Die Flora und Fauna der Ostfriesischen Inseln

Zur Milbenfauna der Ostfriesischen Inseln

(Arachnida, Acari)

Zusammenfassung

Die Erfassung der Milben der Ostfriesischen Inseln und besonders der bodenlebenden Arten ist bislang sehr lückenhaft und bis auf Untersuchungen im Dünengürtel von Spiekeroog unsystematisch. Dennoch wird mit insgesamt fast 300 Arten eine erstaunliche Artenvielfalt dokumentiert. Hiermit wird die Bedeutung der Bearbeitung dieser Gruppe für die Abschätzung der Biodiversität herausgestellt. Besonderheiten der Inselfauna zeichnen sich im meeresnahen Bereich ab.

Summary

The current knowledge of the Acari fauna of the East Frisian islands (Arachnida, Acari). - The recording of mites from the East Frisian islands, and particularly of the soil-dwelling species, is still in an infant stage, with the notable exception of a survey of the dunes of Spiekeroog island. Nonetheless, with almost 300 species recorded so far, a surprisingly high level of diversity has been documented. This underlines the importance of the Acari in the assessment of biological diversity. Peculiarities in the composition of the island fauna become particularly evident in habitats close to the sea.

Was sind... Milben?

Raubmilben (Gamasina) gehören zur großen Milbengruppe der Parasitiformes. Die Mehrzahl der Arten sind freilebende Räuber. Es sind aber auch viele Parasiten unter den Gamasina zu finden. Für die freilebenden Arten gibt es einen sehr guten Bestimmungsschlüssel (KARG 1993), der ca. 1.000 Arten für Mitteleuropa erfasst.

Die Körpergröße der meisten freilebenden Raubmilben liegt zwischen 1/4 und etwas mehr als einem Millimeter. Als Räuber besitzen sie gut bewegliche Laufbeine und mitunter stark gezähnte Mundwerkzeuge (Cheliceren). Die ovale Körperform überwiegt. Viele den Boden bewohnende Arten sind jedoch durch recht schlanke Formen an den engen Lebensraum der Bodenporen angepasst. Die Tiere sind durch meist gut ausgebildete Chitinplatten geschützt. Hier finden sich zahlreiche arttypische Strukturen, die zur Bestimmung herangezogen werden. Präparation für die lichtmikroskopische Betrachtung ist erforderlich. Die Raubmilben durchlaufen ein dreibeiniges Larvenstadium und zwei Nymphenstadien. Die Jugendstadien sind merkmalsarm und erst ansatzweise beschrieben, wohingegen die Geschlechter morphologisch gut zu differenzieren sind. Die Biologie der Raubmilben ist in groben Zügen bekannt. Für viele Arten sind mehr oder weniger detaillierte Fundortangaben in KARG (1993) zu finden.

Durch ihre Position als Räuber im unterirdischen Nahrungsnetz gelten die Gamasina als gute Indikatoren für Umwelteinflüsse (KARG & FREIER 1995). In einer Langzeitstudie (1980-2000) wurde ein von der Vegetation deutlich abweichender Sukzessionsverlauf nachgewiesen sowie ein langfristig andauernder Effekt einer Rekultivierungsmaßnahme (KOEHLER & MÜLLER 2003). In den Küstendünen zeigte sich selbst im arten- und strukturarmen Ammophiletum der Weißdünen eine erstaunliche Diversität der Gamasina-Taxozönose (KOEHLER 1999a, b).

Die historischen Aufnahmen der Gamasina beschränken sich im Wesentlichen auf Arten der Bodenoberfläche und solche von Sonderstandorten, wie Nestern oder Kadavern. Eine systematische Erfassung der freilebenden Gamasina wird mit Bodenfallen und der Entnahme von Bodenkernen ermöglicht. Aus den Bodenkernen kann mit Hilfe von Austreibegeräten eine große und diverse Schar von Bodenkleinarthropoden gewonnen werden. Die Geräte sind nach ihren Erfindern bzw. Modifikatoren benannt, wie Berlese, Tullgren, MacFadyen (DUNGER & FIEDLER 1997).

