Die Flora und Fauna der Ostfriesischen Inseln

Farn- und Blütenpflanzen

Basierend auf einem Artikel von Detlev Metzing, Kirsten Heine, Petra Eggers und Heinrich Kuhbier

Zusammenfassung

Die Flora der Ostfriesischen Inseln umfasst nach derzeitigem Stand 874 Arten (895 Sippen = Arten und Unterarten). Insgesamt wurden im Laufe der über 100jährigen floristischen Erhebungen 990 Arten (1005 Sippen) für die Inseln nachgewiesen. 21 % der nach 1980 dokumentierten Sippen werden in der Roten Liste für Niedersachsen aufgelistet, ca. 15 % der Sippen sind verschollen, bedroht oder gefährdet.
Die Sippenzahl der einzelnen Inseln ist positiv korreliert mit deren Flächengröße und der damit einhergehenden Standortdiversität. Am artenreichsten sind die Inseln Borkum und Norderney. Eine Gruppe mit geringen Artenzahlen bilden die vier kleinen Inseln Lütje Hörn, Mellum, Memmert und Minsener Oog. Bei den Biotoptypen weisen die Ruderal- und Halbruderalfluren sowie die Siedlungsbereiche die meisten Arten auf. Die natürlichen Biotopkomplexe der Dünen werden von zahlreichen Arten besiedelt, die innerhalb Niedersachsens einen Verbreitungsschwerpunkt auf den Ostfriesischen Inseln haben oder sogar nur dort vorkommen.
Die Zahl nachgewiesener Sippen hat seit 1900 ständig zugenommen, wobei dieser Anstieg vor allem auf die veränderte Landnutzung sowie die Etablierung nicht indigener Sippen zurückzuführen ist. In Zukunft wird besonders der Klimawandel die Flora der Ostfriesischen Inseln deutlich verändern.

Summary

Ferns and flowering plants of the East Frisian islands. Analysis of the past and recent species inventory as a contribution to biodiversity on the East Frisian islands. - The recent flora of the East Frisian Islands consists of 874 species (895 taxa = species and subspecies). Altogether, 990 species (1,005 taxa) have been documented for these islands during a period of more than hundred years. 21 % of the plant taxa recorded after 1980 are included in the Red List of Lower Saxony, about 15 % of the taxa are lost, threatened or endangered.
The number of plant taxa on the islands is positively correlated with the area size and the linked habitat diversity. Most taxa have been found on the islands Borkum and Norderney, whereas Lütje Hörn, Mellum, Memmert and Minsener Oog constitute a group of small islands poor in species. The natural habitat complexes of the dunes are populated by several species, which are in Lower Saxony mainly confined to the islands.
The number of documented plant taxa has increased since 1900, however, this was mainly caused by changed land use and the establishment of nonindigenous plants. The climatic change will affect the flora of the East Frisian islands markedly in the future.

Was sind... Farn- und Blütenpflanzen?

Farn- und Blütenpflanzen weisen einen einheitlichen Aufbau auf, der sie von niederen Pflanzen (Moose und Algen) unterscheidet: Die drei Grundorgane Wurzel, Sprossachse und Blätter bilden den Kormus. Farn- und Blütenpflanzen werden daher auch als Kormophyten zusammengefasst. Die Bezeichnung Gefäßpflanzen (Tracheophyta) beruht auf dem Besitz von echten Leitbündeln (mit Xylem und Phloem) in den drei Grundorganen.

Farnpflanzen (Pteridophyta, Gefäß-Sporenpflanzen) weisen einen Generationswechsel auf, mit einem unscheinbaren Gametophyten (Prothallium; haploid) und dem in Wurzel, Spross und Blätter gegliederten Sporophyten (der eigentlichen Farnpflanze; diploid). Die Vermehrung erfolgt über Sporen. Die etwa 12.000 Arten der Farnpflanzen haben ihren Verbreitungsschwerpunkt in den Tropen; in unserer Flora spielen sie eine untergeordnete Rolle. Sie sind vorwiegend an feuchten oder schattigen Standorten zu finden.

