÖRING et al. (1990) zusammengefasst. Erstmals wurde 1996 für die Ostfriesischen Inseln die Blauflügelige Ödlandschrecke, Oedipoda caerulescens, auf Borkum nachgewiesen (WALTER 1997). In den Jahren 2004/05 erfolgte eine eingehende Untersuchung der 3 Tetrix-Arten T. ceperoi, T. subulata und T. undulata auf der Inselkette (GRÖNING et al. 2005).

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Tab. 1: Aktuelle Artenbestände der Geradflügler auf den Ostfriesischen Inseln.

Insgesamt wurden damit in jüngerer Zeit 15 Arten nachgewiesen, darunter mit der Eichenschrecke, Meconema thalassinum, der Blauflügeligen Ödlandschrecke, Oedipoda caerulescens, und der Schabe Ectobius lapponicus 3 Neufunde für die Inselkette. Mit dem Ohrwurm Labia minor und der Küchenschabe Blatta orientalis wurden zwei Arten zwar nicht aktuell nachgewiesen, dürften aber bei Nachsuche sicher gefunden werden und daher zum aktuellen Spektrum von 17 Arten (Tab. 1) zählen.

Besondere Arten

Die nächsten Vorkommen der 1996 erstmals auf Borkum nachgewiesenen bundesweit gefährdeten, landesweit sogar stark gefährdeten Blauflügeligen Ödlandschrecke Oedipoda caerulescens (s. WALTER 1997) lagen auf dem Festland aus dem Raum Bremen vor (vgl. GREIN 1990). Seit kurzem ist die Art sowohl in Oldenburg (Bümmerstede, Krusenbusch) als auch in der Steller Heide bei Bremen häufig (V. Haeseler mdl.). Von der niederländischen Festlandsküste und drei Westfriesischen Inseln liegen ebenfalls zahlreiche neuere Nachweise vor (KLEUKERS et al. 1997), sodass eine aktuelle Besiedlung der Ostfriesischen Inseln im Zuge küstenparalleler Wanderungen wahrscheinlich ist.

Eine weitere bemerkenswerte Art ist die in Niedersachsen stark gefährdete Westliche Dornschrecke Tetrix ceperoi. In Deutschland ist sie mit nur wenigen isolierten Vorkommen (Niedersachsen, Ostdeutschland, Rheingraben) sehr selten (MAAS et al. 2002). Gesicherte Angaben zur früheren Verbreitung und Häufigkeit fehlen. Sie wurde häufig mit der Säbel-Dornschrecke Tetrix subulata verwechselt, so auch auf den Ostfriesischen Inseln (s.o), wo erste gesicherte Nachweise aus den 1930er Jahren vorliegen. Vereinzelte Funde von Borkum, Norderney, Baltrum, Langeoog, Wangerooge (HARZ 1965, INGRISCH et al. 1988, BRÖRING et al. 1990) deuteten an, dass T. ceperoi auf den Inseln weit verbreitet ist. GRÖNING et al. (2005) zeigten, dass die Art auf den Inseln häufig ist und in verschiedensten offenen Feuchtbiotopen vorkommt (s.u.). Die landesweit gefährdete Schwesternart T. subulata tritt zwar ebenfalls auf allen Inseln auf, aber in wesentlich geringeren Populationsstärken (ebd.). Die auf dem Festland häufige Gemeine Säbeldornschrecke T. undulata wurde dagegen nur auf Norderney gefunden.

Habitatpräferenzen

Die unterschiedlichen Habitatpräferenzen der Geradflüglerarten zeigen sich auch auf den Ostfriesischen Inseln durch z.T. deutliche Verteilungsschwerpunkte, wobei die Schwerpunkte in den grasdominierten Tertiärdünen, den feuchten Tälern und den Grünlandbereichen im Innengroden liegen (Tab. 2).

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Tab. 2: Artenzahlen der in den verschiedenen Insel-Biotopen vorkommenden Geradflügler.

Von den häufigeren Heuschreckenarten zeigen Myrmeleotettix maculatus, Omocestus viridulus und Chorthippus brunneus die deutlichsten Präferenzen für xerotherme Tertiärdünenbereiche, während Chorthippus albomarginatus auch in feuchten Bereichen häufig ist und sogar in der Weißdüne und der oberen Salzwiese vorkommt.

Die hygrophile Laubheuschrecke Conocephalus dorsalis tritt in den Tertiärdünen nur in feuchten Tälern auf. Die höchsten Abundanzen erreicht sie in Röhrichtbeständen. Das auch auf dem Festland eurytope Große Heupferd Tettigonia viridissima ist auf den Inseln in allen Landschaftselementen mit Gebüschbestand anzutreffen; regelmäßig findet es sich auch in Ruderalbereichen mit ausgeprägter Hochstaudenvegetation.

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Der Weißrandige Grashüpfer (Chorthippus albomarginatus) ist in fast allen Bereichen der Inseln präsent (Foto: Rolf Niedringhaus).

Die im Binnenland in anthropogenen Feuchtgebieten, Sand- und Tongruben vorkommende Tetrix ceperoi wurde auf den Inseln u.a. in offenen, feuchten Dünentälern, Uferbereichen, Übergangszonen zwischen Dünen und Salzwiesen, Fahrspuren und ähnlichen kleinräumigen Bodenverletzungen gefunden. Sie meidet lediglich extrem salzbeeinflusste Bereiche (GRÖNING et al. 2005).

Präferenzen für die Waldbereiche zeigen drei Arten: Die Eichenschrecke Meconema thalassinum lebt in der Baum-Strauch-Schicht, die beiden Schabenarten Ectobius sylvestris und Ectobius lapponicus leben in Bodennähe.

Basierend auf einem Artikel von:

Dr. Rolf Niedringhaus
Carl-von-Ossietzky-Universität
Fakultät V, Institut für Biologie und Umweltwissenschaften
D–26111 Oldenburg
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Dr. Carsten Ritzau
Landesmuseum für Natur und Mensch
Damm 38-44
D–26135 Oldenburg
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Stand: 02/2009