Die Flora und Fauna der Ostfriesischen Inseln

Die Kurzflügelkäfer
der Ostfriesischen Inseln

(Coleoptera: Staphylinidae)

Zusammenfassung

Die Kurzflügelkäfer (Staphylinidae) sind auf den Ostfriesischen Inseln mit 521 sicher nachgewiesenen Arten vertreten, von denen 510 Arten zum aktuellen Bestand zählen dürften. Die Erfassung der Kurzflügelkäfer der einzelnen Ostfriesischen Inseln ist sehr unterschiedlich: Gut untersucht sind Mellum, Memmert, Lütje Hörn, Norderney, Borkum, Langeoog und Spiekeroog.
In jedem der unterschiedenen Biotoptypen der Ostfriesischen Inseln wurden mindestens 100 Staphylinidenarten gefunden. Diese hohe Zahl ist dadurch zu erklären, dass die zumeist kleinen Staphyliniden Kleinstlebensräume (z.B. Aas, Pflanzendetritus) präferieren, die in sehr unterschiedlichen Biotoptypen vorkommen. Hervorzuheben ist die Bedeutung der Küstenspülsäume als Lebensraum für hochdiverse Staphyliniden-Gemeinschaften. Diese sind daher besonders schützenswert. Insgesamt 162 der 510 auf den Inseln aktuell vertretenen Staphylinidenarten werden in der räumlich nächstgelegenen und verfügbaren regionalen Roten Liste Schleswig-Holsteins als mehr oder weniger stark gefährdet eingestuft.

Summary

The rove beetles of the East Frisian islands (Coleoptera: Staphylinidae). - So far, 521 species of rove beetles (Staphylinidae) have been recorded from the East Frisian islands, 510 of which are assumed to be still present. The level of collection intensity varies considerably from island to island: Well studied are the islands of Mellum, Memmert, Lütje Hörn, Norderney, Borkum, Langeoog and Spiekeroog.
In each of the various types of habitat under investigation at least 100 staphylinid species were found. This is mostly due to the fact that Staphylinidae are usually associated to microhabitats below the spatial scale of the biotope types. Microhabitats preferred by many rove beetles (e.g., carrion, plant detritus) can be part of various biotope types. Of particular importance as a habitat for highly diverse staphylinid communities are driftlines, which therefore deserve particular protection. 162 species out of the total of 510 species still present on the islands are listed as endangered in the closest available regional Red List of Schleswig-Holstein.

Was sind... Kurzflügelkäfer?

Die Staphylinidae (Kurzflügelkäfer) gehören nach neuerer Nomenklatur (LAWRENCE & NEWTON 1982, BEUTEL & LESCHEN 2005, CATERINO et al. 2005) mit den Hydraenidae, Ptiliidae, Agyrtidae, Leiodidae, Scydmaenidae und Silphidae zur Käfer-Unterordnung der Staphylinoidea. Nach der älteren Einteilung gemäß FREUDE et al. (1965; FHL) und GEISER (1998) gehören zu den Staphylinoidea neben den Staphylinidae (inkl. der neu eingegliederten Scaphidiinae, Dasycerinae und Pselaphinae, die ehemals in Familienrang standen) die Histeridae, Sphaeritidae, Silphidae, Agyrtidae (FHL: Histeridae part.), Leptinidae, Cholevidae, Colonidae, Leiodidae, Scydmaenidae und Ptiliidae.

Die Familie der Kurzflügelkäfer ist weltweit mit über 50.000 Arten vertreten. Bislang sind ca. 1.550 Arten für Deutschland gemeldet (KÖHLER & KLAUSNITZER 1998, KÖHLER 2000). Insgesamt sind aus Deutschland etwa 6.500 Käferarten aus 120 Familien bekannt; die Staphylinidae allein haben einen Anteil von ca. 23 %. Dass diese Gruppe dennoch bei landschaftsökologischen Fragestellungen relativ selten Berücksichtigung findet, liegt hauptsächlich an der z.T. schwierigen Bestimmbarkeit der meist kleinen bis sehr kleinen Tiere (im Durchschnitt etwa 4 mm lang). Bei vielen Arten sind für eine sichere Determination Genitalpräparate anzufertigen. Dies erschwert eine Handhabung im gutachterlichen Bereich. Die in gemäßigten Breiten sehr artenreichen Staphyliniden haben sich an die meisten terrestrischen Groß- und Kleinstlebensräume angepasst. Somit sind sie für ökologische Untersuchungen als optional heranzuziehende Gruppe gut geeignet (KLAUSNITZER 1995).