Die Samenpflanzen (Spermatophyta) sind heute die vorherrschenden Vertreter der Flora. Bei ihnen findet die geschlechtliche Fortpflanzung in den Blüten statt. Blüten sind charakteristisches Merkmal der Samenpflanzen, weshalb sie auch als Blütenpflanzen bezeichnet werden. Man geht davon aus, dass es heute weltweit etwa 300.000 Arten dieser Gruppe gibt. Innerhalb der Samenpflanzen unterscheidet man die nacktsamigen Pflanzen (Gymnospermae, vorwiegend Nadelhölzer) und die bedecktsamigen Pflanzen (Angiospermae). Letztere Gruppe bildet den größten Anteil der Gefäßpflanzenflora und ist durch die in ein oder mehrere Fruchtblätter eingehüllten Samenanlagen charakterisiert. Die frühere Zweiteilung der Angiospermae in ein- und zweikeimblättrige Pflanzen ist heute aufgrund neuer Erkenntnisse zur Phylogenie (stammesgeschichtliche Entwicklung) zugunsten einer Dreiteilung aufgehoben: Neben den basalen (ursprünglichen) Zweikeimblättrigen (Magnoliopsida) - von denen auf den Inseln nur Seerosengewächse (Nymphaeaceae) und Hornkrautgewächse (Ceratophyllaceae) vorkommen - und den Einkeimblättrigen (Liliopsida) - u.a. Gräser sowie Lilienähnliche (Liliidae) - bilden die Rosopsida die größte Gruppe (in Deutschland mit ca. 100 Pflanzenfamilien).

Einleitung

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Im Herbst verfärben sich die einjährigen Queller-Arten der Gattung Salicornia in viele Farben (Foto: D. Metzing).

Als Flora wird die Gesamtheit aller Pflanzenarten eines bestimmten Gebietes bezeichnet. Die Flora der Ostfriesischen Inseln umfasst somit alle dort vorkommenden Arten, wobei hier nur die Gefäßpflanzen (also Farn- und Blütenpflanzen) berücksichtigt werden. Nicht einbezogen werden ausschließlich kultivierte Pflanzen, also Arten, die in Gärten, Parks, Forsten und auf Äckern angepflanzt bzw. ausgesät werden, aber keine spontanen Vorkommen aufweisen.

Floristische Erforschung der Inseln

Die Erfassung der Pflanzenarten bestimmter Gebiete ist Untersuchungsgegenstand der Floristik. Für die Ostfriesischen Inseln gibt es eine große Zahl floristischer Beiträge und umfassender Floren. Historische und/oder bibliographische Übersichten, die das Gebiet der Ostfriesischen Inseln einschließen, wurden von BRÖRING et al. (1993) [Nieders. Wattenmeer], EBER (1995) [Oldenburg und Ostfriesland], METZING (2005) [Nord- und Ostseeküste], NÖLDEKE (1873) [Ostfriesische Inseln] und PRINS et al. (1983) [Wattenmeer] publiziert.

Im Küstenraum des heutigen Niedersachsens wurde die Flora der Ostfriesischen Inseln besonders intensiv untersucht. Dies ist begründet in der Attraktivität der Inseln als Besuchsziel, der natürlichen Abgrenzung der Untersuchungsgebiete sowie der Besonderheit der Küsten- bzw. Inselflora.

Eine frühe Liste mit neun Pflanzenarten stammt von J. H. Tannen aus dem Jahr 1786 (Nachdruck: TANNEN 1913). Norderney bildete einen Schwerpunkt der frühen floristischen Erforschung der Ostfriesischen Inseln (BLEY zit. nach BUCHENAU 1901, VON HALEM 1815, 1822, MEYER 1824). Viele frühe Funddaten für das (heute) niedersächsische Küstengebiet enthalten die Floren von MEYER (1836, 1849). Für das ostfriesische Gebiet inkl. der Inseln publizierte LANTZIUS-BENINGA (1849) eine Florenliste, die WESSEL (1858, 1869) als Grundlage für seine "Flora Ostfrieslands" nutzte. Das Oldenburger Gebiet mit der Insel Wangerooge wurde in den Arbeiten von HAGENA (1839), MÜLLER (1839), KOCH & BRENNECKE (1844) erfasst. Der Bremer Lehrer F. G. P. Buchenau und der ebenfalls in Bremen ansässige Arzt W. O. Focke publizierten ab den 1870er Jahren zahlreiche Arbeiten zur Flora der Ostfriesischen Inseln. Besonders zu erwähnen sind die "Flora der Ostfriesischen Inseln" (BUCHENAU 1881ff., mehrere Auflagen) sowie die ab der 4. Auflage mit einem Anhang der Küstenpflanzen versehenen "Flora von Bremen und Oldenburg" (u. a. BUCHENAU 1901, 1906). Weitere Floren für das (heute) niedersächsische Küstengebiet wurden u. a. von BIELEFELD (1900), EILKER (1881, 1884) und NÖLDEKE (1873) publiziert. Im Herbarium des Bremer Übersee- Museums (BREM), das ein separates Insel-Herbarium beherbergt, ist diese Forschungsphase gut dokumentiert. Dort sind heute noch zahlreiche Herbarbelege sowie einige Fundortkarten von oben erwähnten Autoren (u.a. Buchenau, Focke, Lantzius-Beninga, Nöldeke) aufbewahrt (METZING 1999, WAGNER 1999).

