Die Flora und Fauna der Ostfriesischen Inseln

Die Wanzen der süßen und brackigen Gewässer der Ostfriesischen Inseln

(Heteroptera: Nepo-, Gerromorpha)

Zusammenfassung

Auf den Ostfriesischen Inseln wurden bislang 36 aquatische und 12 semiaquatische Heteropteren nachgewiesen, diese entsprechen über 2/3 bzw. der Hälfte aller in Mitteleuropa vorkommenden Arten. Die Inseln sind sehr gleichmäßig besiedelt, ein Großteil der Arten kommt auf allen Inseln vor. Aufgrund der vielfältigen Lebensräume sind die Artenzahlen auf Borkum und Wangerooge besonders hoch. Die Kleingewässer der Inseln sind oft extrem artenreich. Besonders hohe Artendichten wurden in Süßgewässern der Tertiärdünen und Innengroden ermittelt. In den Süßgewässern der Innengroden und in den leicht brackigen Gewässern der Groden leben die meisten im Untersuchungsraum selteneren Arten. Dabei ist die Besiedlung einzelner Gewässer abhängig von spezifischen Bedingungen wie Salzgehalt, Gehalt an organischem Material im Gewässer, sowie Größe, Tiefe und Wasserregime.

Summary

The Heteroptera fauna of the limnic and brackish ponds on the East Frisian islands (Heteroptera: Nepo-, Gerromorpha). – As a result of several field studies, 36 species of aquatic and twelve species of semiaquatic Heteroptera were ascertained on the East Frisian islands, representing a share of 72 % and 52 %, respectively, of the central European Heteroptera fauna. The islands are colonised rather evenly, a large part of the species occurs on all studied islands. Species numbers are particularly high on Borkum and Wangerooge, due to a huge variety of aquatic habitats present on both islands. Small ponds on the islands are often extremely rich in species. Very high species numbers were found in freshwater ponds within the grey dune areas and poldered marshland areas (Innengroden). Rare species were often abundant in the slightly brackish and freshwater ponds of the Groden areas. Colonisation of the aquatic habitats strongly depends on specific conditions, such as salinity and organic content of the water bodies as well as their size, depth and water regime.

Was sind... Wasserwanzen?

Die Gruppen der aquatischen und semiaquatischen Wanzen sind hinsichtlich ihrer ökologischen Ansprüche sehr unterschiedlich. Die aquatischen Wanzen (Wasserwanzen: Nepomorpha) leben im Wasser, für die Artenzusammensetzungen sind Faktoren wie Gewässergüte, -chemismus und -topographie von besonderer Bedeutung. Die „semiaquatischen“ Wanzen (Wasserläufer i.w.S.: Gerromorpha) leben räuberisch auf dem Wasser oder in direkter Ufernähe. Dementsprechend spielen Struktur der Gewässerränder, Vegetation im Uferrandbereich und Lage auf der Insel eine größere Rolle. Alle Arten sind an das Vorhandensein von Süßwasser oder Brackwasser gebunden. In Deutschland kommen 47 Arten aus der Gruppe der Wasserwanzen und 22 aus der Gruppe der Wasserläufer im weiteren Sinne (vgl. HOFFMANN & MELBER 2003).

Einleitung

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Die Ruderwanze Corixa punctata ist auf allen Inseln verbreitet und häufig, sie bevorzugt süße bis weniger brackige, kleinere bis mittelgroße Gewässer, in denen sie gelegentlich in sehr hoher Abundanz vorkommt (Foto: E. Wachmann).

Auf den Ostfriesischen Inseln finden sich unterschiedlich viele limnische bis brackige Kleingewässer, die vom Niederschlagswasser, das sich unter jeder Insel als Süßwasserlinse sammelt, gespeist werden (LEENTVAAR 1981, NIEDRINGHAUS & ZANDER 1998). Diese Lebensräume sind ökologisch sehr unterschiedlich und unterliegen einer extrem hohen saisonalen Dynamik mit entsprechenden Auswirkungen auf die Biota (BRÖRING & NIEDRINGHAUS 1988a, BRÖRING 2001). Seit 1979 wurden etwa 250 Gewässer hinsichtlich der Präsenz verschiedener Tiergruppen in Abhängigkeit von abiotischen Faktoren untersucht. In der vorliegenden Arbeit werden die Ergebnisse für die aquatischen Heteropteren unter Einbeziehung früherer Ergebnisse zusammengestellt und im Hinblick auf die Besiedlung der Inseln diskutiert.

