Die Flora und Fauna der Ostfriesischen Inseln

Die Käferarten diverser Familiengruppen
der Ostfriesischen Inseln

(Coleoptera: Staphyliniformia part.,
Eucinetiformia, Scarabaeiformia, Elateriformia,
Bostrichiformia, Cucujiformia part.)

Zusammenfassung

Auf den Ostfriesischen Inseln wurden bisher insgesamt 537 Käferarten der hier behandelten 60 Familien aus den Gruppen Staphyliniformia (part.), Eucinetiformia, Scarabaeiformia, Elateriformia, Bostrichiformia und Cucujiformia (part.) gemeldet, darüber hinaus noch weitere 44 zweifelhafte Arten oder Spülsaumfunde, die nicht zum Artenbestand der Inselkette zu rechnen sind. Im Vergleich zu den entsprechenden Inventaren in Deutschland bzw. Niedersachsen ergeben sich damit Anteile von 23 bzw. 33 %. Die Artenzahlen der einzelnen Inseln geben lediglich ein Bild vom jeweiligen Erfassungsstand: Hohe Zahlen weisen Borkum (422), Langeoog (256) und Spiekeroog (231) auf. Die übrigen Inseln können hinsichtlich der hier berücksichtigten Käferfamilien als unzureichend untersucht gelten. Obwohl die Kenntnisse über die Verteilung der einzelnen Arten in den verschiedenen Inselbiotopen sehr lückenhaft sind, kann ein erster Überblick über die Präferenzen der Arten gegeben werden. Der Anteil von 53 in Deutschland gefährdeten Arten, darunter auch einige der Kategorie "vom Aussterben bedroht" zeigt, dass die Inselkette zu Recht den hohen Schutzstatus eines Nationalparks genießt.

Summary

The coleopteran species of diverse family groups of the East Frisian islands (Coleoptera: Staphyliniformia part., Eucinetiformia, Scarabaeiformia, Elateriformia, Bostrichiformia, Cucujiformia part.). - To date, a total of 537 species out of 60 families have been recorded from the East Frisian islands. Furthermore, there are 44 records of uncertain identity or records acquired from the beach driftline that are not considered indigenous to the islands. The islands' species assemblage recorded so far represents 23 % of the German fauna and 45 % of the fauna native to the region between Weser and Ems Rivers. Species numbers so far established for single islands merely reflect the generally insufficient state of knowledge of the islands' fauna. High species numbers have been recorded from Borkum (422 species), Langeoog (256) and Spiekeroog (231) islands. Although knowledge of the species' distribution on the islands is still fragmentary, a preliminary assessment of their habitat preferences is presented here. The occurrence of 61 species listed as endangered or even threatened in Germany shows that the chain of islands was rightly awarded the top protection status of National Park.

Was sind...

In Deutschland bzw. Niedersachsen umfasst die Gruppe der hier behandelten Käfer über 100 Familien mit mehr als 2500 bzw. 1700 Arten (KÖHLER & KLAUSNITZER 1998). Auf den Ostfriesischen Inseln sind davon 60 Familien präsent:

Vertreter der Staphyliniformia sind oft in Bodennähe in der Streu oder unter Pflanzenresten, unter Rinde, an Aas (Histeridae, Ptiliidae, Silphidae) oder in Tiernestern (Cholevidae, Histeridae, Pselaphidae, Ptiliidae, Scydmaenidae) zu finden; sie ernähren sich von Pilzen (Colonidae, Leiodidae, Ptiliidae), Pflanzen, Pflanzenresten bzw. Faulstoffen (Cholevidae, Colonidae, Silphidae!), Aas bw. Exkrementen (Cholevidae, Silphidae); Vertreter einiger Gruppen leben räuberisch von anderen Kleintieren (Würmer, Schnecken, Insekten u.a.; Histeridae ,Pselaphidae, Scydmaenidae, Silphidae).

Die einzigen hier behandelten Vertreter der Eucinetiformia sind die Clambidae, die sich von Pilzen ernähren.

Unter den Scarabaeiformia gibt es viele koprophage Vertreter, die sich vom Kot höherer Tiere ernähren (Geotrupidae, Scarabaeidae). Einige fressen trockenes Aas, Knochen oder andere Tierbestandteile (Trogidae), viele Vetreter sind reine Pflanzenfresser (Blätter, Blüten; Scarabaeidae).