Kurzflügelkäfer haben im allgemeinen eine langgestreckte Gestalt und, wie bereits im Namen anklingend, oftmals stark verkürzte Deckflügel (Elytren). Hingegen sind die Hinterflügel bei vielen Arten voll entwickelt und lassen sich nach einem komplizierten Schema unter die Elytren zusammenfalten. Die meisten Staphyliniden leben in reich strukturierten Bereichen des Epi- und Hypogaions. Ihre längliche, etwas wurmförmige Gestalt verschafft den Tieren in diesen Lebensräumen Lokomotionsvorteile. Gleichzeitig bedingt diese Körperform durch die relativ große Oberfläche eine höhere Austrocknungsgefahr. Dies wird dadurch ausgeglichen, dass sich die Mehrzahl der Arten vorzugsweise an feuchten Standorten aufhält. Jedoch gibt es auch xerotherme Staphyliniden, die auf Düneninseln hervorragende Lebensbedingungen antreffen. Gerade die Kurzflügelkäfer sind für ihre zum Teil sehr speziellen Einnischungen bekannt. Symphile, synöke und synechthre Arten kommen in dieser Gruppe ebenso vor wie Bewohner des Sandwatts, von Nestern bestimmter Vogelarten oder Aas-Sukzessionsstadien. Staphyliniden leben im allgemeinen räuberisch, jedoch gibt es auch Pilzmyzel, Pollen und Algen fressende sowie parasitisch lebende Arten. Insgesamt werden in Deutschland 42,5 % der Staphylinoidenarten, unter denen die Familie Staphylinidae die große Mehrheit der Arten stellt, als gefährdet bzw. ausgestorben eingestuft (GEISER 1998).

Einleitung

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Cafius xantholoma, ein auf den Ostfriesischen Inseln in Spülsäumen häufig anzutreffender, küstentypischer Kurzflügelkäfer (Foto: A. Rose).

Die im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer gelegenen Ostfriesischen Inseln sind in mehrerer Hinsicht besonders beachtenswert. So weisen die Inseln und das vorgelagerte Watt zum einen Extrem-Lebensräume auf, die auf dem Festland nicht oder zumindest nicht in dieser Ausprägung zu finden sind. Diese beherbergen viele spezialisierte Arten. Zum anderen führen die raschen dynamischen Prozesse im Wattenmeer bereits kurzfristig zu Veränderungen der Form und Lage der Wattenmeer-Inseln. Dieser Wandel ist für Geologen wie für Biologen gleichermaßen interessant. Anderswo weitaus langsamer ablaufende Prozesse (wie z.B. Sedimentation und Sukzession) lassen sich hier z.T. in Jahrzehnten, wenn nicht gar in Jahren beobachten. Im Bereich der Ostfriesischen Inseln kann die Entwicklung junger und älterer Barriere-Düneninseln am besten verfolgt werden. Aufgrund anderer Sedimentfrachten und Tidenhübe ist diese Möglichkeit weiter westlich und östlich nicht in dem Maße gegeben.

