Die Flora und Fauna der Ostfriesischen Inseln

Die Pflanzenläuse
der Ostfriesischen Inseln

(Hemiptera: Sternorrhyncha)

Zum Kenntnisstand über die Fauna der Blattflöhe, Schild-
und Blattläuse (Psylloidea, Coccoidea, Aphidoidea)

Zusammenfassung

Auf den an der südlichen Nordseeküste gelegenen Ostfriesischen Inseln wurden bis heute 88 Arten von Pflanzenläusen nachgewiesen, darunter 29 Blattfloh-, 5 Schildlaus- und 54 Blattlausarten. Sie repräsentieren Anteile von 24, 3 bzw. 7 % des jeweiligen deutschen Artenbestandes. Die Nachweise stammen fast ausnahmslos von Borkum und sind mindestens 70 Jahre alt. Etwa ein Drittel aller Pflanzenläuse ist auf die durch den Menschen unmittelbar entstandenen Sekundärhabitate beschränkt.

Summary

Plant lice of the East Frisian islands (Hemiptera: Sternorrhyncha: Psylloidea, Coccoidea, Aphidoidea). – Up to now, 88 species of Sternorrhyncha have been recorded from the East Frisian dune islands situated off the southern North Sea coast, including 29 psyllid, 5 coccid, and 54 aphid species. This amounts to 24, 3 and 7 percent, respectively, of all species of these groups known from Germany. The records are predominantly from Borkum island and are at least 70 years old. About a third of all plant louse species are associated with secondary man-made habitats.

Was sind... Pflanzenläuse?

Die Pflanzenläuse gehören wie die Wanzen (Hemiptera) und Zikaden (Auchenorrhyncha) zu der Insekten-Ordnung der Schnabelkerfen (Hemiptera).

Was sind... Blattflöhe?

Blattflöhe (Psylloidea) bilden eine Gruppe innerhalb der Pflanzenläuse, deren 1-10 mm große Adulte stets geflügelt auftreten. In Ruhestellung sind die mit deutlichen Adern versehenen Flügel dachförmig gegeneinandergelegt. Psylliden sind in den meisten Fällen sehr wirtsspezifisch. Manche Arten sind Obstbaumschädlinge, einige Larven erzeugen Gallen. Die Eier werden auf Pflanzen abgelegt, wobei der Stiel immer im Pflanzengewebe versenkt ist; aus ihnen entwickeln sich flache, z.T. mit starker Wachs- und Honigtauausscheidung behaftete Larven, die ab dem 3. Stadium (von insgesamt 5) Flügelscheiden aufweisen. Viele einheimische Arten überwintern als Adulte auf Nadelbäumen. Von einigen Arten sind Lautäußerungen bei beiden Geschlechtern bekannt. Von den weltweit über 3500 beschriebenen Arten kommen etwa 400 in Europa und 170 in Mitteleuropa vor. Für Deutschland werden insgesamt 119 Arten gemeldet (BURCKHARDT & LAUTERER 2003); von denen leben 3 Arten ausschließlich in Gewächshäusern.

Was sind... Schildläuse?

Schildläuse (Coccoidea) sind kleine bis sehr kleine, meist 0,6 bis 6 mm, selten bis 10 mm lange Pflanzenläuse mit extremem Geschlechtsdimorphismus: Die flügellosen Weibchen haben meist einen plumpen, oft napfförmigen Körper, oft mit stark oder völlig zurückgebildeten Beinen; die Männchen besitzen Beine und meist ein Flügelpaar. Die Arten saugen sowohl an verholzten ober- und unterirdischen Pflanzenteilen als auch an Blättern oder Früchten (oft zusammen mit Ameisen vorkommend). Die Entwicklung beginnt als Ei oder Larve über 2-3 (Weibchen) bzw. 4-5 (Männchen) Stadien; Parthenogenese ist für viele Arten belegt. Die jährliche Generationenzahl beträgt 1-3, die Überwinterung erfolgt artspezifisch als Ei, Larve oder Imago, selten in verschiedenen Stadien. Einige Arten treten als Schädlinge auf. In Deutschland kommen insgesamt 145 freilebende Arten vor, etliche sind erst in den letzten Jahrzehnten eingewandert oder wurden eingeschleppt (SCHMUTTERER 2003).

Was sind... Blattläuse?