Zu den übrigen Milben zählen wir neben den Zecken (Ixodida, in Deutschland ca. 30 Arten) sowie den Käfermilben (Oribatida oder Cryptostigmata, in D etwa 520 Arten) und Hausstaubmilben (Acaridida oder Astigmata, in D mindestens 250 Arten) die überaus diversen Actinedida, welche neben einer Vielzahl landbewohnender Formen (in D mindestens 550 Arten) auch die aquatischen Wassermilben (Hydrachnellae, in D mindestens 450 Arten) und Meeresmilben (Halacaridae in D ca. 40 Arten) beinhalten.

Während die Zecken ausschließlich an Wirbeltieren parasitieren, ernähren sich Oribatida und viele Acaridida saprophag. Daneben kommen bei den Acaridida auch Parasiten wie zum Beispiel die Räudemilben vor. Die größte Vielfalt an Ernährungs- und Lebensformtypen tritt innerhalb der Actinedida auf: Neben freilebenden Räubern kommen Parasiten auf Wirbeltieren, Wirbellosen und Pflanzen vor. Diese Vielfalt findet ihren Ausdruck auch in der Formenvielfalt: Die nur rund einen zehntel Millimeter großen Gallmilben mit ihrem wurmförmigen Körper und nur zwei Laufbeinpaaren unterscheiden sich deutlich von den bis zu einem Zentimeter großen und oft auffällig farbigen Wassermilben.

Viele Arten entwickeln sich über ein sechsbeiniges Larvenstadium und drei sich anschließende, achtbeinige Nymphenstadien zum fortpflanzungsfähigen Adultus; Modifikationen durch Wegfall von Stadien sind in verschiedenen Teilgruppen allerdings häufig festzustellen.

Einleitung

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Die Raubmilbe Asca bicornis, hier ein Weibchen mit einer Körperlänge von ca. 350 µm, ist eine in Böden der Küstendünen lebende Raubmilbe. Sie kommt außerdem in Grünlandböden vor. (Foto: H. Koehler).

Die Ostfriesischen Inseln stellen einen überaus reich gegliederten, dynamischen Lebensraum dar. Das Zusammenspiel von Meer und Wind mit den Einflüssen des Menschen führt zu einem Mosaik oft kleinflächiger Biotope mit entsprechend vielfältigem Ressourcenangebot.

Von speziellem Interesse sind die hochdynamischen Küstendünen mit ihrer charakteristischen Vegetationsabfolge. Die meeresnahen Weißdünen sind vom Strandhafer dominiert, während in den Graudünen Flechten, angepasste Gräser und Kräuter abwechslungsreiche Muster bilden. In den beruhigten, älteren Bereichen sind Heiden und Dünenwälder bestandsbildend. Die Bodenart ist in der Regel Sand. Die Bodenentwicklung vom Lockersyrosem zum Podsol ist im Transekt von den jungen Primardünen zu den alten Braundünen nachzuvollziehen. Die damit einhergehende Zunahme des Stickstoffpools im Boden wurde von GERLACH et al. (1994) beschrieben. Zusätzlich zum Altersgradienten spielt die Exposition sowohl für die Bodenverhältnisse wie für die Biota eine bedeutende Rolle (mittelskalierte räumliche Musterbildung; KOEHLER 1999a).

Die ökologischen Systeme der Küstendünen sind klar strukturiert, die Bodenmatrix relativ unkomplex. Umso erstaunlicher ist die schon aus den wenigen vorliegenden Untersuchungen deutlich werdende große Artenvielfalt der Bodenkleinarthropoden.

Im Folgenden wird eine kritische Artenliste aller auf den Ostfriesischen Inseln festgestellten Milben erstellt, wobei die Zusammenstellung in BRÖRING et al. (1993: 12-16) auf den neuesten nomenklatorischen Stand gebracht und einige alte Angaben kritisch bewertet werden. Für die Gruppe der Raubmilben (Gamasina) werden neue Daten von Baltrum und Spiekeroog geliefert und durch Angaben aus angrenzenden Küstenregionen der Nordsee sowie durch Funde aus Ostseedünen ergänzt. Systematische Erhebungen sind bislang erst ansatzweise erfolgt (MUNDERLOH & HOFMANN 1992), obwohl angesichts der im Folgenden belegten hohen Diversität der Bodenmilben ein erheblicher Bedarf besteht.