Bisherige quantitative Untersuchungen der Kurzflügelkäfer auf den Ostfriesischen Inseln konzentrierten sich hauptsächlich auf die alte Insel Norderney (ROSE 2001), die beiden jungen Inseln Memmert (ROSE 1994, 2001) und Mellum (ROSE & MÖHLMANN 1993, ROSE 2001) sowie die sehr instabile Insel Lütje Hörn (ROSE 1998, 2001), welche gleichzeitig vier unterschiedliche Stadien der Düneninsel-Sukzession repräsentieren. Weitere relativ neue und umfangreiche Arbeiten liegen lediglich für Borkum (ROSE 2000; ROSE et al. 2006; ROSE et al. 2007), Langeoog (GRÄF 1987, 1992) und Spiekeroog (PUTHZ 1979; MAUS 1983, 1986, 1988) vor. Für die Inseln Juist, Baltrum und Wangerooge ist die Datenlage unzureichend, wobei besonders die Insel Baltrum hinsichtlich der Kurzflüglerfauna noch nahezu unerforscht ist. Zusammenfassende Arbeiten zur Staphylinidenfauna der Ostfriesischen Inseln gibt es bislang nur wenige (BRÖRING et al. 1993; ROSE 2001; ROSE et al. 2006; ROSE et al. 2007).

Darüberhinaus liegen von allen Ostfriesischen Inseln zahlreiche Berichte über Aufsammlungen vor (siehe Datengrundlage & Erfassungsstand).

Datengrundlage und Erfassungsstand

Der bisherige Kenntnisstand der Staphyliniden der Ostfriesischen Inseln ist als sehr unterschiedlich einzustufen. Gerade bei älteren Publikationen, deren Blickwinkel oftmals auf der gesamten Käfer-, Insekten- oder gar Tierwelt ruhte, ist verstärkt mit Fehldeterminationen zu rechnen. Einige früher erwähnte Arten wurden später aufgespalten. Solche Angaben lassen sich z.T. nicht mehr klären, weil einige alte Sammlungen nicht mehr überprüft werden können, da sie verschollen sind.

Die ersten Erwähnungen von Kurzflügler-Funden auf den Ostfriesischen Inseln stammen von METZGER (1867, 1868), WESSEL (1877), ALFKEN (1891) sowie VERHOEFF (1891, 1895). Diese Autoren tätigten ihre Fänge v.a. auf Juist und Norderney. Ebenso sind die Arbeiten von HESS (1881) und POPPE (1891) über die Fauna von Spiekeroog zu nennen. Aus dem vorletzten Jahrhundert besonders erwähnenswert ist die Arbeit von SCHNEIDER (1898) über die Tierwelt von Borkum. Darin sind bereits über 200 Staphylinidenarten aufgelistet, von denen einzelne Meldungen aber als zweifelhaft anzusehen sind. Leider ist die Sammlung von Schneider nicht aufzufinden, sodass diese Angaben nicht nachprüfbar sind. Viele genannte Fundangaben werden von WIEPKEN (1884, 1886, 1894) sowie RÖBEN (1901, 1908) in ihren Verzeichnissen der Käfer Oldenburgs aufgegriffen.

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Der Prächtige Salzkäfer, Bledius spectabilis, ist auf allen Ostfriesischen Inseln sehr häufig. Sein Lebensraum ist das Sandwatt bis zu schlickigen Salzwiesen, besonders häufig tritt er an Prielrändern auf. Bledius spectabilis frisst Algen. Dichte Ansammlungen kleiner Sedimenthäufchen am Boden weisen auf die unterirdischen Gänge hin, in denen die Tiere leben und sogar Brutfürsorge betreiben (Foto: H. Krummen).

Es folgt eine Arbeit über Langeoog (VON VARENDORFF 1906), in der einzelne Käferarten angegeben sind. Von FÜGE (1919) stammt eine Arbeit über die Insektenwelt des Memmert, die auch Angaben über einzelne Staphylinidenarten enthält. Anfang des letzten Jahrhunderts untersuchte ALFKEN (1924, 1930) die Insekten der jungen Düneninseln Memmert und Mellum und lieferte für den Memmert eine relativ umfangreiche Artenliste. Viele seiner Fänge befinden sich in der Sammlung Künnemann (Museum für Natur und Mensch, Oldenburg). Fehlbestimmungen in dieser Sammlung (u.a. einige Tiere von Alfken) wurden später von Georg Kerstens korrigiert und in dessen Tagebüchern vermerkt (Museum für Natur und Mensch, Oldenburg), aber erst später von ROSE (2004) und ROSE et al. (2006 & 2007) veröffentlicht.

