Die Flora und Fauna der Ostfriesischen Inseln

Die Vogelwelt der
Ostfriesischen Inseln

(Aves)

Aktueller Artenbestand der Brut- und Rastvögel

Zusammenfassung

Die vorliegende Zusammenstellung zur Vogelwelt der Ostfriesischen Inseln beinhaltet quantitative Daten zu Brut- und Rastvogelbeständen für jede Insel. Es wurden 109 Publikationen aus dem Zeitraum 1850 bis 2006 und verschiedene Datenbanken ausgewertet. Bis 2006 wurden 352 Vogelarten auf den Ostfriesischen Inseln nachgewiesen. Davon sind 104 als regelmäßige, 32 als unregelmäßige und 14 als nach 1985 verschwundene Brutvogelarten einzustufen. 234 Arten nutzen das Gebiet während des Zuges, 92 sind Wintergäste oder Standvögel. Die α-Biodiversität ist relativ gering, während die γ-Diversität vergleichsweise hoch einzustufen ist. Dies ist vor allem auf die anthropogen erhöhte Lebensraumvielfalt auf den Inseln zurückzuführen. Die Artenzahlen sind stark mit Inselgröße und Bevölkerungsdichte korreliert. Die Anteile niedersachsen- und deutschlandweit gefährdeter Arten sind hoch, von 13 Arten brüten mehr als 1 % des deutschen Bestandes, von 17 Arten mehr als 1 % des niedersächsischen Bestandes auf den Inseln. 89 der nachgewiesenen Arten sind in Anhang I der Europäischen Vogelschutzrichtlinie aufgeführt. Angesichts der hohen Biodiversität und des Vorkommens bedeutender Populationsanteile gefährdeter Arten muss dem Naturschutz auf der Inselkette Priorität eingeräumt werden. Dabei halten wir den vorhandenen Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer für ein geeignetes Instrument.

Summary

The birds of the East Frisian islands: Checklists for breeding birds and migrants. - We compiled data on the bird fauna of the East Frisian islands, a chain of barrier islands off the NW German coast, using information from publications and data bases of the period from 1850 to date. We aim to provide an actual overview of the status and distribution of the islands' bird fauna, including numbers and abundance of breeding and resting species. - A total of 352 bird species (including escapees) have been recorded from the islands. Out of these, 104 were classified as regular breeders, 32 as irregular breeders and 14 as extinct breeders (since 1985). 234 species are regular migrating visitors and 92 species are wintering or resident birds. Another 111 species are considered vagrants with less than ten records.
α-diversity is low, but γ-diversity is very high which indicates massive anthropogenic impact. Species numbers were correlated with island size and human population density. - The share of regionally and nationwide endangered species is very high: The islands are home to more than 1 % of the German populations of 13 species, and more than 1 % of the regional populations of Lower Saxony of 17 species of breeding birds. 89 species recorded from the islands are listed in Annex I of the EU Birds Directive. - Because of the high diversity and the high share of nationally threatened bird species on the islands, we conclude that conservation should be given priority in the area. The Lower Saxony Wadden Sea National Park is considered to provide the adequate framework to this end.

Einleitung

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Der Bruterfolg des Rotschenkels Tringa totanus ist auf den Inselsalzwiesen deutlich höher als in vergleichbaren Habitaten am Festland - möglicherweise bedingt durch eine geringere Prädatorendichte (Foto: Christian Röschert).

Die Erfassung brütender und rastender Vogelbestände hat im niedersächsischen Wattenmeer Tradition. Besonders für einige Ostfriesischen Inseln liegen lange Datenreihen vor. Bereits 1869 veröffentlichte Baron von Droste-Hülshoff eine umfassende Übersicht für die Insel Borkum, gefolgt vom Werk Otto Leeges zur Vogelwelt der Ostfriesischen Inseln im Vergleich mit dem restlichen südlichen Nordseeraum (LEEGE 1905).

Die vorliegende Arbeit ist die erste vollständige Dokumentation zu Arteninventar und Beständen für alle Inseln seit dem Erscheinen der Zusammenstellung von SMIT et al. (1981). Erstmals enthält sie Informationen zu allen nachgewiesenen Arten im Zeitraum von etwa 1850 bis 2003 basierend auf einer umfassenden Literaturstudie und der Auswertung unveröffentlichter Zähldaten der niedersächsischen Landesbehörden. Sie beschränkt sich nicht nur auf die regelmäßigen Brut- und Gastvögel, sondern geht in Bezug auf die räumliche Auflösung der Daten über die Arbeiten für das gesamte Wattenmeer hinaus (BLEW et al. 2005, BLEW & SÜDBECK 2005, KOFFIJBERG et al. 2006).