Mit ihrer Artenvielfalt tragen die endogäischen Gamasina erheblich zur Biodiversität eines Standortes bei. Sie ist nicht über die Artenvielfalt der Pflanzen (Phytodiversität) abschätzbar (Koehler & Müller 2003). Mit Hilfe der endogäischen Gamasina werden Erkenntnisse über Entwicklungen im Boden gewonnen, seien es Sukzessionsprozesse oder auch bei langfristig angelegtem Monitoring Änderungen in Folge des Klimawandels (vgl. Handelmann 2006). Ersteres kann im allerdings nicht unproblematischen "Raum-für-Zeit"-Vergleich vom Strand bis zu den Braundünen abgeschätzt werden, letzteres besonders in den einfach strukturierten jüngeren Dünen.

Die Bedeutung von Langzeitforschung im Zusammenhang mit der Beurteilung von Folgen des Klimawandels ist erkannt und wird im deutschen Beitrag zum internationalen Netzwerk ökologischer Langzeitforschung verfolgt (International Long Term Ecological Research, ILTER-d, http://www.lter-d.ufz.de). Die Ökosysteme der Küstendünen wären in diesem Kontext auch aufgrund ihrer relativ hohen Vergleichbarkeit im geografischen Transekt ein lohnendes Forschungsobjekt.

Raubmilben der Inselkette

Obwohl es schon frühe Nachweise von Milben auf den Ostfriesischen Inseln gibt (s. besonders die Arbeiten von OUDEMANS 1903, 1904; WILLMANN 1937, 1953; Listen bei BRÖRING et al. 1993) ist die Datengrundlage bislang überwiegend unsystematisch und lückenhaft. Die Umfänge der Beprobungskampagnen sind sehr unterschiedlich, erstrecken sich niemals über einen längeren Zeitraum und decken nicht die gesamte Inselkette ab.

Die Beschränkung der neueren Arbeiten aus der Arbeitsgruppe von Prof. Weidemann (Universität Bremen) auf die endogäische Fauna der Dünengürtel könnte eine Grundlage für eine umfassende und machbare Analyse dieses Teilsystems der Küstenzönosen darstellen (vgl. KOEHLER 1999a, b; KOEHLER et al. 1995; MUNDERLOH & HOFMANN 1992; MUNDERLOH 1996).

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Tab. 1: Artenzahlen der auf den Ostfriesischen Inseln festgestellten Gamasina, ohne zweifelhafte Meldungen.

Insgesamt sind bis heute 90 Raubmilben-Arten auf den Ostfriesischen Inseln gemeldet (Tab. 1), die meisten von Wangerooge. Es ist zu betonen, dass dies kein Abbild der Diversität der Gamasina ist, sondern durch die Untersuchungsintensität und die unterschiedliche Vielfalt der untersuchten Kleinlebensräume bedingt ist. So wurden die beiden von Spiekeroog bis 1975 erwähnten Arten in der Untersuchung von MUNDERLOH & HOFMANN (1992) nicht nachgewiesen, die ausschließlich Böden des Dünengürtels beprobten. Die Art Pergamasus crassipes ist eine Oberflächenart, Pseudoparasitus venetus eine seltenere Art entwickelter Standorte (z.B. Wald, Baummulm).

Die Fauna der Ostfriesischen Inseln weist nach den vorliegenden lückenhaften Befunden keine Besonderheiten im Vergleich zu angrenzenden Gebieten der Nordsee auf (KOEHLER 1999a); hier nicht berücksichtigt sind die Funde von SALMANE (2001) und SALAMANE & HELDT (2001) von den Küsten Lettlands. Viele der Arten der Küsten von Nord- und Ostsee werden daher mit großer Wahrscheinlichkeit bei genauerer Untersuchung auch auf den Ostfriesischen Inseln anzutreffen sein. Allerdings zeigen die Arten im Transekt vom Spülsaum zur Braundüne eine deutliche und durch Fundortangaben in KARG (1993) untermauerte Abfolge (Tab. 2).