In den 1930er und 40er Jahren untersuchten die Herren R. und F. Struve die Insektenfauna der Insel Borkum. Sie veröffentlichten nur einige ihrer Insektenfunde selbst. Die Staphylinidenfunde aus ihrer umfangreichen Sammlung (284 Arten) wurden erst sehr viel später publiziert (ROSE 2000). Einzelne Funde von Borkum sind auch bei VON MINCKWITZ & HÄNEL (1936) und HÄNEL (1940) erwähnt. Aus diesem Zeitraum stammt auch die einzige ältere Arbeit, die sich speziell mit Kurzflügelkäfern der Ostfriesischen Inseln beschäftigt (LEEGE 1934).

In den 1940er, 50er und 60er Jahren wurden von einzelnen Koleopterologen Fänge auf verschiedenen Inseln getätigt, die z.T. von HORION (1963, 1965, 1967) erwähnt werden. Weitere Fundangaben aus diesem Zeitraum und den 1970er Jahren finden sich in den bereits erwähnten Kerstens-Tagebüchern, die auszugsweise veröffentlicht wurden (WEIDENHÖFER 1996; ROSE 2004; ROSE et al. 2006; ROSE et al. 2007).

In jüngerer Vergangenheit veröffentlichte PUTHZ (1979) seine Käferfunde von Spiekeroog. Neuere umfangreiche Angaben zur Käferfauna dieser Insel stammen von MAUS (1983, 1986, 1988, 1998, 2001). Ebenfalls zu nennen sind die Arbeiten von GRÄF (1986, 1987, 1992) über die Käfer von Langeoog.

Erst in jüngerer Zeit wurden speziell die Staphyliniden-Gemeinschaften auf den Ostfriesischen Inseln quantitativ erforscht. Dies geschah in den Jahren 1984-86 und 1994-95 im Rahmen von Forschungsprogrammen zur Erforschung der Arthropoden der Ostfriesischen Inseln (ROSE & MÖHLMANN 1993; ROSE 1994, 1998, 2001).

ROSE et al. (2006, 2007) liefern schließlich eine Zusammenfassung unveröffentlichter Meldungen und Korrekturen für die Ostfriesischen Inseln, welche den bisherigen Kenntnisstand deutlich erweitert.

Aktueller Artenbestand auf den Inseln

Insgesamt wurden bis heute auf den hier berücksichtigten 11 Ostfriesischen Inseln 555 Arten der Staphyliniden gemeldet, von denen 521 Arten als sicher nachgewiesen gelten können und 510 Arten zur aktuellen Inselfauna zählen dürften. Der aktuelle Artenbestand der Inselkette entspricht damit Anteilen von 33 % der deutschen (N ≈ 1550) und 55 % der Arten des Weser-Ems-Gebietes (N ≈ 920).

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Abb. 1: Nachweisfrequenz von Staphylinidenarten auf den Ostfriesischen Inseln.

Auf einigen Inseln fanden in den letzten 25 Jahren umfassende Bodenfallen-Untersuchungen statt, auf anderen nicht. Daher spiegeln die folgenden Artenzahlen für die einzelnen Inseln zu einem guten Teil die unterschiedlichen Erfassungsstände wider. Die am stärksten ausdifferenzierten Inseln Borkum, Norderney, Langeoog und Spiekeroog weisen die höchsten Artenzahlen auf (Tab. 1). Es folgen die wenig differenzierten, aber besonders gut erfassten Inseln Memmert und Mellum. Unzureichend untersucht wurden bislang die Inseln Juist, Wangerooge, Minsener Oog und Baltrum, wobei Baltrum hinsichtlich der Staphylinidenfauna noch nahezu unerforscht ist. Während Meldungen für Borkum, Juist und Wangerooge v.a. aus der Zeit vor 1975 stammen, überwiegen bei den anderen Inseln neuere Fundmeldungen.

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Tab. 1: Artenzahlen der von den Ostfriesischen Inseln bekannten Kurzflügelkäfer (ohne zweifelhafte Meldungen).