Datengrundlage

Die Avifauna der Ostfriesischen Inseln wird in der vorliegenden Arbeit auf der Grundlage kommentierter Artenlisten vorgestellt. Dabei wurde versucht, sowohl das gesamte Arteninventar (alle jemals nachgewiesenen Arten) der Ostfriesischen Inseln zu recherchieren, als auch die Bedeutung der Inselkette für regelmäßig brütende und rastende Arten zu beschreiben. Zur Recherche wurde neben den, im folgenden näher erläuterten, Quellen auf die für viele Inseln publizierten "Inselavifaunen" und kommentierten Artenlisten ("key references") zurückgegriffen (Tab. 1). Diese erschienen überwiegend in den 1980er und 1990er Jahren, sind teilweise aber auch schon weitaus älter (Abb. 1).

Tab. 1: Literatur- und Datengrundlage.
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Außerdem wurden viele publizierte Einzelnachweise in Zeitschriftenartikeln aufgespürt oder Sammelberichten entnommen. Sämtliche zur Recherche verwendete Literatur ist im Literaturverzeichnis aufgelistet. Außerdem wurden Angaben zum Bestandstrend in Deutschland und Niedersachsen, zur Gefährdung und zum gesetzlichen Schutz der Arten zusammengetragen.

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Abb. 1: Übersicht über die Erscheinungsjahre der jeweils aktuellsten avifaunistischen Zusammenfassung für die Ostfriesischen Inseln („Inselavifaunen“ und kommentierte Artenlisten). Für Minsener Oog wurden bisher nur Einzeldaten veröffentlicht.

Aus pragmatischen Gründen und wegen sehr inhomogener Datengrundlage wurde das Auftreten der Brutvogelarten für jede der Ostfriesischen Inseln separat in drei Zeitabschnitten dargestellt. Im Zeitraum 1 (ca. 1850-1980) fanden unregelmäßige Bestandserhebungen (oft nur bestimmter Arten) auf anfangs wenigen, später allen Inseln statt, jedoch noch nicht nach standardisierter Methode. Das umfangreiche Datenmaterial dieses Zeitraums wurde seit 1950 bis 1979 in Form von Erfassungsbögen und Berichten der Vogelwärter bei der "Zentralstelle für den Seevogelschutz" an der Vogelwarte Helgoland gesammelt und von SMIT et al. (1981) erstmals für alle Inseln ausgewertet. Die Autoren bezogen für ihre Veröffentlichung zusätzlich alle verfügbaren avifaunistischen Publikationen zum Untersuchungsgebiet seit dem Erscheinen der ersten Borkumer Avifauna von DROSTE-HÜLSHOFF (1869) mit ein, so dass bis 1980 bereits eine relativ vollständige Übersicht über die Brutvogelfauna vorliegt. Für die hier vorgelegte, aktualisierte Zusammenstellung wurden die Angaben in SMIT et al. (1981) kritisch überprüft, vielfach unter Verwendung der Originalpublikationen, und aus von in dieser Zusammenstellung unberücksichtigten Quellen ergänzt. Das Material erlaubt leider nur eine qualitative Darstellung.

Für den Zeitraum 2 (1981-1985) liegen halbquantitative Rasterkartierungen auf Basis eines Viertels einer Topografischen Karte 1:25.000 vor. Diese wurden damals von HECKENROTH & LASKE (1997) zur Erstellung des niedersächsischen Brutvogelatlasses 1985 genutzt. Diese Daten wurden hier übernommen und aus Publikationen mit zusätzlichen Brutnachweisen einiger Arten aus dem genannten Zeitraum ergänzt.

