Die Flora und Fauna der Ostfriesischen Inseln

Zur Besiedlung der Ostfriesischen Inseln
durch Sandlaufkäfer und Laufkäfer

(Coleoptera: Cicindelidae et Carabidae)

Zusammenfassung

Für die der nordwestdeutschen Küste vorgelagerte ostfriesische Inselkette, bestehend aus 7 größeren, bewohnten und 4 kleineren, unbewohnten Inseln, wurden insgesamt 240 Sandlauf- und Laufkäferarten gemeldet. Insgesamt 214 Arten werden zum aktuellen Artenbestand gerechnet. Sie repräsentieren 39 % der deutschen und 55 % der niedersächsischen Laufkäfer. Die bekannten Arten dieser Käferfamilien der einzelnen Inseln unterscheiden sich z.T. deutlich, u.a. bedingt durch den unterschiedlichen Bearbeitungsstand. Die Faktoren, die das Kolonisationsgeschehen beeinflussen, sind neben der Inselgröße und der landschaftsräumlichen Diversität die Verbreitung und Häufigkeit der potenziellen Kolonisten auf dem Festland. Die Isolation der Inseln spielt langfristig gesehen keine Rolle.
Die für Laufkäfer wichtigsten Lebensräume der Inseln sind die trockenen Tertiärdünen, die feuchten, z.T. verbuschten Dünentäler sowie die Salzwiesen. Hinsichtlich der Verbreitung in den verschiedenen Biotopen sind Bearbeitungslücken offenkundig. Die Tatsache, dass ein Drittel der auf den Inseln vorkommenden Laufkäferarten als gefährdet eingestuft wird, unterstreicht die Bedeutung der Inseln als (Über-)lebensraum für diese Käfergruppe.

Summary

Colonization of the East Frisian islands by ground and tiger beetles (Coleoptera: Cicindelidae, Carabidae). - To date, a total of 240 species of ground and tiger beetles have been recorded from the chain of East Frisian islands off the coast of northwestern Germany. 214 of these species are currently considered indigenous to the islands. This amounts to about 39 % of all carabid and cicindelid species known from Germany and to 55 % known from Lower Saxony. Species composition differs considerably between the islands, which can be attributed in part to poor knowledge of the fauna. Important factors in terms of colonisation success are the islands' size and diversity of suitable landscape elements on the one hand and the distribution and abundance of potential colonist species on the other. Remoteness of the islands (dispersal distance) does not play a role.
Island habitats of importance for carabid beetles are xerothermic grey dune grassland sites, humid dune valleys, partly shrubby, as well as salt meadows. Once again, this issue needs further investigation. Nevertheless, the fact that one third of the islands' carabid fauna is currently listed as endangered or threatened underpins the importance of the islands as a refuge for ground and tiger beetles.

Was sind... Laufkäfer?

Laufkäfer kommen in allen terrestrischen Lebensräumen von der Meeresküste bis ins Hochgebirge sowie in Urbanbiotopen vor. Zahlreiche Arten finden sich vornehmlich an feuchten Orten in Wäldern, auf Feldern, Wiesen, an Ufern, aber auch in trockenen, schütter bewachsenen Sandbiotopen und an Ruderalstellen. Während eine Reihe von Arten dauernd im Erdboden unter tief eingebetteten Steinen, Laublagen und Moospolstern lebt, halten sich andere Arten zeitlebens auf Bäumen und Gebüschen auf. Laufkäfer sind dämmerungs- und nachtaktiv; sie jagen kleine Insekten und deren Larven sowie Würmer. Einige Arten sind als Pflanzenschädlinge bekannt geworden. Da die Hinterflügel bei den Laufkäfern häufig zurückgebildet sind, ist das Flugvermögen artspezifisch unterschiedlich ausgeprägt. Die Eiablage erfolgt an der Erdoberfläche zwischen Pflanzen und in kleinen Erdlöchern. Die Larven entwickeln sich im Frühjahr und Herbst. Laufkäfer überwintern entweder als Imagines oder als Larven.