Blattläuse (Aphidoidea) sind rundliche bis länglich-ovale Pflanzensauger mit z.T. geflügelten und ungeflügelten Generationsformen. Bei einigen Arten sind die ungeflügelten ohne jede Pigmentierung, die geflügelten mit dunkler Zeichnung. Die Beine sind meist lang und dünn. Die meisten Arten sind Phloemsauger, z.T. wird an bodennahen oder unterirdischen Pflanzenteilen gesaugt. Viele Arten verursachen Gallenbildung oder sind Virusüberträger. Etwa 60 % der 733 aus Deutschland gemeldeten Blattläuse sind monophag (THIEME & EGGERS-SCHUMACHER 2003).

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Pterocomma salicis (Weibchen), eine in Deutschland weit verbreitete, an Weiden lebende Blattlaus wurde von mehreren Inseln nachgewiesen, wo sie v.a. an Salix repens vorkommt. Charakteristisch sind die zwei roten Rückenröhren (Siphone). Die Männchen sind geflügelt (M. Stöckmann, verändert nach HEIE 1986).

Der Lebenszyklus vollzieht sich bei vielen Arten durch einen Generationswechsel zwischen ungeschlechtlicher und geschlechtlicher Vermehrung in der Regel über 5 verschiedene "Morphe": Die aus dem überwinternden Ei hervorgehende (1) Fundatrix, (2) parthenogenetisch entstehende geflügelte und (3) ungeflügelte Weibchen, (4) Männchen und (5) Sexual-Weibchen, die nach Begattung die überwinternden Eier legen. Etwa 20 % der Blattläuse Deutschlands vollziehen zwischen den Generationen einen obligaten Wirtswechsel vom Primärwirt (oft holzige Pflanzen) zum Sekundärwirt (oft krautige Pflanzen).

Was sind... Mottenschildläuse?

Von den 14 in Deutschland im Freiland lebenden Mottenschildläusen (Aleyrodoidea) (BÄHRMANN 2003) wurde bisher keine von den Inseln gemeldet, obwohl ein Vorkommen einiger Arten sehr wahrscheinlich ist. Die etwa um 1850 nach Europa eingeschleppte "Weiße Fliege" Trialeurodes vaporariorum Westw., die als Pflanzenschädling in Gewächshäusern auftritt, wurde von Struve (persönliche Tagebuchaufzeichnungen) in den 1940er Jahren auf Borkum gefunden.

Einleitung

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Unter den Blattflöhen ist die auf Salix repens lebende Cacopsylla parvipennis eine charakteristische Art der Küsten- und Dünengebiete Nordeuropas und des nördlichen Mitteleuropas (M. Stöckmann, Original und verändert nach OSSIANNILSSON 1992).

Über die Pflanzenläuse der Ostfriesischen Inseln existieren lediglich einige ältere Hinweise. Die ersten Meldungen stammen aus dem Ende des vorletzten Jahrhunderts, als SCHNEIDER (1898) in seiner umfassenden Bestandsdokumentation der Fauna Borkums auch einige Pflanzenläuse nennt. Etwas später werden Einzelfunde von Memmert (ALFKEN 1924), Baltrum (SCHUMACHER 1911, 1912a), Spiekeroog (PRIESNER 1926) und Mellum (SCHÜTTE 1906) gemeldet. Umfassendere Aufsammlungen der Pflanzenläuse werden erst in den 1930er-Jahren im Rahmen der zweiten Bearbeitung der Borkumer Fauna durch F. und R. Struve durchgeführt. Die Ergebnisse für die Psylloidea finden sich in STRUVE (1939), für die Aphiden in STRUVE (1942) und HILLE RIS LAMBERS (1944).

Im Folgenden werden die alten Daten, die nur zum Teil in der ersten Zusammenstellung bei BRÖRING et al. (1993) referiert werden, kritisch bewertet und auf den neuesten nomenklatorischen Stand gebracht. Das Psylliden-Material der Struve-Sammlung wurde in diesem Zusammenhang vollständig überprüft.

Artenbestände der Inseln

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Laingia psammae ist eine typische Art der Sekundärdünen der Ostfriesischen Inseln. Obwohl bislang nur von Borkum nachgewiesen, dürfte sie auf allen Inseln, wahrscheinlich sogar an der gesamten Nordseeküste verbreitet sein. Die Art lebt v.a. an Strandhafer (M. Stöckmann, verändert nach HEIE 1982).