Sehr häufig auf mindestens einer Insel vertreten waren 81, in mindestens einem Biotoptyp 47 Kurzflüglerarten. Insgesamt 185 Arten wurden lediglich vereinzelt nachgewiesen.

Die Nachweisfrequenz der Staphylinidenarten auf den Ostfriesischen Inseln (Abb. 1) weicht von der bei anderen Großtaxa gefundenen U-förmigen Verteilung ab (BRÖRING 1991, HAESELER 2008, NIEDRINGHAUS 1991, RITZAU 1995). Ein Vergleich mit der von RITZAU (1995) dargestellten Entwicklung einer solchen U-förmigen Verteilung bei ansteigender Erfassungstätigkeit macht deutlich, dass sich die Erfassung der Staphyliniden auf der Kette der Ostfriesischen Inseln erst in einem mittleren Stadium befindet. Besonders der schlechte Erfassungsstand auf einzelnen Inseln (Baltrum, Minsener Oldeoog, Wangerooge) führt zu geringeren Nachweisfrequenzen bei hoher Inselzahl.

Faunistische Besonderheiten

Unter den Staphylinidae sind insgesamt 60 Arten im Weser-Ems-Gebiet auf den Küstenraum beschränkt bzw. haben hier einen Verbreitungsschwerpunkt, darunter Scaphium immaculatum, Omalium italicum, Micralymma marinum, Carpelimus foveolatus, Carpelimus halophilus, Anotylus maritimus, Tasgius globulifer, Heterothops binotatus, Quedius levicollis, Quedius semiobscurus, Mycetoporus forticornis, Atheta puncticollis, Atheta varendorffiana, Atheta vestita, Halobrecta algae, Halobrecta flavipes, Oxypoda exoleta, Aleochara obscurella und Aleochara punctatella.

Drei weitere Arten (Omalium rugulipenne, Bledius furcatus, Myrmecopora uvida) sind mittlerweile offenbar aus dem Weser-Ems-Gebiet verschwunden.

Besiedlung der Lebensräume der Inseln

Bis in das Litoral hinein werden sämtliche Lebensräume der Ostfriesischen Inseln von bestimmten Staphylinidenarten besiedelt. Auffällig ist die relativ homogene Verteilung von Arten über die verschiedenen Lebensräume (Tab. 2). In keinem der vor allem pflanzensoziologisch unterschiedenen Biotoptypen (EGGERS et al. 2008) wurden weniger als 100 Arten festgestellt. Dies ist insofern nicht verwunderlich, als sich die Präferenzen der Kurzflügelkäfer vielfach auf kleineren Skalen als der Biotoptypenebene abspielen. Die meisten Arten bevorzugen als Lebensraum pflanzlichen und tierischen Detritus in verschiedener Form, und solcher findet sich oft in ganz unterschiedlichen Biotoptypen. Insofern ist die in diesem Band vorgegebene Lebensraum-Klassifizierung nach Biotoptypen für die Kurzflügelkäfer von geringerer Relevanz als Präferenzmuster auf kleinskaligeren Ebenen.

Dennoch gibt es bestimmte Schwerpunkte des Auftretens von Staphyliniden auch in größeren Biotopstrukturen. Vor allem die Küsten-Spülsäume sind hier zu nennen, die auf den Ostfriesischen Inseln eine typische Kurzflüglerfauna beherbergen. Allein 152 Arten kann man als indigen für diesen Lebensraum ansehen, der im Naturschutz oft einen geringen Stellenwert zugesprochen bekommt, dessen Schutz auf den Ostfriesischen Inseln aber umso wichtiger ist. Die hohen Artenzahlen in den Vordünen und Salzwiesen, aber auch im mesophilen Grünland erklären sich zu einem hohen Anteil aus solchen Spülsaumbewohnern.

Feuchte Stellen werden von besonders vielen Staphylinidenarten besiedelt. Dies bedingt auf den Ostfriesischen Inseln auch die hohen Artenzahlen in den feuchten Dünentälern mit deren Gehölzen. Letztere beherbergen zudem die typischen Waldarten. Eine recht eigenständige Fauna weist auch die Küstendünen-Heide auf (ROSE 2001).