Einleitung

cicindela_maritima_hk.jpg
Der Sandlaufkäfer Cicindela maritima besiedelt spärlich bewachsene Dünen (Foto: H. Krummen).

Die Inseln des Wattenmeeres sind hinsichtlich Entstehung, Aufbau und Entwicklung neuer Ökosysteme geeignete Untersuchungsgebiete; auf ihnen bietet sich die Möglichkeit, das Besiedlungsgeschehen und dessen Gesetz-mäßigkeiten für terrestrische Organismengemeinschaften zu analysieren. Da für derartige Fragestellungen unter Umständen eine zeitliche Einordnung und Bewertung der Erfassungsdaten von Bedeutung sein kann, wurde Anfang der 1990er Jahre im Rahmen umfangreicher Recherchen (BRÖRING et al. 1993) eine Bestandsaufnahme aller für die Flora und Fauna der terrestrischen Systeme des Niedersächsischen Wattenmeergebietes bis dahin verfügbaren Daten durchgeführt. Diese Datenbank, in die seinerzeit auch die Angaben für die Laufkäfer eingeflossen sind, bildet den Grundstein für die im Folgenden durchgeführte Fortschreibung. Unter Berücksichtigung sämtlicher seit der letzten Zusammenstellung (s.o.) neu gewonnenen Daten wird ein Überblick über die aktuellen Artenbestände der Laufkäfer auf den Ostfriesischen Inseln gegeben. Erstmals werden neben den Daten zur Präsenz und Häufigkeit auf den einzelnen Inseln auch die inselspezifischen Habitatpräferenzen für die einzelnen Arten mitgeteilt.

Untersuchungsraum

Raum-Bezugsebene der vorliegenden Bearbeitung ist die der niedersächsischen Küste vorgelagerte Kette der Ostfriesischen Inseln, bestehend aus den 7 größeren und bewohnten Inseln Borkum, Juist, Norderney, Baltrum, Langeoog, Spiekeroog und Wangerooge sowie den 4 kleineren und unbewohnten Inseln Lütje Hörn und Memmert im westlichen Abschnitt sowie Minsener Oog und Mellum am östlichen Rand (Einzelheiten bei EGGERS et al. 2008). Bei der Inselkette handelt es sich um eine erdgeschichtlich sehr junge, holozäne Formation, die sich im Zuge der Nord-seetransgression vor etwa 3.000 Jahren auf einem ehemaligen Strandwallsystem und hoch liegenden Sandplaten in Form von Barriere-Inseln allein aus dem Kräftespiel von Strömung, Seegang und Wind gebildet hat (STREIF 1990).

Die Inseln als Schwemmsandkörper sind dynamische Gebilde, deren Größe, Form und geographische Lage bis heute ständigen Veränderungen unterworfen sind, bis hin zu völligem Verschwinden bzw. Neuaufbau. So entstanden die Inseln Memmert und Mellum erst in jüngster Zeit vor etwa 130 Jahren.

cicindela_hybrida_vh.jpg
Cicindela hybrida ist auf Ruderalflächen der alten Ostfriesischen Inseln anzutreffen (Foto: V. Haeseler).

Aufgrund ihrer gemeinsamen Entstehungsgeschichte bestehen zumindest die 7 bewohnten Ostfriesischen Inseln aus den gleichen und in ähnlicher Weise angeordneten Lebensräumen (PETERSEN & POTT 2005). Im Norden besitzen sie einen Sandstrand. Es folgen zunächst Primärdünen mit Binsenquecke oder Salzmiere. Ihnen schließen sich die schon wesentlich höheren Sekundär- oder Weißdünen an. Aus diesen gehen landeinwärts die Tertiär- oder Graudünen hervor, deren größerer Nährstoffreichtum bereits eine sehr vielfältige Vegetation zulässt. Auffallend sind Sanddorn- und Kriechweidengebüsche, Grasfluren mit Straußgras, Rotschwingel und Sandsegge. In den Dünentälern haben sich vereinzelt Moorpflanzen angesiedelt und auf den Hängen entwickeln sich Silbergrasfluren oder Krähenbeerheiden.