Mit Ende des 19. Jahrhunderts erreichte die Floristik in Deutschland ihren Höhepunkt. Ab 1885 wurden von der "Commission für die Flora von Deutschland" (1885ff.) floristische Fundmeldungen in jährlichen Berichten zusammengefasst, die aber schon nach 1892 nur noch unregelmäßig erschienen und dann später eingestellt wurden. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erlahmte das Interesse der wissenschaftlichen Feldbotanik an rein floristischen Arbeiten, weil die Erfassung als weitgehend abgeschlossen galt. In der Folge traten vegetationskundliche Aspekte in den Vordergrund. Trotzdem wurden auch weiterhin Floren und floristische Arbeiten publiziert.

In der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts erlebte die Floristik einen Aufschwung mit verschiedenen Kartierungsprojekten, die die Erstellung von Gitternetzkarten zum Ziel hatten. Verbreitungsatlanten, die auch die Verbreitung der Gefäßpflanzen im Gebiet der Ostfriesischen Inseln erfassen, wurden von GARVE (1994 [nur Arten der Roten Liste], 2007) sowie HAEUPLER & SCHÖNFELDER (1988) publiziert. Zahlreiche floristische Daten wurden auch in jüngerer Zeit in Einzelpublikationen veröffentlicht. Wichtige Zusammenstellungen zur Flora der Ostfriesischen Inseln sind die Arbeiten von VAN DIEKEN (1970), PRINS et al. (1983) sowie BRÖRING et al. (1993).

Floristische Datenerfassung

Die Ostfriesischen Inseln gehören zum Wattenmeer, dessen Flora heute, sieht man von neu einwandernden Arten bzw. Neophyten ab, als vollständig erfasst gelten kann. - Eine umfassende Bestandsaufnahme der Literaturdaten zur Flora der Ostfriesischen Inseln sowie eine Darstellung der Entwicklung des floristischen Kenntnisstandes wurde zuletzt von BRÖRING et al. (1993) publiziert (zur Methode s.a. dort). Für die hier vorliegende Florenliste wurden basierend auf dieser Arbeit weitere, dort nicht berücksichtigte Publikationen sowie neuere Arbeiten und z.T. noch unveröffentlichte Ergebnisse floristischer Erhebungen (u. a. Florenlisten von E. Garve und H. Kuhbier) ausgewertet und die Funddaten nach Inseln und Zeiträumen getrennt erfasst.

Ein Problem bei der Auswertung historischer Verbreitungsdaten ist die taxonomische Datenlage. Neben den nomenklatorischen Änderungen während der letzten 200 Jahre, die durch die Berücksichtigung auch älterer Synonyme bei der Datensichtung ausgeglichen werden können, sind es vor allem unterschiedliche Interpretationen des Sippenumfangs bzw. ihrer Gliederung. Hier haben sich Ansichten und Erkenntnisse über die Fassung der Arten und Unterarten zum Teil erheblich gewandelt - ein Prozess, der auch heute nicht abgeschlossen ist. So sind die in den Literaturquellen und Listen genannten Taxa aufgrund unterschiedlicher Umgrenzungen nicht immer problemlos ineinander überführbar (METZING 2005).