Die meisten Vertreter der hier behandelten Elateriformia leben in der Krautschicht an Blättern und Blüten, z.T. in Gewässernähe (Dryopidae, Heteroceridae, Scirtidae), auch an Bäumen (Buprestidae, Cantharidae, Eucnemidae), z.T. auch in der Streuschicht (Cantharidae, Throscidae). Die Nahrung der Imagines und die der Larven ist oft unterschiedlich: Imagines sind oft phytophag (Buprestidae, Cantharidae, Elateridae) oder z.T. auch räuberisch (Cantharidae), die Larven sind Alles- oder Detritusfresser (Elateridae, Scirtidae), z.T. auch räuberisch (Cantharidae).

Viele Vertreter der Bostrichiformia treten in Gebäuden als Vorratsschädlinge an pflanzlichen Lebensmitteln auf (Anobiidae, Dermestidae), etliche leben auch von Tierresten (Knochen, Felle u.v.m.; Dermestidae); einige Arten kommen auch im Freien vor (Anobiidae, Dermestidae).

Der überwiegende Teil der hier behandelten Cucujiformia lebt an Pflanzen (v.a. auf Blüten, oft unter Rinde), einige Vertreter bevorzugen feuchte, modernde Stellen mit faulenden Pflanzenteilen (z.B. Corylophidae, Endomychidae, Lathridiidae). Die Nahrung der Imagines und Larven unterscheidet sich oft. Viele Arten leben von Schimmelpilzen und faulendem Pflanzenmaterial, einige von Pollen oder lebenden Pflanzen. Als Schädlinge treten Rindengewebsfresser (Scolytidae) und zahlreiche Vorratsschädlinge auf (z.B. Nitidulidae, Silvanidae, Tenebrionidae). Etliche Vertreter (Imagines u./o. Larven) leben räuberisch (z.B. Coccinelidae, Cucujidae, Cybocephalidae, Salpingidae, Silvanidae).

Einleitung

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Der 7-9 mm große Dünenschwarzkäfer, Phylan gibbus, ist ein auf den Ostfriesischen Inseln häufig anzutreffender Käfer. Er ist für die trockenen Dünenbereiche charakteristisch. Die Art ist in Deutschland nur an der Nord- und Ostseeküste verbreitet (Foto: F. Köhler).

Die Ostfriesischen Inseln im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer weisen durch ihre Beschaffenheit und ihre einzigartigen Lebensräume viele Unterschiede zum benachbarten Niedersächsischen Küstenbereich auf. Die einzigartigen Lebensräume, wie z.B. das vorgelagerte Schlick- und Sandwatt, Dünen in den unterschiedlichsten Entwicklungsstadien, ausgedehnte Sandstrände, Trockenrasen locken seit vielen Jahrzehnten Wissenschaftler aus den unterschiedlichsten Bereichen auf die Ostfriesischen Inseln. Seit etwa 150 Jahren bereisen auch Käferspezialisten die Inselkette und haben dazu beigetragen, das Wissen über die Käferfauna der Ostfriesischen Inseln zu erweitern.

Als die wichtigsten Arbeiten sind zu nennen: ALTUM (1865; Borkum), METZGER (1867, 1868; Juist, Norderney), WESSEL (1877; Juist, Norderney), HESS (1881; Spiekeroog), WIEPKEN (1883, 1886, 1894; Wangerooge), BEHRENS (1887; Spiekeroog), ALFKEN (1891, 1924, 1930; Juist, Memmert, Mellum), POPPE (1891; Spiekeroog), VERHOEFF (1891, 1892, 1895; Norderney), SCHNEIDER (1898; Borkum), KOLTZE (1901; Norderney); WIEPKEN & RÖBEN (1901; Wangerooge), VON VARENDORFF (1906; Langeoog), SCHILSKY (1909; Norderney), LEEGE (1915; Mellum, Lütje Hörn), FÜGE (1919; Memmert), SCHUBART (1920; Mellum), VON LENGERKEN (1929; verschiedene Inseln), VON MINCKWITZ & HÄNEL (1936; Borkum), STRUVE (1939; Borkum), KERSTENS (1950; Spiekeroog), HARZ (1965; Wangerooge), HORION (1953-61; verschiedene Inseln).

Umfangreiche neuere veröffentlichte Daten liegen lediglich für Langeoog (GRÄF 1986, 1987, 1989, 1992) und Spiekeroog (PUTHZ 1979; MAUS 1983, 1986, 1988) vor. Einzelne Familien werden bei KRUMMEN (1990, 2002; Norderney, Memmert, Mellum) und MESSNER (2001; Memmert, Mellum) behandelt.

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Der Frühlings-Mistkäfer, Trypocopris vernalis, aus der Familie Geotrupidae (Mistkäfer) tritt auf den Ostfriesischen Inseln in einer dunkelvioletten Farbvariante (T. vernalis var. insularis) auf. Die Art kann zeitweise häufig in den Dünengebieten an Kaninchen- und Pferdekot angetroffen werden (Foto: V. Haeseler).