Ab 1986 liegen von den Mitarbeitern der niedersächsischen Fachbehörden für Naturschutz (Niedersächsisches Landesverwaltungsamt - Fachbehörde für Naturschutz, Staatliche Vogelschutzwarte - Niedersächsisches Landesamt für Ökologie (NLÖ), Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft und Küstenschutz (NLWK), letztere 2004 zusammengelegt zum Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küstenschutz und Naturschutz (NLWKN)) erhobene alljährliche Bestandsaufnahmen der Brutvogelfauna der Inseln vor. Diese wurden ab 1991 im Rahmen des Trilateral Waddensea Monitoring Assessment (TMAP) durchgeführt. Die Inseln Wangerooge, Minsener Oog und Mellum wurden dabei von Naturschutzwarten des Mellumrats e.V. abgedeckt, auf den anderen Inseln waren meist Zivildienstleistende der oben genannten Behörden im Einsatz. Aus den Daten der Brutvogelerhebungen wurde im Rahmen dieser Übersicht für den Zeitraum 3 (1994-2003) eine Statusangabe für jede Art auf jeder Insel erarbeitet und die aktuellen Brutbestände der letzten fünf Jahre ermittelt. Beide Angaben wurden durch weitere publizierte Daten ergänzt.

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Der Graureiher (Ardea cinerea) ist regelmäßiger Gast auf allen Ostfriesischen Inseln. Sein Bestand gilt in ganz Europa als gesichert. (Foto: Christian Röschert).

Im Rahmen des Projektes war eine komplette Auswertung des Vorkommens aller regelmäßigen und unregelmäßigen Gastvogelarten nicht möglich. Es erfolgte daher eine Beschränkung auf die Gastvögel, die die Inseln regelmäßig zur Rast auf dem Zug und/oder zur Überwinterung nutzen. Dabei konnten aufgrund der zahlreichen Angaben in der weit verstreuten Literatur nicht alle Arten bearbeitet werden, sondern nur die bei regelmäßigen, zweiwöchentlichen Springtidenzählungen erfassten. Es wurden dazu Daten aus dem Zeitraum 1994-2003 ausgewertet, die von Mitarbeitern der niedersächsischen Fachbehörden für Naturschutz im Rahmen des TMAP (s.o.) erhoben wurden. Wie bei der Brutvogelübersicht wurde eine Statusangabe für jede Insel separat erarbeitet, außerdem der maximale Rastbestand im Zeitraum 1999 bis 2003 ermittelt.

Keine der hier gelieferten Übersichten dürfte vollständig und fehlerfrei sein, und durch die Nichtberücksichtigung wichtiger Daten dürften vielfach Lücken bestehen, die sich auch in falschen Statusangaben und zu geringen Bestandsangaben auswirken können. Diese Lücken ließen sich nur bei einer weit ausführlicheren Literaturrecherche und Sichtung unveröffentlichten Zählmaterials schließen, ergänzt um eine Begutachtung der Daten durch mit der jeweiligen Inselavifauna vertrauten Beobachtern. Im Rahmen des Projektes, in dem diese Zusammenstellung entstand, war dafür jedoch der finanzielle wie zeitliche Rahmen zu eng. Besonders hilfreich wäre der Aufbau einer zentralen Datenbank für den gesamten Nationalpark "Niedersächsisches Wattenmeer", die die behördlichen Fachdaten, wie auch publizierte und unveröffentlichte Daten der zahlreichen ornithologisch arbeitenden Inselbewohner und -besucher enthalten sollte.

Die taxonomische und systematische Ordnung richtet sich nach CLEMENTS (2000, inklusive aller Nachträge). Unterarten werden nur aufgeführt, wenn eine Erhebung auf Artniveau diskutiert wird.

Artenbestand der Ostfriesischen Inseln

Bis zum Jahr 2006 wurden auf der ostfriesischen Inselkette 352 Vogelarten nachgewiesen. Davon sind acht als sichere Gefangenschaftsflüchtlinge (Chileflamingo Phoenicopterus chilensis, Schwarzschwan Cygnus atratus, Streifengans Anser indicus, Kaisergans Anser canagicus, Paradieskasarka Tadorna variegata, Gaukler Theratopius ecaudatus, Chinabülbül Pycnonotus sinensis, Rotkardinal Cardinalis cardinalis), fünf als wahrscheinliche Gefangenschaftsflüchtlinge (Rosapelikan Pelecanus onocrotalus, Rosaflamingo Phoenicopterus roseus, Schneegans Chen caerulescens, Jungfernkranich Anthropoides virgo, Zitronengirlitz Serinus citrinella) und vier Arten (Rebhuhn Perdix perdix, Fasan Phasianus colchicus, Virginia-Baumwachtel Colinus virginianus, Birkhuhn Tetrao tetrix) als lokal absichtlich eingebürgerte Arten, die ursprünglich keine autochthonen Populationen auf den Inseln hatten, einzustufen.