Eine wichtige Quelle des aktuellen Artenbestandes bilden die Erfassungsdaten, die durch den Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft Küsten- und Naturschutz (NLWKN, vormals Niedersächsisches Landesamt für Ökologie, NLÖ) erhoben bzw. dort zusammengeführt wurden. Die Gesamtliste wurde schließlich durchgesehen und offensichtliche Fehlbestimmungen bzw. fragliche Funde wurden ausgeschlossen. Eigene Erhebungen wurden im Rahmen dieser Arbeit nicht durchgeführt; die Güte und Vollständigkeit der Fundangaben beruht daher im Wesentlichen auf den genannten Quellen.

Die Inselflora im Überblick

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Zu den Primelgewächsen gehörend, ist das Milchkraut (Glaux maritima) eine Art, deren Schönheit erst bei genauem Hinsehen zu erkennen ist (Foto: D. Metzing).

Aus verschiedenen Gründen bildet die Flora keine statische Größe. Die Anzahl der Arten ist abhängig von der zugrunde liegenden Klassifikation, dem Einbezug von Apomikten sowie der separaten Zählung von Arten und infraspezifischen Sippen (Unterarten, Varietäten, Formen). Arten, die im Gebiet verschwinden (aussterben), einwandern oder aus Kultur verwildern, führen zu ständigen Änderungen der Gesamtsippenzahlen. Die Etablierung von Neophyten, beispielsweise die Verwilderung von Zierpflanzen, benötigt längere Zeiträume. Ab wann eine Zierpflanze als verwildert, ab wann ein Neophyt als noch unbeständig oder schon als etabliert betrachtet werden kann, beruht auf einer Abschätzung nach verschiedenen Kriterien und ist manchmal nicht leicht zu treffen. Ob Arten, wie z.B. die Linden (Tilia spp.), auf den Inseln wirklich spontan auftreten, ist fraglich; andererseits haben sie z.B. als Nahrungspflanzen für Phytophagen eine ökologische Bedeutung und werden daher hier auch in die Florenliste aufgenommen. Eine Florenliste wie die vorliegende ist daher immer eine Momentaufnahme des floristischen Dokumentationsgrades sowie des jeweiligen ökologischen und taxonomischen Kenntnisstandes.

In der im Buch vorliegenden Arten-Liste werden insgesamt 984 Arten erfasst [die Artengruppen (Aggregate) wurden als Arten mitgezählt], von denen mehrere mit zwei Unterarten vertreten sind (Festuca rubra mit drei), sodass sich eine Gesamtzahl von 1005 Sippen (incl. einiger Hybriden) ergibt. Davon werden 90 Sippen auf den Inseln allerdings vorwiegend kultiviert, sie können gelegentlich aber auch außerhalb der Anpflanzungen spontan auftreten (z.B. an Gartenabfallplätzen); auch verschiedene, außerhalb von Gärten gepflanzte Gehölze, die kaum oder nicht verwildern, aber wegen ihrer Bedeutung als Nahrungs- oder Bruthabitat für Tiere hier mitaufgenommen wurden, sind darunter subsummiert. Ohne diese Arten ergibt sich eine Gesamtzahl von 915 Sippen für die Ostfriesischen Inseln. Von den 1005 Sippen wurden 895 (auch) nach 1980 für die Ostfriesischen Inseln dokumentiert.

Im Vergleich dazu listen PRINS et al. (1983) für das gesamte Wattenmeer 900 Arten auf (ohne Hybriden u. Unterarten). BRÖRING et al. (1993) erfassten 993 Sippen für das niedersächsische Wattenmeer (incl. Neophyten u. Unbeständige). BUCHENAU zählt noch 1901 550 Arten für die Ostfriesischen Inseln; STEINHÄUSER (1934) nennt für das gleiche Gebiet gar nur 321 Arten (ohne eingeschleppte u. unbeständige). 1039 Arten und Unterarten (Indigene, Archäophyten und etablierte Neophyten) führt GARVE (2004) für die Region Küste Niedersachsens auf (die allerdings auch die eingedeichten See- und Flussmarschen einschließt). Für ganz Deutschland beträgt die Zahl der Sippen (ohne Hybriden und Apomikten, aber inkl. der etablierten Neophyten) 3026 (WISSKIRCHEN & HAEUPLER 1998). Etwa ein Drittel der gegenwärtig in Deutschland vorkommenden Sippen wurde also auch auf den Ostfriesischen Inseln gefunden. 874 Arten (895 Sippen) wurden dort aktuell (nach 1980) nachgewiesen.