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Tab. 2: Auftreten von Arten der Familie Staphylinidae in den verschiedenen Biotoptypen der Inseln; nur aktueller Artenbestand.

Ansonsten sind auf den Ostfriesischen Inseln relativ viele Sand und Trockenheit liebende Arten, die auf dem Festland vor allem auf Binnenlanddünen und der Geest zu finden sind, häufig.

Nachweise von Arten in bestimmten Biotoptypen sind nicht gleichbedeutend mit einer Indigenität für einen solchen Lebensraum: Gerade durch ihre Vagilität und oftmals zu beobachtende Flugaktivität werden viele Kurzflüglerarten leicht auf dem Luft- und/oder Wasserweg verdriftet (anemochor, hydrochor, anemohydrochor) bzw. wandern aktiv. Sie werden dann mitunter in ganz anderen als ihren präferierten Lebensräumen gefunden. Dies ist auf den Ostfriesischen Inseln umso gravierender, als dort unterschiedliche Biotoptypen räumlich eng verzahnt sind.

Nicht immer war es leicht, aus den verfügbaren Literaturangaben oder aus anderen Fundmeldungen eindeutig die Biotoptypen herauszulesen, in denen die jeweiligen Arten gefunden wurden. So wurde manche für Hafenbereiche gemeldete Art vermutlich im Schlickwatt und den Salzwiesen gefangen, wurde jedoch formal in der Spalte "Siedlungsflächen" verzeichnet. Nachweise ohne Häufigkeitsabschätzung sind daher mit besonderer Vorsicht zu behandeln. Die Ergebnisse stellen lediglich den derzeitigen Wissensstand dar, so unvollkommen er auch sein mag.

Die Inseln als schützenswerter Lebensraum

Neben der bundesdeutschen Roten Liste der Käfer (GEISER 1998) kann für die Ostfriesischen Inseln in Ermangelung einer niedersächsischen am ehesten die Rote Liste für das nördliche Nachbarland Schleswig-Holstein (GÜRLICH et al. 1995) herangezogen werden. Nach der bundesdeutschen Roten Liste sind 67 Kurzflüglerarten der Ostfriesischen Inseln mehr oder weniger stark gefährdet (Tab. 3).

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Tab. 3: Gefährdete Kurzflüglerarten auf den Ostfriesischen Inseln (nur rezente Arten).

Bedeutsamer für die Ostfriesischen Inseln ist die Rote Liste der Käferarten Schleswig-Holsteins. Dort sind 3 Kurzflügelkäferarten, die auf der Inselkette sicher gefunden wurden, als ausgestorben aufgelistet (Kategorie 0: Staphylinus caesareus [auf Langeoog häufig], Hygropora cunctans, Oxypoda testacea). 17 weitere Arten gelten in Schleswig-Holstein als vom Aussterben bedroht (Kat. 1). 39 Arten sind dort stark gefährdet (Kat. 2), 92 gefährdet (Kat. 3) und 11 als potenziell gefährdet (Kat. 4) eingestuft. Insgesamt können also 162 der 510 zum aktuellen Inselbestand zählenden Arten und damit 32 % als mehr oder weniger stark gefährdet gelten.

Es ist offensichtlich, dass für die artenreichen und charakteristischen Staphyliniden- Gemeinschaften der Ostfriesischen Inseln ein dauerhafter Schutz im Rahmen des Nationalparks "Niedersächsisches Wattenmeer" gesichert werden muss. Als besonders schützenswerter Lebensraum mit leider nur geringer Lobby sind vor allem die Küsten-Spülsäume zu nennen, die eine reichhaltige und diverse Staphylinidenfauna beherbergen. Die gängige Praxis des Abtragens von Winterspülsäumen ist daher aus Sicht des Naturschutzes zu hinterfragen.

Basierend auf einem Artikel von:

Dr. Armin Rose
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Stand: 02/2009