Die Dünen bilden gewissermaßen das Rückgrat der Insel. Sie gehen auf der Südseite in die Salzwiesen über, die zunächst sandig-feucht, dann schlickig werden und dem Wattenmeer zu immer mehr mit Kolken, Rinnen oder Prielen durchsetzt sind. Die Vegetation spiegelt diese Zonierung wider. Während zunächst noch Straußgras und Grasnelke dominieren, folgt die Rotschwingelzone mit Strandflieder, Meerstrandmilchkraut, Spärkling oder Strandwermut. Etwas tiefer schließt sich eine vom Andelgras bestimmte Vegetation mit Keilmelde, Strandaster und Stranddreizack an. Schließlich markieren Schlickgras und Queller, den Übergang zu den terrestrischen Habitaten.

Den vom Menschen nicht dauerhaft bewohnten Inseln fehlt eine Reihe der hier beschriebenen Landschaftselemente. Dies ist darauf zurückzuführen, dass einige Inseln aufgrund erodierender Kräfte und aus Mangel an Sandnachschub bis heute nicht über ein bestimmtes Entwicklungsstadium hinausgekommen sind.

Datengrundlagen

Im Rahmen dieser Arbeit wurden in Fortführung des Artenverzeichnisses von BRÖRING et al. (1993: 41-44) sämtliche nach 1990 publizierten Laufkäfer-Nachweise für die Ostfriesischen Inseln zusammengestellt. Darüber hinaus wurde eine Reihe älterer Literaturquellen, die zum Teil auf das 19. Jahrhundert zurückgehen, erstmals auf Angaben zu Laufkäfer-Vorkommen durchgesehen.

Bei der Mehrzahl jüngerer Arbeiten entstammen die Nachweise z.T. umfangreichen Bodenfallenserien, mit denen auf einzelnen Inseln physiognomisch abgrenzbare Landschaftselemente beprobt wurden (z.B. PLAISIER & SCHULTZ 1991, NORDMANN & HIELSCHER 1994, SCHULTZ & PLAISIER 1995, DORMANN 2000, FINCH et al. 2007). Außerdem wurden für zahlreiche Inseln umfangreiche Beifänge aus verschiedenen Untersuchungen der letzten Jahre im Hinblick auf Laufkäfer ausgewertet (vgl. STUMPE 2007); ferner wurden Meldungen von verschiedenen Fachkollegen zusammengetragen (Bellmann et al. in litt.).

Für die landschaftsräumliche Untergliederung der Ostfriesischen Inseln werden 15 Biotopkomplexe unterschieden (vgl. EGGERS et al. 2008, in diesem Band). Die Zuordnung der Laufkäfer-Daten aus der Literatur zu diesen Biotopen erwies sich nicht immer als ganz einfach; z.T. musste ein Abgleich mit allgemeinen Angaben zu den Habitatpräferenzen (v.a. KOCH 1989) erfolgen (vgl. STUMPE 2007). - Des Weiteren wurde versucht, die unterschiedlichen Verteilungen der Laufkäfer auf der Ebene der Inseln bzw. der Biotoptypen durch Häufigkeitsangaben zu differenzieren (vgl. ebenda).

Zur carabidologischen Erforschung der Ostfriesischen Inseln

Über die Carabidenfauna der einzelnen Ostfriesischen Inseln liegen für die betreffenden Zeitintervalle jeweils unterschiedlich viele Angaben vor. So lassen sich die Hauptuntersuchungszeiträume (vor 1900, 1900-1949, 1950-1975, 1976 bis heute) in den meisten Fällen an den Aktivitäten einzelner Personen festmachen.

Für Borkum geht der Schwerpunkt der Erfassungstätigkeit für den Zeitraum um 1900 auf Oskar Schneider zurück (SCHNEIDER 1898) und 30 bis 40 Jahre später waren es Fritz und Richard Struve, die diese Insel intensiv bearbeitet haben (vgl. PLAISIER 1996). Während Juist, Memmert und Mellum bereits vor 1900 bzw. in den 1920er Jahren von Diedrich Alfken besammelt wurden (ALFKEN 1891, 1924, 1930), setzten auf den meisten übrigen Inseln erst in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts umfangreiche Bestandserhebungen ein, wie beispielsweise die Arbeiten für Spiekeroog (MAUS 1983, 1986, 1988) und Langeoog (GRÄF 1986, 1987, 1992) deutlich machen.