Für die restlichen Ostfriesischen Inseln ist die Datenlage sehr lückenhaft und besonders bei den älteren Angaben revisionsbedürftig. Die Ergebnisse mehrerer Exkursionen des Autors sowie anderer Mitglieder der "Käfergruppe" des Naturwissenschaftlichen Vereins zu Bremen sind in diese Arbeit eingeflossen; Teilergebnisse wurden bereits publiziert (BELLMANN 2002, BELLMANN et al. 2003, BELLMANN & MAUS 2008).

Die meisten neuen Meldungen für die hier behandelten Käfergruppen stammen von A. Bellmann (Bremen; alle Inseln), B. Büche (Berlin; Borkum), L. Erbeling (Plettenberg; Baltrum), J. Esser (Berlin; Borkum, Spiekeroog, Wangeooge), H. Krummen (Oldenburg; Borkum), W. Lakomy (Bremen; alle Inseln), Ch. Maus (Düsseldorf; Spiekeroog), K. Renner (Bielefeld; Langeoog, Spiekeroog). Außerdem wurden Daten aus den alten Tagebüchern von F. und R. Struve (Borkum, 1932-46) und G. Kerstens (Juist, Spiekeroog, vgl. WEIDENHÖFER 1996) eingearbeitet. Zusammenfassende Publikationen über die hier behandelten Käferarten der Ostfriesischen Inseln gibt es, abgesehen von BRÖRING et al. (1993), bislang nicht.

In der hier vorgelegten Arbeit werden die folgenden Familiengruppen (vgl. LAWRENCE & NEWTON 1982) berücksichtigt:

Datengrundlage und Erfassungsstand

Die bisherigen Kenntnisse über die in dieser Arbeit behandelten Käferarten der Ostfriesischen Inseln sind noch sehr lückenhaft. Auch wenn einzelne Inseln intensiver untersucht wurden, so ist man von einer kompletten Erfassung weit entfernt. Quantitative Untersuchungen der hier behandelten Käferfamiliengruppen sind auf den Ostfriesischen Inseln bisher nicht durchgeführt worden.

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Tab. 1: Auf den Ostfriesischen Inseln nachgewiesene Käfer der 60 hier behandelten Familien; ohne zweifelhafte Meldungen bzw. Spülsaumfunde.

Ein Problem ist die Überprüfbarkeit besonders der alten Angaben. Der Grundstock der vorliegenden Arbeit stützt sich auf die vielen publizierten und unpublizierten Daten der letzten 150 Jahre, die aber größtenteils aus Zeitgründen nicht überprüft werden konnten. In vielen Fällen ist das zugrunde liegende Sammlungsmaterial nicht mehr vorhanden oder auf verschiedene Museen verteilt und schwer auffindbar. So konnte das Sammlungsmaterial, das den Angaben aus den alten Tagebüchern von F. und R. Struve über die Borkumer Käferfauna zugrunde liegt und im Westfälischen Museum für Naturkunde in Münster eingelagert ist (z.T. unvollständig bzw. in schlechtem Zustand), nur für einige Gruppen überprüft werden. Das Material zu den Tagebucheintragungen von G. Kerstens (Landesmuseum Natur und Mensch, Oldenburg) konnte ebenfalls noch nicht überprüft werden.

Auch die oft große Artenfülle der hier behandelten, z.T. sehr unterschiedlichen Käferfamilien erschwert die systematische Erfassung; viele auf den Inseln tätigen Sammler hatten sicherlich nicht den Überblick über alle Familien und die Lebensweisen sowie Habitatansprüche der einzelnen Arten.

Aktueller Artenbestand auf den Inseln

Auf den Ostfriesischen Inseln wurden bisher insgesamt 537 Käferarten der hier behandelten Gruppen gemeldet (Tab. 1), darüber hinaus noch weitere 44 zweifelhafte Arten oder Spülsaumfunde, die nicht zum Artenbestand der Inselkette zu rechnen sind.

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Der Junikäfer, Phyllopertha horticola, aus der Familie Scarabaeidae (Blatthornkäfer) ist im Juni überall häufig anzutreffen. Die Larven ernähren sich von Graswurzeln, die Käfer fressen an den unterschiedlichsten Blättern. Auch auf den Ostfriesischen Inseln ist der Junikäfer in den verschiedensten Biotopen sehr häufig (Foto: H. Krummen).