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Abb.2: Anzahl aller nachgewiesenen Vogelarten pro Statuskategorie, gesamte Inselkette. Zur Erläuterung der Abkürzungen vgl. Text.

Unter den 150 als Brutvogel einzustufenden Arten brüten 104 regelmäßig mindestens seit 1985 (rB, Abb. 2), 32 sind als unregelmäßige Brutvögel im gesamten Betrachtungszeitraum 1850-2003 einzustufen (uB). 14 Arten waren vor 1985 regelmäßige Brutvögel, verschwanden aber seitdem (eB). Die größte Gruppe stellt die der regelmäßigen oder unregelmäßigen Durchzügler (D, 234 Arten), die der Ausnahmeerscheinungen (A) mit weniger als 10 Nachweisen umfasst mit 111 knapp ein Drittel der nachgewiesenen Arten. Im Winter sind die Inseln vergleichsweise artenarm: Nur 92 Arten treten als Wintergäste (W) in Erscheinung oder sind Brutvögel, die den Winter am Brutort verbringen.

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Bei dem Fasan (Phasianus colchicus) handelt es sich um eine der vier lokal absichtlich eingebürgerten Arten, die ursprünglich keine autochthonen Populationen auf den Inseln hatten (Foto: Christian Röschert).

Im Vergleich der einzelnen Inseln zeigen sich deutliche Unterschiede im Hinblick auf die Artenzahlen (Abb. 3). Lütje Hörn weist dabei nur 91 Arten (18 Brutvogelarten) auf. Auf Wangerooge wurden mit 296 am meisten Arten nachgewiesen, die höchste Diversität unter den Brutvögeln erreicht Borkum (120 Arten), dicht gefolgt von Norderney (112 Arten).

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Abb. 3: Anzahl aller nachgewiesenen Vogelarten bzw. aller Brutvogelarten für jede Ostfriesische Insel.

Beim Vergleich der Artenzahlen muss die Erfassungsintensität berücksichtigt werden: Die Avifauna der Inseln wird seit etwa 150 Jahren intensiv dokumentiert. Dies betrifft v.a. die Inseln Wangerooge, Memmert, Mellum und Minsener Oog, die z.T. schon seit den 1930er Jahren mit Vogelwarten besetzt sind, und auf denen zahlreiche Forschungsprogramme durchgeführt wurden, z.B. planmäßige Beringungsfänge über viele Jahre auf Wangerooge und Mellum, oder Seevogelplanbeobachtungen auf Wangerooge (z.B. GROßKOPF 1989, GOETHE 1939, KRÜGER & GARTHE 2001, KRÜGER & DIERSCHKE 2006).

Gefährdung und Schutz

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Der in ganz Europa als "gefährdet" eingestufte Kiebitz (Vanellus vanellus) kommt auf den Ostfriesischen Inseln, mit Ausnahme von Lütje Horn und Mellum, als Brutvogel vor. Dabei bevorzugt er obere sowie unter Salzwiese, als auch Grünland und Süßgewässer als Bruthabitate (Foto: Christian Röschert).

Die Ostfriesischen Inseln sind aus naturschutzfachlicher Sicht extrem wertvolle Lebensräume für eine Vielzahl von Brut- und Rastvögeln und Rückzugsräume für in anderen Küstenteilen verschwundene oder stark bedrohte Arten. Darunter sind keine global bedrohten Arten, aber mit Wachtelkönig Crex crex und Uferschnepfe Limosa limosa zwei weltweit auf der Vorwarnliste geführte Arten (Kategorie "Near Threatened", IUCN 2006). Die letztgenannte Art und die Feldlerche sind europaweit als "Vulnerable" (gefährdet) eingestuft (BIRDLIFE INTERNATIONAL 2004). Die Zahl der bundes- bzw. landesweit gefährdeten Arten (Kat. 1-3) ist mit 20 bzw. 36 dagegen sehr hoch (Tab. 2). Damit brüten etwa 31 % der bundes- und 47 % der landesweit gefährdeten Arten auf der Inselkette. Der höchste Wert wird jeweils für die Kategorie 2 erreicht: 59 % der landesweit stark gefährdeten Arten brüten auch auf der Inselkette (Tab. 2).