Auf Langeoog untersuchte Hans Gräf (1919-2008) in jeweils ca. 14-tägigen Aufenthalten der Jahre 1980-1990 die verschiedenen Lebensräume dieser Insel. Für diesen Zeitraum umfasst seine Liste 144 Spezies, unter denen auch zahlreiche angeschwemmte Tiere, die seinerzeit in den Spülsäumen des Strandes und des Wattenmeeres nachgewiesen wurden, enthalten sind. Wie ROSE et al. (2006) bereits für die Staphylinidenfauna Langeoogs dargelegt haben, fanden sich im Oktober 1986 insgesamt 38 Carabidenarten als Teil der Gesamt-Kollektion in einer Sammlung, die Gräf der Gemeinde Langeoog überlassen hatte.

Neben den im vorliegenden Beitrag aufgeführten Abhandlungen ist darüber hinaus in bislang unpublizierten Listen und Kollektionen eine mehr oder weniger große Zahl an Laufkäfernachweisen für diverse Inseln enthalten. Hinsichtlich Langeoogs erwähnenswert ist eine von Erasmus Gersdorf (1911-1990) in der ersten Hälfte des Jahres 1955 anhand eigener Aufsammlungen erstellte Käferliste, die für den damaligen Zeitpunkt 45 Spezies aufweist. Eine weitere, auf den Zeitraum vom 26.07. bis zum 10.08. 1956 zurückgehende Übersicht enthält 49 Carabidenarten, von denen der zur damaligen Zeit für die Inseln erbrachte Erstnachweis des Laufkäfers Amara majuscula ("5 Ex. Langeoog VIII 56, beim Schmetterlingsleuchten") in die von GERSDORF & KUNTZE (1957) für Niedersachsen publizierte Übersicht eingegangen ist.

Eine Durchschrift beider Listen gelangte zunächst in den Besitz des auf Langeoog langjährig ansässigen Lehrers Wilhelm Krüger (1916-1999), der diese Listen Anfang der 1980er Jahre an den Erst-Autor F. P. übergab. Für diese Übersichten charakteristisch ist der hohe Anteil an Carabiden, die schwerpunktartig die Küste besiedeln. Inwieweit diese Aufstellungen jedoch auch die damaligen Verhältnisse auf Langeoog, d.h. das Besiedlungsgeschehen, widerspiegeln, sei dahingestellt.

roscus_cephalotes_hk.jpg
Auf den Ostfriesischen Inseln sind spärlich bewachsene und stark besonnte Vordünen geeignete Entwicklungshabitate für den Kopfkäfer Broscus cephalotes. Von der Strandinsel Lütje Hörn abgesehen, kommt dieser Laufkäfer auf sämtlichen Inseln vor (Foto: H. Krummen).

Dass selbst der Altmeister der Koleopterologie, Adolf Horion (1888-1977), zur carabidologischen Erforschung der Ostfriesischen Inseln einen Beitrag geleistet hat, ist der im Landesmuseum für Mensch und Natur (Oldenburg) hinterlegten Käfer-Sammlung zu entnehmen (vgl. auch HORION 1941). Diese Kollektion, die großenteils Nachweise aus dem nordwestlichen Niedersachsen enthält, beinhaltet auch zahlreiche Funde von den Inseln. Dies trifft u.a. für Dyschirius thoracicus, Dyschirius obscurus, Trechoblemus micros und andere Nachweise von der Insel Juist zu. Wie die Fundort-Etiketten ausweisen, wurden diese Tiere jeweils im späten Frühjahr der Jahre 1964, 1966 und 1968 von Horion gesammelt und später von Georg Kerstens (1903-1982) determiniert.