Die Artenzahlen der einzelnen Inseln geben lediglich ein Bild vom jeweiligen Erfassungsstand: Hohe Zahlen mit einem relativ guten Bearbeitungsstand weisen auf: Borkum mit 422 Arten durch die intensiven Aufsammlungen von SCHNEIDER (1898) und Struve (STRUVE 1939 sowie Tagebucheintragungen), Langeoog mit 256 Arten (GRÄF 1986-92) und Spiekeroog mit 231 Arten (MAUS 1983-88). Die übrigen Inseln sind im Hinblick auf die hier berücksichtigten Käferfamilien unzureichend untersucht.

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Der Augen-Marienkäfer, Anatis ocellata, gehört mit 8 bis 9 mm Länge zu den größten deutschen Marienkäfern (Coccinelidae). Wie bei allen Vertretern dieser Familie ernähren sich die Larven und Imagines in erster Linie von Blattläusen. Der Augen-Marienkäfer wurde auf fast allen Ostfriesischen Inseln nachgewiesen. Obwohl die Funde hauptsächlich im Spülsaum gemacht wurden, dürfte die Art, wie 45 andere Arten dieser Familie, auf den Inseln etabliert sein (Foto: H. Krummen).

Im Vergleich zu den entsprechenden Inventaren in Deutschland bzw. Niedersachsen (s.o., vgl. KÖHLER & KLAUSNITZER 1998) ergeben sich damit Anteile von 23 bzw. 33 %. Hohe Besiedlungsraten werden sowohl von artenreichen als auch artenarmen Familien erreicht: z.B. Coccinellidae (78 in D): 56 % bzw. Byturidae (2 in D): 100 %. Die verschiedenen Raten dürften sowohl auf unterschiedliche Besiedlungschancen auf den Inseln (gering z.B. bei Baumbesiedlern wie Scolytidae) als auch auf erfassungstechnisch bedingte Unterschiede (z.B. bessere Fangquoten bei großen, auffälligen Vertretern) zurückzuführen sein.

Besiedlung der Lebensräume auf den Inseln

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Tab. 2: Vorkommen der Käfer in den verschiedenen Biotoptypen der Ostfriesischen Inseln, in Klammern: nicht gezielt untersucht.

Der Kenntnisstand über die Verteilung der einzelnen Arten auf die verschiedenen Inselbiotope ist noch sehr lückenhaft. Um einen ersten Überblick über die Präferenzen der Arten auf den Inseln zu erhalten, wurde versucht, die verfügbaren Fundortangaben aus der Literatur in ein Biotopschema (vgl. EGGERS et al. 2008) zu übertragen.

Neben Schwierigkeiten bei der Transformation durch ungenaue Fundortangaben und Verwendung anderer Biotopschlüssel zeigt sich v.a., dass bestimmte Inselbereiche intensiver untersucht wurden als andere.

Eine weitere Einschränkung ergibt sich durch die Tatsache, dass der überwiegende Teil der Angaben lediglich auf Funden von Langeoog (GRÄF 1986-92) und Spiekeroog (MAUS 1983-88) beruhen. Die Artenzahlen in Tabelle 2 und v.a. die artspezifischen Angaben in der Artenliste sind daher lediglich als erster Schritt im Hinblick auf eine umfassende Beschreibung der Artenverteilung in den Inselbiotopen zu sehen.

Gefährdete Arten

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Tab. 3: Anzahl gefährdeter Arten auf den Ostfriesischen Inseln (nur rezente, indigene Arten).

Auf den Ostfriesischen Inseln leben etliche Spezialisten, die in Deutschland ausschließlich an der Küste zu finden sind. Viele stehen deshalb auch auf der Roten Liste der gefährdeten Käfer Deutschlands (GEISER et al. 1998). Aber es finden sich auf den Ostfriesischen Inseln noch viele weitere deutschlandweit gefährdete Arten (Tab. 3): 32 Arten der Kategorie "gefährdet", 17 Arten der Kategorie "stark gefährdet" und vier Arten der Kategorie "vom Aussterben bedroht". Um eine landesweite Gefährdungseinschätzung vornehmen zu können, wurde in Ermangelung einer Niedersächsischen Roten Liste die des nördlichen Nachbarlandes Schleswig-Holstein (GÜRLICH et al. 1995) als Referenz herangezogen. Damit erhöht sich die Zahl der gefährdeten Arten (i.w.S.) auf immerhin 154. Das bedeutet, dass fast jede dritte Käferart der Inseln aus den hier behandelten Familien bundes- und/oder landesweit gefährdet ist.

Die Zahlen zeigen deutlich den besonderen Wert der speziellen Lebensräume auf den Inseln. Vor allem die inseltypischen Landschaften wie Dünen, Salzwiesen, Strand und Watt bieten sehr vielen Spezialisten unter den Käfern ein letztes Rückzugsgebiet.

Basierend auf einem Artikel von:

Axel Bellmann
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Stand: 02/2009