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Tab. 2: Anzahl bundes- bzw. niedersachsenweit gefährdeter Brutvogelarten der Ostfriesischen Inseln (N); Anteil der auf den Inseln brütenden Arten an der gesamten Artenzahl der betreffenden Kategorie der Roten Liste (%). Aufgeführt sind regelmäßige und unregelmäßige Brutvogelarten.

Von den auf Bundes- und Landesebene in den Roten Listen geführten Arten weisen viele sehr hohe Bestände auf den Ostfriesischen Inseln auf. 13 Arten der bundesweiten Roten Liste brüten mit mindestens 1 % des deutschen Bestandes und 17 Arten, die entweder auf der bundes- oder landesweiten Liste aufgeführt sind, mit mindestens 1 % ihres niedersächsischen Bestandes auf den Inseln (nach BAUER et al. 2002 und SÜDBECK & WENDT 2002, Abb. 4).

Nach dem Punktbewertungsverfahren nach WILMS et al. (1997), das die Diversität gefährdeter Arten stark berücksichtigt, ist die gesamte Inselkette als Brutgebiet nationaler Bedeutung einzustufen. Viele Inseln erreichen alleine ebenfalls nationale Bedeutung, einige nur landesweite. Nach dem bisher überwiegend für Rastvögel angewandten 1%-Kriterium hat die Inselkette für 13 Brutvogelarten bundesweite Bedeutung, für 17 landesweite.

Für die vier mit 100 % des niedersächsischen und 21-85 % des deutschen Bestandes brütenden Arten Spießente Anas acuta, Kornweihe Circus cyaneus, Zwergseeschwalbe Sterna albifrons und Sumpfohreule Asio flammeus, sind die Inseln das wichtigste deutsche Brutgebiet, für die Kornweihe inzwischen das einzige regelmäßige (Abb. 4).

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Abb. 4: Anteil der Inselpopulation ausgewählter gefährdeter Arten (landes- bzw. bundesweite Rote Liste, Gefährdungskategorien 1-3) am niedersächsischen bzw. deutschen Gesamtbestand. Aufgeführt sind nur Arten, die mit mindestens 1 % ihres Bestands brüten.

Die Rastbestände gefährdeter Arten erreichen vielfach europa- oder deutschlandweit signifikante Werte. Auch im Vergleich mit der Flywaypopulation und den Wattenmeer-Rastpopulationen besitzen die Ostfriesischen Inseln eine herausragende Stellung (aktuell z.B. KOFFIJBERG et al. 2006).


Für die weltweit auf der Vorwarnliste geführte Uferschnepfe (Limosa limosa) bieten die Ostfriesischen Inseln wichtige Bruthabitate. Sie brütet auf 6 der Inseln und bevorzugt dabei, wie der Kiebitz, Bruthabitate der oberen und unteren Salzwiese, sowie des Grünlandes und der Süßgewässer (Foto: Christian Röschert).

Von den 109 in Anhang I der EU-Vogelschutzrichtlinie aufgeführten Arten wurden auf den Ostfriesischen Inseln 89 (82 %) nachgewiesen. Davon sind 21 (19 % der insgesamt gelisteten Arten) als regelmäßige, sechs (6 %) als unregelmäßige und fünf (5 %) als ehemalige Brutvögel einzustufen. 30 Arten (28 %) nutzen das Gebiet nur als Durchzügler und Wintergäste, teils aber in international bedeutsamen Zahlen, 27 Arten (25 %) sind als Ausnahmeerscheinung zu betrachten. Konsequenterweise wurden die Inseln daher auch Teil des EU-Vogelschutzgebietes DE2210-401 "Niedersächsisches Wattenmeer".

Diversität der Avifauna

Die Ostfriesischen Inseln sind ein gutes Beispiel für einen Landschaftsausschnitt, der aufgrund einer durch den Menschen erhöhten Lebensraumvielfalt eine hohe Biodiversität im Hinblick auf die Brutvogel-Artengemeinschaften (γ-Diversität, vgl. WHITTAKER 1972) aufweist. Die Brutvogel-Biodiversität innerhalb der meisten Inselhabitate (α-Diversität) ist dagegen vergleichsweise gering. Viele der für die Inseln ursprünglich typischen Lebensräume weisen nur wenige, zumeist spezialisierte Arten auf (Tab. 3).