Datengrundlage und Erfassungsstand

Die ersten Zusammenstellungen für die Wasserwanzen der Inseln erfolgten durch SCHNEIDER (1898), der für Borkum 16 Nepo- und 5 Gerromorpha nachwies, sowie durch STRUVE (1937, 1939), der 25 bzw. 8 Arten meldete (vgl. BRÖRING 1989). Abgesehen von wenigen weiteren Angaben für Baltrum und Spiekeroog entspricht dies dem Kenntnisstand bis zur Zusammenstellung von WAGNER & WEBER (1967) und BURGHARDT (1975). Zwischen 1979 und 2002 erfolgten umfangreiche Erhebungen zunächst auf Norderney (BRÖRING & NIEDRINGHAUS 1988a) und dann sowohl auf den jungen Inseln Mellum und Memmert (NIEDRINGHAUS & BRÖRING 1988) als auch auf den 7 alten Inseln Borkum bis Wangerooge (BRÖRING & NIEDRINGHAUS 1988b, NIEDRINGHAUS & ZANDER 1995).

Aktueller Artenbestand auf den Inseln

Für die Ostfriesischen Inseln wurden bislang insgesamt 36 Nepomorpha und 12 Gerromorpha nachgewiesen; diese entsprechen ca. 72 % bzw. ca. 52 % aller in Mitteleuropa und 77 % bzw. 55 % der in Deutschland vorkommenden Arten.

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Der Wasserskorpion, Nepa cinerea, ist im Küstenbereich überall verbreitet und häufig. Er bevorzugt süße Kleingewässer, kommt gelegentlich aber auch in Brackgewässern vor (Foto: E. Wachmann).

Bei dem größten Teil der auf den Inseln nachgewiesenen Arten handelt es sich um solche, die im Bereich des angrenzenden Festlandes in unterschiedlichen Lebensräumen verbreitet und z.T. häufig sind. Spezifisch für den Küstenbereich oder zumindest dort allgemein häufiger sind besonders Notonecta viridis, Arctocorisa germari, Paracorixa concinna, Callicorixa praeusta und Sigara stagnalis. Sigara lateralis ist deutlich verbreiteter und häufiger (z.T. massenhaft in leicht brackigen Gewässern) als auf dem Festland, Glaenocorisa propinqua hat wohl einen Verbreitungsschwerpunkt im Küstenbereich (vgl. JANSSON 1986). - Insgesamt 13 auf den Inseln vorkommende Arten stehen auf einer der Roten Listen (Deutschland: GÜNTHER et al. 1998 bzw. Niedersachsen/Bremen: MELBER 1999) und werden als gefährdet geführt; Glaenocorisa propinqua gilt bundesweit als vom Aussterben bedroht.

Auf der größten Insel Borkum wurde mit insgesamt 39 Arten das größte Artenspektrum gefunden (Tab. 1). Diese Insel verfügt über eine große Vielfalt an unterschiedlichen Lebensräumen. Mit 38 Arten ist Wangerooge extrem divers; 31 Nepomorpha-Arten kommen dort vor, ein Großteil in den zahlreichen kleinen süßwasserhaltigen Bombentrichtern im Dünenbereich.

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Abb. 1: Nachweishäufigkeiten der Wasserwanzen-Arten auf den 9 untersuchten Ostfriesischen Inseln.

Auf den jungen Düneninseln Memmert und Mellum sind die Artenzahlen aufgrund des eingeschränkten Habitatangebotes (nur je ein süßwasserhaltiger Tümpel) deutlich geringer.

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Tab. 1: Artenzahlen der Nepomorpha und Gerromorpha auf den Ostfriesischen Inseln.

Die ostfriesische Inselkette ist sehr gleichmäßig besiedelt (Abb. 1): 16 Arten, also über ein Drittel des gesamten Artenspektrums, sind auf allen 9 Inseln präsent, immerhin noch 5 Arten auf 8 Inseln. Insgesamt 8 Arten sind jeweils nur von einer Insel bekannt: Nur auf Norderney wurden die beiden Gerromorpha Mesovelia furcata und Hebrus pusillus je an einem Gewässer nachgewiesen. Hesperocorixa castanea, Sigara limitata und Sigara scotti wurden ausschließlich in kleineren, süßen Gewässern auf Wangerooge gefunden (letztgenannte evtl. auch heute noch auf Borkum). Nur von Borkum bekannt sind Aquarius najas, Velia caprai sowie Cymatia rogenhoferi (Erstnachweis für Nordwestdeutschland: 1 Männchen am 17.7.1992 in einem brackwasserhaltigen Graben, seitdem aber wiederholt in NWD gefunden, vgl. BRÖRING 2001).

Im allgemeinen gilt, dass sich die einzelnen Inseln in ihrem Artenspektrum entsprechend der spezifischen Ausgestaltung des gesamten Systems aquatischer Lebensräume unterscheiden. Von besonderer Bedeutung ist die Anzahl vorhandener Gewässer, das Vorhandensein süßer Gewässer mit geringer Verlandungsneigung und die allgemeine Diversität aquatischer Lebensräume (BRÖRING 2001).