Durch die Aktivitäten der an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg im damaligen Fachbereich Biologie angesiedelten Arbeitsgruppe Terrestrische Zoo-Ökologie wurden in den beiden letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts ausgewählte Landschaftselemente auf den Inseln Norderney (1977/78, 1990-1992), Wangerooge (1977/78), Memmert und Mellum (1984-1986), Lütje Hörn (1989/90), Minsener Oog (1991/ 92) sowie Borkum und Wangerooge (1997/98) beprobt und die Untersuchungsergebnisse in diversen Beiträgen publiziert. Ab diesem Zeitpunkt war es erstmals möglich, die Laufkäferfauna der Ostfriesischen Inseln synchron mit standardisierten ökologischen Untersuchungsmethoden zu erheben.

Aktueller Bearbeitungsstand

Bei der Beurteilung des Besiedlungsstandes der Ostfriesischen Inseln durch Laufkäfer ist zu berücksichtigen, dass die Unterschiede hinsichtlich des Erfassungsgrades auf den einzelnen Inseln z.T. erheblich sind: Durch aktuelle und spezifische Laufkäfer-Erhebungen können die kleinen Inseln Lütje Hörn (SCHULTZ & PLAISIER 1996), Memmert und Mellum (PLAISIER 1988) sowie Minsener Oog (SCHULTZ & PLAISIER 1995) als gut untersucht gelten. Dennoch liegen die nach statistischen Verfahren berechneten Erfassungsgrade für Minsener Oog bzw. Lütje Hörn bei "nur" 70 bzw. 80 % (STUMPE 2007). Von den großen Inseln können Norderney (vgl. NORDMANN & HIELSCHER 1994) sowie Spiekeroog und Langeoog (s.o.) als gut untersucht gelten. Dies trifft ebenfalls für Borkum zu, allerdings nur auf der Grundlage alter Aufsammlungen (s.o.). Die Inseln Juist, Baltrum und Wangerooge sind im Hinblick auf ihre jeweiligen Laufkäfergemeinschaften unzureichend bearbeitet.

Der Artenbestand für die Inselkette dürfte dagegen weitgehend erfasst sein; die z.T. umfangreichen Aufsammlungen nach 1975 erbrachten kaum weitere Erstnachweise.

Artenbestand auf den Inseln

Bis heute wurden für die Ostfriesischen Inseln 240 Sandlauf- und Laufkäferarten gemeldet. Darunter sind 4 zweifelhafte Angaben (Abax parallelus, Bembidion ephippium, Philorhizus notatus, Pogonus iridipennis).

Für 22 Spezies liegen ausschließlich (oft über 100 Jahre) alte Nachweise vor. Da diese Arten auch von den Westfriesischen Inseln aktuell nicht gemeldet werden (TURIN 1991, 2000) und die meisten von ihnen als in Niedersachsen ausgestorben, verschollen oder extrem selten gelten, werden aktuelle Vorkommen auf der ostfriesischen Inselkette überwiegend als wenig wahrscheinlich angesehen. Zu diesen Arten gehören beispielsweise so auffällige Vertreter wie Carabus clathratus und Abax ovalis.

Die übrigen 214 Arten sind zumeist durch rezente Nachweise (ab 1975) belegt (Tab. 1). Für 17 Arten existieren zwar nur Meldungen aus der Zeit vor 1975, aktuelle Vorkommen auf der Inselkette sind allerdings wahrscheinlich (in Niedersachsen zwar z.T. selten, aber für die Westfriesischen Inseln aktuell belegt, vgl. TURIN 2000).

carabidae_tab01.gif
Tab. 1: Auf den Ostfriesischen Inseln nachgewiesene Laufkäferarten; ohne zweifelhafte und verschollene Arten.

Das Artenspektrum der Inseln entspricht damit ca. 55 % der rezenten niedersächsischen Carabidenfauna (N = 387, vgl. ASSMANN et al. 2003) bzw. 39 % des bundesdeutschen Inventars (N = 547, vgl. KÖHLER & KLAUSNITZER 1998).