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Abb. 1: Entwicklung der Erfassung der Gefäßpflanzenflora der Ostfriesischen Inseln

Abbildung 1 zeigt deutlich die stete Zunahme nachgewiesener Gefäßpflanzensippen seit dem 19. Jahrhundert. Man kann davon ausgehen, dass bis zum Ende des 19. Jahrhunderts der größte Teil der auf den Inseln indigenen Arten erfasst war. Die weitere Zunahme beruht vorwiegend auf der detaillierten Erfassung von Klein- und Unterarten (BRÖRING et al. 1993), der Etablierung nicht indigener Sippen (HAHN 2006) sowie der Entwicklung und Ausdehnung von Gehölzen nach Aufgabe der früher erfolgten Brennholznutzung und Beweidung der Dünen (BRÖRING & NIEDRINGHAUS 1989, POTT et al. 1999).

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Tab. 1: Die 10 Pflanzenfamilien mit den höchsten Zahlen auf den Ostfriesischen Inseln nachgewiesener Sippen.

Mit Abstand am häufigsten vertreten sind die Korbblütler (Asteraceae) und der Süßgräser (Poaceae) (Tab. 1).

Auch noch mit einer hohen Sippenzahl vertreten sind die Rosengewächse (Rosaceae), Sauergräser (Cyperaceae) und die Kreuzblütler (Brassicaceae). Diese Verteilung entspricht etwa der des niedersächsischen Tieflandes (vgl. METZING 2006b). Wie dort ist auch auf den Ostfriesischen Inseln Carex die artenreichste Gattung (mit 38 Arten).

Gefährdete Arten

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Zu den gesetzlich besonders geschützten Sippen gehört die Strand-Platterbse (Lathyrus maritimus), die nach 1980 nur auf Wangerooge und Langeoog nachgewiesen wurde (Foto: D. Metzing).

Von den 895 nach 1980 auf den Ostfriesischen Inseln nachgewiesenen Sippen werden 145 einer der Gefährdungskategorien 0-3, R oder G (nach GARVE 2004; Region Küste) zugeordnet (Abb. 2). Fünf auf den Inseln nach 1980 noch gefundene Arten sind in der Region Küste nach GARVE (2004) heute ausgestorben bzw. verschollen: Bupleurum tenuissimum [1985 auf Borkum noch zwei Exemplare (GARVE 1994)], Gentaniella campestris ssp. baltica [1986 auf Borkum ein Exemplar, ebd.], Gentaniella uliginosa [1992 auf Borkum noch 200 Exemplare, ebd.], Gymnadenia conopsea [1987 noch auf Juist gefunden, ebd.], Juncus balticus [zuletzt 1984 auf Borkum, ebd.]. Weitere 46 Sippen stehen auf der Vorwarnliste; sie sind aktuell noch nicht gefährdet, zeigen aber Rückgangstendenzen.

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Abb. 2: Gefährdungsbilanz der nach 1980 auf den Ostfriesischen Inseln nachgewiesenen Sippen (Einstufung nach GARVE 2004, Region Küste).

Neophyten

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Das Gewöhnliche Tellerkraut, Claytonia perfoliata, ist ein Neophyt auf den Ostfriesischen Inseln. Es siedelt bevorzugt im Bereich der Primär- und Sekundärdünen (Foto: Schieber/Neugart, Baltrum 2005)

Insgesamt 150 nach 1980 für die Ostfriesischen Inseln dokumentierte Sippen werden für Niedersachsen als unbeständige bzw. eingebürgerte Neophyten eingestuft (vgl. GARVE 2004). Sippen, die in Niedersachsen indigene Vorkommen aufweisen, aber für die Ostfriesischen Inseln als Neophyten gelten müssen, werden hier nicht separat geführt. Bei 103 Sippen gibt es neben indigenen oder etablierten Beständen auch gepflanzte und kultivierte Vorkommen, die nicht immer eindeutig unterscheidbar sind.

Die Anzahl der Neophyten hat auf den Ostfriesischen Inseln besonders seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zugenommen. Nach HAHN (2006) wurden bis 2004 insgesamt 188 Neophyten (incl. dem Moos Campylopus introflexus) gefunden. Nur wenige Neophyten (z.B. Rosa rugosa, Fallopia japonica und Prunus serotina) zeigen jedoch ein dominantes Ausbreitungsverhalten, das lokal zur Verdrängung indigener Arten führen kann (ebd.).