Habitatspräferenzen

Die limnischen Lebensräume der Ostfriesischen Inseln können grob in Süßgewässer und Brackgewässer eingeteilt werden. Innerhalb der Süßgewässer ist eine weitere Klassifikation aufgrund ihrer Lage in Tertiärdünen, Dünentälern, Dünenwäldchen und Innengroden (oft schon leicht brackig) möglich, da sich Artenzusammensetzungen entsprechend unterscheiden (Abb. 2). Brackgewässer sind sich in Grodenbereichen (zumeist in Deichnähe), im Übergang zu den höher gelegenen Salzwiesen und auf diesen anzutreffen. In den letztgenannten Biotopen finden sich nur halobionte, stresstolerante Arten, vornehmlich Sigara stagnalis und Sigara lateralis. Am artenreichsten sind die Süßgewässer in den Tertiärdünen und Innengroden, die Unterschiede in den Artenzahlen sind allerdings gering. Aufgrund der weniger leichten Auffindbarkeit und bestimmter Standortbedingungen sind die Kleingewässer in den Wäldchen oft weniger artenreich.

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Notonecta glauca ist die häufigste Rückenschwimmer-Art auf den Ostfriesischen Inseln, sie ist auf allen Inseln verbreitet und z.T. in sehr hohen Abundanzen in den verschiedensten Gewässertypen vertreten (Foto: E. Wachmann).

Die meisten auf den Inseln selteneren Arten der Nepomorpha und der Gerromorpha (14!) finden sich in den Süßgewässern der Innengrodenbereiche und in den leicht brackigen Gewässern der Groden (12). Diese Habitate bilden die für die Inseln charakteristischen Lebensräume auch hinsichtlich des Artenbesatzes und der Artenzusammensetzungen der aquatischen Wanzen, die sich von denen des angrenzenden Festlandes deutlich unterscheiden.

Kolonisationsgeschehen

Die aquatischen Heteropteren gelten allgemein als extrem migrationsaktiv (vgl. z.B. WEBER 1964, BRÖRING 2001). Für die hier berücksichtigten Gruppen gilt ähnlich wie für viele andere, dass die Entfernung vom Festland und damit der Isolationsgrad der Ostfriesischen Inseln keine bedeutsame Barriere für die Besiedlung der Inseln ist. Dementsprechend sind sie vergleichsweise homogener besiedelt (s.o.).

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Gerris lacustris ist der häufigste Wasserläufer auf den Inseln. Die Art besiedelt die unterschiedlichsten kleinen und mittelgroßen Gewässer, wo sie im Uferbereich oft in großen Individuendichten vorkommt. Demgegenüber meidet sie größere, offene Wasserflächen (Foto: E. Wachmann).

Der gegenwärtige Artenbestand der Inseln ist zweifellos das Ergebnis eines langandauernden Besiedlungsprozesses, bei dem Migrations- und Dispersionsaktivität der Organismen sowie Angebot und Verfügbarkeit (Erreichbarkeit) angemessener Lebensräume auf den Inseln entscheidend sind. Dabei erfolgt die Besiedlung nicht kontinuierlich, sondern abhängig von der Entwicklung und Genese der einzelnen Inseln bzw. deren aquatischer Lebensräume, eher unregelmäßig (vgl. BRÖRING & NIEDRINGHAUS 1988b, NIEDRINGHAUS & BRÖRING 1988).

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Abb. 2: Artenzahlen in verschiedenen Gewässertypen auf den Ostfriesischen Inseln.

Die Besiedlung der einzelnen Tümpel auf den Inseln ist stark abhängig von spezifischen Bedingungen wie Salzgehalt, Gehalt an organischem Material im Gewässer, aber auch von der Größe, Tiefe und Lage. Aufgrund der ökologischen Toleranzbreiten und der im Saisonalverlauf oft stark wechselnden Milieubedingungen in und an den Gewässern der Inseln in Abhängigkeit von Niederschlägen, Überflutungen und anthropogenem Zugriff auf das Grundwasser findet man oft Arten unter suboptimalen Bedingungen. Oft überlagern sich außerdem kurzfristige Variationen der Bedingungen und langfristige Entwicklungstrends mit entsprechenden Effekten auf die Artenzusammensetzungen (BRÖRING 2001). Ein Effekt ist sicher die oft beobachtete hohe Diversität einzelner Gewässer und der Gewässersysteme der Inseln.

Basierend auf einem Artikel von:

PD Dr. Udo Bröring
Brandenburgische Technische
Universität Cottbus
Lehrstuhl Allgemeine Ökologie
Postfach 101344, D-03046 Cottbus
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Dr. Rolf Niedringhaus
Carl-von-Ossietzky-Universität
Fakultät V, Institut für Biologie u Umweltwissenschaften
D - 26111 Oldenburg
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Stand: 02/2009