Die höchsten Artenzahlen weisen die größten Inseln Borkum (171), Langeoog (146) und Norderney (138) auf, während für die kleineren bewohnten Inseln z.T. deutlich geringere Artenzahlen zu verzeichnen sind. Diese Angaben sind allerdings auch vor dem Hintergrund der ungleichen Erfassungstätigkeiten (s.o.) zu sehen. Auf den jungen, unbewohnten Inseln wurden insgesamt 130 Arten festgestellt. Unter diesen befindet sich keine Art, die nicht mindestens auch auf einer bewohnten Insel vorkommt. Die artenreichsten Spektren sind für Memmert (106) und Mellum (91) zu verzeichnen.

nebria_livida_hk.jpg
Für Nebria livida, die an dem gelben Halsschild und an den gelben Seitenrändern des Hinterleibes deutlich zu erkennen ist, liegen für die Ostfriesischen Inseln aus den letzten Jahrzehnten keine Nachweise vor (Foto: H. Krummen).

Auswertungen zu Beziehungen zwischen Laufkäfer-Artenzahlen und lebensraumspezifischen Einflussgrößen ergaben hoch signifikante Korrelationen sowohl in Bezug auf die Inselgröße (rs = 0,903***) als auch auf die landschaftsräumliche Diversität (rs = 0,80***); kein Zusammenhang ergab sich dagegen zur Isolation der Inseln (Einzelheiten vgl. STUMPE 2007). Diese Ergebnisse decken sich weitgehend mit den für andere Arthropodengruppen gewonnenen Erkenntnissen (vgl. BRÖRING 2008a: Landwanzen, NIEDRINGHAUS 2008: Zikaden, RITZAU 2008: Pflanzenwespen, BRÖRING 2008b: Schwebfliegen u.a.).

Organismenspezifische Merkmale (Dispersionsvermögen, Körpergröße, Lebensraum-Amplitude) spielen vor dem Hintergrund des potenziell langen Besiedlungszeitraumes für den Kolonisationserfolg keine Rolle (mehr). Es lässt sich lediglich der von TOPP (1988) auf dem Knechtsand gewonnene Befund bestätigen, dass die im Rekrutierungsareal häufigen Arten auch auf den Inseln vermehrt als Kolonisten anzutreffen sind (vgl. STUMPE 2007).

Vergleich mit den Westfriesischen Inseln

Auf den Westfriesischen Inseln wurden bis heute 237 Laufkäfer nachgewiesen (TURIN 2000, vgl. STUMPE 2007). Für 220 Arten ist von einer aktuellen Präsenz auf dieser Inselkette auszugehen (s.o.). Beiden Inselgruppen gemeinsam sind 196 Arten, 18 sind exklusiv auf den Ostfriesischen und 24 exklusiv auf den Westfriesischen Inseln vertreten:

Wenngleich die reinen Artenzahlen mit 220 (WI) bzw. 214 (OI) fast identisch sind, zeigen sich durch die Anteile von jeweils etwa 10 % an exklusiven Arten doch deutliche faunistische Unterschiede im Hinblick auf die Laufkäfergemeinschaften (unbenommen eines Teils jeweils übersehener Arten).

Mit 177 Arten wurden die meisten Laufkäfer auf Texel (170 qkm) festgestellt, gefolgt von Terschelling (88 qkm) mit 166, Schiermonnikoog (40 qkm) mit 164, Vlieland (40 qkm) mit 142 und Ameland (58 qkm) mit 133 Arten. Die Vergleiche mit den 4 gut untersuchten (s.o.) und im Durchschnitt wesentlich kleineren Ostfriesischen Inseln (Borkum als größte mit 39 qkm) lassen den Schluss zu, dass auf den niederländischen Inseln weitere Arten zu erwarten sind.

Besiedlung der Lebensräume auf den Inseln

Entsprechend der Abfolge der verschiedenen Landschaftselemente haben sich im Laufe der Jahre in den jeweiligen Biotopen charakteristische Käfergemeinschaften eingestellt. In den Übergangsbereichen vom Meer zum Land sind die halobiont-halophilen Faunenelemente qualiativ und quantitativ am stärksten vertreten. Die dort lebenden Käfer sind durch ihre zumeist geringe Körpergröße und besondere morphologische Eigenschaften diesen Lebensräumen angepasst. Als sog. r-Strategen sind sie imstande, durch Sturmfluten hervorgerufene hohe Populationsverluste innerhalb kurzer Zeiträume auszugleichen. Charakteristische Laufkäfer der vegetationslosen Strände und der Vordünen sind u. a. Bembidion maritimum, Dyschirius impunctipennis und Dyschirius salinus.