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Tab. 3: Biotoptypen der Ostfriesischen Inseln und Anzahl der jeweils potenziell vorkommenden Brutvogelarten (nach Einschätzung der Autoren).

Die Diversität unter den Brutvögeln (= Anzahl der Brutvogelarten) ist hochsignifikant mit Inselgröße und landschaftsräumlicher Vielfalt korreliert (Spearman's r = 0,9; p < 0,001, vgl. auch Abb. 5). Allgemein gilt: Je größer eine Insel, desto länger die Entwicklungszeiträume, desto mehr Biotoptypen sind in zunehmender Flächengröße vorhanden, desto höher die γ-Diversität (SHMIDA & WILSON 1985).

Die γ-Diversität auf den Ostfriesischen Inseln wurde durch anthropogene Eingriffe künstlich stark erhöht, Artenzahlen sind ebenfalls hochsignifikant mit der Bevölkerungsdichte (Einwohner pro Flächeneinheit) korreliert (Spearman's r = 0,7; p < 0,001). Dabei sorgten direkte Aussetzungen von Arten nur für eine geringe Vergrößerung des Artenpools, vielmehr ermöglichten erst vielgestaltige Umstrukturierungen in der Landschaft die Ansiedlung vieler Arten. Durch Eindeichungsmaßnahmen entstand besonders auf Borkum und Wangerooge artenreiches Feuchtgrünland. Die Entstehung von Gewässern mit Verlandungszonen und Schilfflächen (z.B. Südstrandpolder Norderney), die Pflanzung von Gehölzen und Veränderungen im Siedlungsbereich (z.B. private Koniferenpflanzungen) verbesserten für viele Arten das Nahrungsangebot und das Angebot an Nistmöglichkeiten. Dies wurde von PLAISIER (1983) bereits für Langeoog belegt.

Von den aktuell 136 nachgewiesenen Brutvogelarten (rB und uB) der Inselkette brüten bis zu 115 (85 %) aufgrund der Besiedlung durch den Menschen (eigene Berechnungen nach Habitatpräferenzen), lediglich 21 (15 %) sind als echte Primärbewohner einer dynamischen Prozessen unterliegenden Düneninsel anzusehen. Die Inseln Lütje Hörn (18 nachgewiesene Brutvogelarten) als einzige gänzlich unbeeinflusste Insel im niedersächsischen Wattenmeer, wie auch die seit langem nicht mehr bewohnte Insel Trischen/Elbmündung (2003: 20 Brutvogelarten, OPPEL 2005) dürften ein natürliches Arteninventar einer typischen Düneninsel aufweisen.


Abb. 5: Anzahl der nachgewiesenen Brutvogelarten pro Insel in Abhängigkeit von der Flächengröße ("Arten-Areal-Kurve"). Der Zusammenhang wird am besten durch eine logarithmische Funktion des Verhältnisses Anzahl nachgewiesener Arten zu Inselgröße beschrieben (R² = 0,86; p < 0,001).

Analysiert man den aktuellen Artenreichtum nach Lebensräumen, ergibt sich folgendes Bild: Die Sekundär-Lebensräume der Inseln beherbergen mit zusammen 125 Brutvogelarten ein deutlich breiteres Spektrum an Arten als die Primär-Habitate (95). 41 Arten brüten ausschließlich in Sekundär-Lebensräumen.

Besondere Bedeutung haben die Ostfriesischen Inseln und vorgelagerte Wattgebiete auch als Rastgebiete für Wat- und Wasservogelarten auf dem Ostatlantischen Flyway (z.B. BLEW & SÜDBECK 2005). Neben Süß- und Brackgewässern, die besonders für rastende Anatiden von Bedeutung sind, fällt auch die hohe Zahl potentiell rastender Arten im Bereich der Unteren Salzwiese auf. Dies ist v.a. auf die Nutzung der wattnah gelegenen Bereiche als Rastplatz bei Hochwasser zurückzuführen.

Basierend auf einem Artikel von:

Johannes Kamp
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Vincent Sohni
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Für die Bereitstellung seiner hervorragenden Fotos danken wir ganz besonders Christian Röschert (www.cr-fotographie.de).

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Stand: 02/2009