Die Inselfloren im Vergleich

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Abb. 3: Anzahl der auf den Inseln nach 1980 nachgewiesenen Arten bzw. Sippen (= Arten und Unterarten)

Borkum weist die höchsten Sippenzahlen auf, gefolgt von Norderney (Abb. 3). Den geringsten Artenreichtum haben die kleineren Inseln, hier vor allem Lütje Hörn.

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Abb. 4: Verhältnis von Flächengröße der Inseln und Anzahl der nachgewiesenen Sippen.

Die Sippenzahl folgt keinem geographischen Gradient, sondern zeigt einen deutlichen Bezug zur Flächengröße der Inseln (Abb. 4): Je größer die Insel, desto höher ist die Anzahl der nachgewiesenen Pflanzensippen. Abhängig ist die Sippenzahl von der Standortvielfalt, die mit der Anzahl und Ausdehnung der vorkommenden Biotoptypen gekoppelt ist (Abb. 5; vgl. EGGERS et al. 2008, in diesem Band).

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Abb. 5: Verhältnis von Standortvielfalt der Inseln (Diversitätsindex nach Shannon-Wiener)und Anzahl der nachgewiesenen Sippen.

Lütje Hörn, das nennenswerte Anteile nur von den zwei Biotoptypen "Binsenquecken-Vordüne" und "Untere Salzwiese" aufweist, hat die geringste Pflanzenvielfalt, während die größte Insel, Borkum, mit relativ großen Siedlungsbereichen die höchste Phytodiversität aufweist. Die relativ hohe Sippenzahl von Wangerooge im Vergleich zu der größeren Insel Spiekeroog ist nach WEEDA & MENNEMA (1983) durch den hohen Anteil an Kleingewässern (Bombenkrater) und Polderflächen, also eine höhere Standortdiversität, begründet (vgl. NIEDRINGHAUS & ZANDER 1998).

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Abb. 6: Anzahl der nachgewiesenen Sippen in den einzelnen Biotoptypen.

Den Einfluss nicht charakteristischer Biotoptypen auf die Artenvielfalt der Inseln verdeutlicht auch Abb. 6: In den Biotopkomplexen Grünland, Ruderalfluren und Siedlungsflächen kommt ein großer Anteil der nachgewiesenen Pflanzensippen vor. Eine Ausdehnung dieser Biotoptypen führt zu einer Zunahme der für die Biotopkomplexe Dünen und Salzwiesen untypischen und nicht indigenen Arten.

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Abb. 7: Florenähnlichkeit der Inseln (Clusteranalyse, average linkage method).

Die Ähnlichkeit der Inselfloren zeigt die Clusteranalyse (Abb. 7), in der die Inseln nach ihrer floristischen Affinität gruppiert sind. Die kleinen Inseln Lütje Hörn, Memmert, Mellum und Minsener Oog bilden eine Gruppe. Ihnen gemeinsam ist das weitgehende Fehlen der für die Siedlungsbereiche und Ruderalfluren typischen Arten und die generell niedrigere Sippenzahl. Die sieben Ostfriesischen Inseln bilden eine gemeinsame Gruppe, in der sich wiederum die beiden größten und artenreichsten Inseln, Borkum und Norderney, abheben.

Besonderheiten der Inselflora

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Die Strand-Winde (Calystegia soldanella) kommt in Niedersachsen nur in Weißdünen der Ostfriesischen Inseln vor (Foto: D. Metzing).

Charakteristisch für die Ostfriesischen Inseln ist der relativ hohe Flächenanteil küstenspezifischer Primärbiotope (vgl. EGGERS et al. 2008, in diesem Band), die eine hohe Zahl an die besonderen Eigenschaften dieser Standorte angepasster Arten beherbergen. Die geomorphologischen Strukturen, die hydrochemischen und bewegungsmechanischen Eigenschaften der Küstenstandorte sind die Voraussetzung für die Ausbildung der spezifischen Küstenflora (und Vegetation).