Während sich die Sekundärdünengesellschaften bereits durch eine größere Artenzahl auszeichnen, unter denen Amarinii sowie Vertreter aus der Calathus-Gruppe zahlenmäßig überwiegen, findet sich in den zentral gelegenen Graudünen das größte Artenspektrum. Hier treffen sowohl Vertreter der Xero-Serie als auch abgeschwächt hygrophile und euryöke Laufkäfer aufeinander.

carabus_problematicus_vh.jpg
In den Wäldern des Norddeutschen Tieflandes ist Carabus problematicus allgemein verbreitet. Für die Ostfriesischen Inseln liegen nur Nachweise für Borkum und Spiekeroog vor (Foto: V. Haeseler).

Die nassen und feuchten Dünentäler, in denen Röhrichte, Feuchtheiden, Seggen- und Binsensümpfe auftreten, stellen Lebensräume für feucht-stenotope Carabiden wie Oodes helopiodes, Chlaenius nigricornis und Pterostichus nigrita dar.

In manchen Dünentälern haben sich hier und da Gebüsche ausgebildet oder sie wurden, wie im Fall der zahlreichen Koniferenwäldchen, vom Menschen angepflanzt. Dromiinae, Calathus spp. und Masoreus wetterhallii sind, um nur einzelne zu nennen, typisch für derartige Trockenbiotope.

In einer Höhe von etwa 0,50 bis 0,75 m oberhalb der MThw-Linie finden sich auf den alten Inseln Bereiche, die aperiodischen Überflutungen ausgesetzt sind. Sie markieren, dünenwärts allmählich an Höhe zunehmend, den Übergang von den Salzwiesen zu den Graudünen. In carabidologischer Hinsicht nehmen diese Flächen eine indifferente Stellung ein. Einerseits finden sich hier Trockenbiotope besiedelnde Carabiden wie Calathus erratus und Harpalus servus, zugleich ist in diesen Habitaten eine Reihe salztoleranter bzw. -präferierender Arten (dauerhaft?) präsent (Bembidion spp., Dyschirius spp.).

Wie die Untersuchungen u.a. von IRMLER et al. (2002) und FINCH et al. (2007) zeigen, erweisen sich die Wattwiesen als für die halobiont-halophile Laufkäferzönose von großer Bedeutung. Da diese Standorte hinsichtlich ihrer Überflutungshäufigkeit mit denen der Inselstrände zu vergleichen sind, lässt die Carabidenfauna eine gewisse Ähnlichkeit zwischen beiden Biotopeinheiten erkennen. Allerdings kommen bei den in den Salzwiesen lebenden Käfern (Bembidion minimum, Bembidion normannum, Dicheirotrichus gustavii, Pogonus chalceus und andere) die durch Sturmfluten und Verdriftung verursachten Auslöschungen von Populationen deutlicher zum Ausdruck als sich dies für die nordexponierten Strände nachweisen lässt.

Die räumliche Verteilung der Laufkäfer auf die 15 Biotoptypen zeigt im Einzelnen sehr große Unterschiede (Tab. 2). Dieser Sachverhalt trifft auch bei Streichung der nach KOCH (1989) hinzugefügten potenziellen Kolonisten zu.

carabidae_tab02.gif
Tab. 2: Verteilung der Laufkäfer in den verschiedenen Biotoptypen der Ostfriesischen Inseln (ohne zweifelhafte Arten).