Die Arten des Strands und Spülsaums sind als halobiont anzusehen, die der Primär- und Weißdüne als störungstolerant bzw. angepasst an die Dynamik des Lebensraumes. Weiß- und Graudüne können eine überraschende Artenvielfalt beherbergen, wobei kleine typische Bodenarten überwiegen. In der Braundüne werden zunehmend Waldarten angetroffen.

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Tab. 2: Typische Gamasina-Arten im Transekt vom Spülsaum landeinwärts (Spiekeroog).

Die Inseln beherbergen nach den vorliegenden Befunden fast 10 % der in der Tierwelt Deutschlands (59. Teil) von KARG (1993) aufgeführten Gamasina-Arten, wobei einige von ihnen streng an die meeresnahen Biotope gebunden zu sein scheinen. Dies verdeutlicht die Besonderheit und Bedeutung der subterranen Lebensräume für die Biodiversität der Ostfriesischen Inseln.

Besondere Aufmerksamkeit gebührt daher den Arten der dynamischen meeresnahen Dünen und jenen des Strandes und des Spülsaumes. Dies wird durch die Arbeiten von BLASZAK & EHRNSBERGER (1993, 1995, 1998) unterstrichen: Sie erschließen durch systematische Bearbeitung von Spülsäumen der Nord- und Ostseeküste eine erstaunliche Vielfalt angepasster Arten. Diese Lebensräume sind durch "Strandpflege", touristische Nutzung ("trampling", KOEHLER et al. 1996) und Stabilisierungsmaßnahmen gefährdet. Interessant sind auch die in den Strohbefestigungen der Sandwege gefundenen Arten, die typisch für Kompost und Verrottung sind, aber nicht für Dünen.

Die übrigen Milben der Inselkette

Nach 1953 fanden auf den Ostfriesischen Inseln keine umfassenden Erhebungen der Actinedida, Acaridida und Oribatida mehr statt. Da darüber hinaus die frühen faunistischen Untersuchungen überwiegend nur sehr punktuell durchgeführt wurden, stellen die bis heute festgestellten Arten (Tab. 3) sicherlich nur einen Teil der tatsächlich auf den Inseln vorkommenden Acari dar.

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Tab. 3: Artenzahlen der übrigen Milben auf den Ostfriesischen Inseln.

Grundsätzlich gilt wie für die Gamasina, dass aus den vorliegenden Daten keine Besonderheiten im Vergleich zu angrenzenden Gebieten der Nordsee ersichtlich sind. Habitatspezifisch für den Küstensaum, insbesondere die steinigen Bereiche, sind Ameronothrus Arten, Nanorchestes amphibius und Hyadesia fusca als Algenkonsumenten sowie einige räuberische Bdellidae und Abrolophus-Arten. Als halophil können neben den gefundenen Meeresmilben auch die Hermannia-Arten, Oribatella litoralis und Zachvatkinibates quadrivertex angesehen werden. Ein typischer Bewohner der Braundünen ist Erythraeus phalangioides, welcher dort als wesentlicher Prädator von Ameisen auftritt. Die Habitatansprüche der meisten gelisteten Arten (soweit bekannt) korrelieren allerdings nicht mit der Lage der Inseln in der Nordsee; man findet sie in vergleichbaren Lebensräumen in Norddeutschland und darüber hinaus. Manche - wie die Glyciphagus-Arten - sind als Kulturfolger sicherlich erst mit der Besiedlung durch den Menschen auf die Inseln gekommen.

Basierend auf einem Artikel von:

Prof. Dr. Hartmut Koehler
Universität Bremen
Zentrum für Umweltforschung und Umwelttechnologie (UFT)
D–28359 Bremen
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Stand: 02/2009