Es sind zwei Pedobiome, die die Küstenbiotope abhängig von den Substrateigenschaften charakterisieren: die Halobiome umfassen die Salzmarschen mit ihren salzhaltigen Böden, die Psammobiome die Dünen und Strände mit sandigen Substraten (WALTER & BRECKLE 1991). Periodische Überflutungen mit Salzwasser und die Sedimentation von Schlick sind die prägenden ökologischen Faktoren in den Salzmarschen, in den Dünen sind es vorwiegend Wind und das sandige Substrat (RANWELL 1972). Die Anpassung an diese Faktoren ist die charakteristische Eigenschaft der Küstenpflanzen.

Die Arten der Dünen sind vielfach durch morphologische oder anatomische Eigenschaften (wie z.B. dicke utikula, Bereifung, Rollblätter, Wasserspeichergewebe oder Ausläuferbildung) an regelmäßige oder gelegentliche Übersandung, eine hohe UV-Strahlung, ein extrem schwankendes Mikroklima und Trockenheit angepasst (FISCHER 1975). Dabei weisen die Arten von den Embryonaldünen über die Primärdünen zu den Weißdünen eine abnehmende Salztoleranz und zunehmende Xeromorphie und Übersandungstoleranz auf.

Die Halophyten der Salzmarschen verfügen über diverse Mechanismen zur Regulation des Salzhaushaltes (z.B. Halosukkulenz, Salzdrüsen) und sind speziell an regelmäßige Überflutungen angepasst (z.B. durch Ausbildung von Aerenchymen) (ALBERT 1982, CHAPMAN 1974, EBER & STRUTZ-FISCHER 1991, PACKHAM & WILLIS 1997, SCHMIDTKE 1985). Die teilweise enge Anpassung an die Küstenstandorte und der damit verbundene stoffwechselphysiologische Aufwand führen - bei identischen Bedingungen - zu geringeren Wuchsleistungen der Halophyten im Vergleich zu denen der Glykophyten und damit zu einer Verdrängung an die "ungünstigeren" salzbeeinflussten Standorte (ALBERT 1982). - Viele Arten der Dünen und Dünentäler sind auf die spezifische Dynamik (Sandverwehung, Übersandung, Überstauung) der Küstendünenstandorte angewiesen, die in vergleichbaren Dünen des Binnenlandes so nicht gegeben sind (GRAEBNER 1910, PACKHAM & WILLIS 1997).

Arten mit hoher genotypischer Plastizität kommen an der Küste in speziellen Ökotypen vor, die zum Teil auch formal taxonomisch unterschieden werden. So ist der Rotschwingel in den Dünen mit der Unterart Festuca rubra subsp. arenaria, in den Küstenmarschen mit der Unterart Festuca rubra subsp. litoralis vertreten (JÄGER & WERNER 2002).

Die für die Biotopkomplexe der Strandplaten, Dünen und Salzwiesen typischen Pflanzensippen sind bei den Biotoptypen aufgeführt und daher hier nicht näher behandelt.

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Tab. 2: Innerhalb Niedersachsens nach 1980 nur auf den Ostfriesischen Inseln nachgewiesene Pflanzensippen. * = heute verschollen.

Die hohen Anforderungen der Küstenstandorte an die Anpassungsfähigkeit der Arten sind aber auch ein Grund der für die deutschen Küstengebiete vergleichsweise niedrigen nachgewiesenen Artenzahlen (vgl. GEWALT 2003, HAEUPLER 1997). Andererseits ist die Flora der Ostfriesischen Inseln, bezogen auf die typischen Küstenpflanzen (Sippen der Strandplaten, Dünen und Salzwiesen), reichhaltiger als die der niedersächsischen Festlandsküste - u. a. weil dort weitgehend die artenreichen Dünenkomplexe fehlen (METZING 2005).

Verschiedene Arten wurden nach 1980 in Niedersachsen (zum Teil sogar in Deutschland) ausschließlich auf den Ostfriesischen Inseln nachgewiesen (Tab. 2; vgl. GARVE 1994). Für ihren Erhalt besteht eine besondere Verantwortlichkeit des Nationalparks Wattenmeer Niedersachsen bzw. des Landes Niedersachsen.