Da im Nationalpark "Niedersächsisches Wattenmeer" die Zahl der naturnahen Biotope besonders hoch ist, konzentriert sich das Hauptkontingent an Käfern auf derartige Primärlebensräume, von denen sich die Graudünengesellschaften mit 96 Spezies als derzeit am artenreichsten erweisen. Den Siedlungsbereichen wurden bislang erst 35 Arten zugeordnet. Dies ist ein Hinweis darauf, dass vornehmlich Primärbiotope besammelt wurden und daher die vorliegenden Artenzahlen offensichtlich mehr den Bearbeitungsstand und weniger die in den einzelnen Lebensräumen vorherrschenden realen Verhältnisse wiedergeben.

Für die alten Inseln sind die Möglichkeiten der Einschleppung adulter Käfer oder deren Entwicklungsstadien über den Materialtransport für den Lahnungsbau, die Einbringung von Grasmatten für die Verstärkung und Erneuerung von Deichen und schließlich mit dem Transport von Rollrasen, Gehölzen und Ziersträuchern erheblich größer als auf den jungen Inseln.

Im Bereich der Primärbiotope wird die Beurteilung der Indigenität von Laufkäfern durch verdriftete und angeschwemmte Tiere (Spülsaumfunde) erschwert. Besonders in solchen Lebensräumen, in denen ein direkter Kontakt zum Meer besteht, spielen, wie dies z.B. eine Reihe von älteren Arbeiten (u.a. ALFKEN 1924, 1930) zeigen, biotopfremde Spezies eine besondere Rolle. Hinsichtlich der Beurteilung der Bodenständigkeit einzelner Arten wird dieser Umstand durch zahlreiche in der Literatur wenig konkrete Fundort-Angaben verstärkt.

Gefährdungspotenzial

carabidae_tab03.gif
Tab. 3: Gefährdete Laufkäfer auf den Ostfriesischen Inseln (ohne zweifelhafte oder verschollene Arten; Einzelheiten s. Text).

Neben einer hohen Zahl stenotop an die Küsten gebundener Laufkäfer finden sich auf den Inseln weitere 73 bundes-, landes- bzw. küstenweit gefährdete Arten (vgl. SUIKAT & ASSMANN 1995, TRAUTNER et al. 1998, ASSMANN et al. 2003); diese machen mehr als ein Drittel (!) des aktuellen Insel-Spektrums (N = 214) aus. Unter ihnen befinden sich 13 vom Aussterben bedrohte, 30 stark gefährdete (bzw. sehr seltene "R") sowie 30 gefährdete Arten (Tab. 3). Hinzu kommen 25 Arten der Vorwarnliste.

Insgesamt kommen auf der Inselkette 48 Arten der bundesdeutschen Gefährdungskategorien 1 bis 3 und 63 Arten der Landes-Gefährdungskategorien 1 bis 3 vor. Das bedeutet, dass 20 % der bundesweit gefährdeten und 30 % der landesweit gefährdeten Arten auf den Inseln geeignete und dauerhafte Lebensmöglichkeiten finden. Vor allem die Dünen- und Salzwiesen-Lebensräume zeichnen sich durch hohe Anteile an gefährdeten Arten aus (Tab. 3).

Besonders erwähnenswert sind die bundes- und landesweit vom Aussterben bedrohten Bembidion tenellum und Dyschirius chalceus, die in den halomorphen Lebensräumen der Inseln anzutreffen sind.

Ebenfalls landesweit vom Aussterben bedroht, bundesweit meist aber nur stark gefährdet sind die folgenden Spezies:

Die hier zum Gefährdungspotenzial aufgezeigten Verhältnisse machen deutlich, dass die ostfriesische Inselkette artenreiche und charakteristische Laufkäfer-Artengemeinschaften beherbergt, deren dauerhafter Schutz gewährleistet werden sollte. Von besonderer Bedeutung sind dabei die für die Meeresküste charakteristischen primären Landschaftselemente der Dünen und Salzwiesen.

Basierend auf einem Artikel von:

Dipl.-Biol. Friedhelm Plaisier
Planungsbüro Diekmann & Mosebach
Oldenburger Straße 211
D-26180 Rastede
email-grafik-carabid

Dipl.-Landschaftsökol. Cora Stumpe

Impressum

Copyright © by M. Bretfeld 2009
Stand: 02/2009