Bislang wurden auf den Ostfriesischen Inseln 88 Arten der Pflanzenläuse nachgewiesen, darunter 29 Blattfloh-, 4 Schildlaus- und 54 Blattlausarten (Tab. 1). Hinzu kommen 4 zweifelhafte Meldungen. Von zwei Ausnahmen abgesehen stammen die Nachweise von Borkum und sind mindestens 70 Jahre alt. Von den übrigen Inseln existieren lediglich zumeist über 100 Jahre alte Einzelfunde. Bei den Blattflöhen entsprechen die 29 Arten der Inseln 24 % des deutschen Artenbestandes, bei den Schildläusen sind es lediglich 3 % und bei den Blattläusen 7 %.

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Tab. 1: Artenzahlen der von den Ostfriesischen Inseln gemeldeten Pflanzenläuse (ohne zweifelhafte Meldungen).

Obwohl die Aufsammlungen von Borkum durch F. und R. Struve in den 1930er Jahren für nahezu alle Gruppen sehr umfassend waren, sind auch bei den Pflanzenläusen Übersehensraten von mindestens 10 bis 20 % anzunehmen - wie bei den verwandten Rhynchoten-Gruppen der Wanzen und Zikaden (vgl. BRÖRING & NIEDRINGHAUS 1989, NIEDRINGHAUS & BRÖRING 1992).

Bei intensiver Ausweitung der Erfassungen auf alle Inseln erhöhte sich bei Wanzen und Zikaden die Artenzahl um fast das Doppelte (BRÖRING 1991, NIEDRINGHAUS 1991), sodass auch bei den Pflanzenläusen von einem Bestand von mindestens 150 Arten ausgegangen werden kann.

Besiedlung der Lebensräume

Um einen Eindruck von der Besiedlung der verschiedenen Lebensräume auf den Inseln durch Pflanzenläuse zu erhalten, wurden die Fundortangaben von Borkum, die von F. und R. Struve detailliert dokumentiert wurden, ausgewertet (Blattflöhe: STRUVE 1939, vgl. BURCKHARDT et al. 2007; Blattläuse: STRUVE 1942, HILLE RIS LAMBERTS 1944). Bei Angaben zu einzelnen Wirtspflanzen als Fundorte erfolgte ein Abgleich mit den Florenlisten und den entsprechenden Zuordnungen zu den Biotoptypen (METZING et al. 2008). Außerdem wurden in Einzelfällen artspezifische Wirtspflanzen-Angaben aus OSSIANNILSSON (1992) und HEIE (1980-1995) berücksichtigt. Hierdurch ergibt sich natürlich nur ein grobes, vorläufiges Bild von der Verteilung der Pflanzenläuse in den verschiedenen Inselbiotopen.

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Tab. 2: Verteilung der Pflanzenläuse in den verschiedenen Biotoptypen der Ostfriesischen Inseln (Auswertung der Borkumer Fundorte von F. und R. Struve aus den 1930er Jahren.

Nahezu alle terrestrischen mit Pflanzen bewachsenen Lebensräume der Inseln werden von Pflanzenläusen besiedelt (Tab. 2). Lediglich in den Extrem-Lebensräumen Primär- und Sekundärdüne sowie Untere Salzwiese wurden nur vereinzelt Arten festgestellt. Die höchsten Artenzahlen v.a. bei den Blattläusen finden sich in den vom Menschen stark beeinflussten Grünland-, Ruderal- und Gehölz-Bereichen. Etwa ein Drittel aller Pflanzenläuse der Inselkette ist auf die durch den Menschen unmittelbar entstandenen Sekundärhabitate beschränkt.

Basierend auf einem Artikel von:

PD Dr. Daniel Burckhardt
Naturhistorisches Museum
Augustinergasse 2
CH-4001 Basel
Schweiz
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Dr. Pavel Lauterer
Moravian Museum
Department of Entomology
Hviezdoslavova 29a
CZ-62700 Brno-Slatina
Tschechische Republik
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Dr. Rolf Niedringhaus
Carl-von-Ossietzky-Universität
Fakultät V, Institut für Biologie und Umweltwissenschaften
D-26111 Oldenburg
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Stand: 02/2009