Spektren der Blütenfarben und Bestäubungsarten

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Die Farn- und Blütenpflanzen sind durch vielfältige Wechselbeziehungen in die Ökologie der Biozönosen eingepasst. Insbesondere die Bestäubungsprozesse zeigen eine enge Verflechtung zwischen vielen Pflanzenarten und den blütenbesuchenden Tierarten (insbesondere Insekten). Die Blüten von über 61 % der nach 1980 auf den Inseln gefundenen Pflanzensippen werden von Insekten besucht und so (potentiell) bestäubt (Abb. 8). 31 % der Pflanzen sind Windbestäuber, dies sind vorwiegend Gräser (Poaceae) und Grasartige (Cyperaceae, Juncaceae) sowie verschiedene Gehölze (z. B. Salix). Etwa ein Drittel der Sippen kann potentiell auch ohne Fremdbestäubung Früchte bilden. Viele Arten sind aber nicht obligat an einen einzigen Bestäubungsmodus gebunden, daher ist die Gesamtzahl der in Abb. 8 summierten Pflanzensippen höher als die Zahl der auf den Inseln vorkommenden Taxa.

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Abb. 8: Bestäubungsspektrum der auf den Ostfriesischen Inseln vorkommenden Pflanzensippen (Angabe der Bestäubungsarten nach BRÖRING et al. 1993, ergänzt).

Bei der Blütenfärbung überwiegen weiße (22 %) und gelbe (20 %) Farben (Abb. 9); über ein Drittel der Pflanzentaxa weist unscheinbare Blüten auf (grün und braun), dies sind größtenteils windbestäubte Arten. Etwa 21 % entfallen auf rote bis blaue Blütenfarben.

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Abb. 9: Blütenfarbspektrum der auf den Ostfriesischen Inseln vorkommenden Pflanzensippen (Blütenfarben nach BRÖRING et al. 1993, ergänzt), Arten mit zweifarbigen Blüten oder Blütenständen (z.B. Tripleurospermum perforatum mit gelben Röhrenblüten und weißen Strahlenblüten) pro Farbe gezählt, unscheinbare Blüten als grün bzw. braun berücksichtigt.

Ausblick

Die vorliegende Übersicht stellt nur einen momentanen Zustand der ostfriesischen Inselflora da. Faktoren wie veränderte Landnutzung, Ausdehnung der Siedlungsbereiche, Einschleppung nicht indigener Arten, Habitatvernichtung durch Landwirtschaft, Küstenschutz oder Tourismus, die auch schon in der Vergangenheit zur Florendynamik beitrugen, werden sicher auch in der Zukunft die Flora beeinflussen. Der Schutz der natürlichen Biotope, die Tolerierung natürlicher morphodynamischer Vorgänge und ggf. auch Pflegemaßnahmen sind geeignete Mittel, der Abnahme des indigenen Artenbestandes entgegen zu wirken (vgl. VAN DER ENDE 1995).

Von zunehmender Bedeutung für die Inselflora ist der Klimawandel, der nicht nur zu einer Flächenreduzierung oder Verlagerung bestimmter Biotoptypen oder Vegetationszonen führen kann. Auf den Klimawandel reagiert die Flora durch Verlagerung von Pflanzenarealen, er führt damit zu einem Verlust verschiedener Arten, während andere Arten neu einwandern können. Modellrechnungen zeigen, dass der bis 2050 zu erwartende klimawandelbedingte Verlust an Gefäßpflanzenarten der Küste mit mindestens 10 % zu veranschlagen ist, darunter auch wichtige Schlüsselarten wie die Krähenbeere, Empetrum nigrum (METZING 2005, 2006a).

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Krähenbeere, Empetrum nigrum, auf Baltrum (Foto: Schieber/Neugart, 2005)

Floristische und vegetationskundliche Monitoring-Projekte sowie die Fortsetzung der floristischen Kartierung sind dringend notwendige Maßnahmen, um Veränderungen des Florenbestandes zu erfassen, die Prognosen zu überprüfen und auf mögliche, beispielsweise für den Küsten- oder Naturschutz gravierende Entwicklungen rechtzeitig reagieren zu können.

Kontaktadresse:

Dr. Detlev Metzing
Carl-von-Ossietzky Universität
Fakultät V, Institut für Biologie und Umweltwissenschaften
Botanischer Garten
D-26111 Oldenburg
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Dipl.-Biol. Kirsten Heine
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Dipl.-Landschaftsökol. Petra Eggers
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Heinrich Kuhbier
Übersee-Museum
Bahnhofsplatz 13
D-28195 Bremen

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Stand: 12/2009